Thema hatten ſie neulich an zwei Stunden
mit dem Intendanten geſtritten.
„Um Gottes willen, wir werden doch
nicht die ſchöne Winterluft mit Kunſt-
geſprächen infizieren! Mein Mann iſt ja
auch nicht da, alſo haben wir von vorn-
herein immer und überall recht!“
Es klang wie ein ohnmächtiger kleiner
Hohn auf den Intendanten. Sie lachten
beide, fühlten ſich ſehr ſtark und wußten
gar nicht, wie ſchwach ſie in dieſem Augen-
blick waren.
Es dämmerte ſchon, als ſie aus dem Eng-
liſchen Garten herauskamen. Es tat Agnes
leid, daß ſie Doktor Richter nicht mit nach
Hauſe nehmen konnte zum Tee, aber ſie
war zu einer weitläufigen Verwandten ein-
geladen und mußte ſich erſt noch um-
kleiden, ehe ſie zu ihr fuhr. So verab-
ſchiedete ſie ſich denn ſehr herzlich von dem
jungen Mannz er verſprach, ſich demnächſt
beim Tee ſehen zu laſſen.
Bei den nächſten Beſuchen Richters
kam es zu keinen weitläufigen Debatten.
Der Intendant entſchuldigte ſich immer
ſchon nach einer halben Stunde und ging
ins Bureau, wo ſich während ſeiner Ab-
weſenheit — er hatte in Berlin eine neue,
vereinfachte Drehbühne ſtudiert und war
dann nach Brünn gefahren, um einen jun-
gen Baſſiſten zu hören, den ihm ein Agent
gerühmt hatte — die Arbeit und die Korre-
ſpondenzen angeſammelt hatten. Agnes und
Doktor Richter blieben allein und hätten
nun wieder heitere, ja, übermütige Ge-
ſpräche führen können, wie an dem Nach-
mittag im Engliſchen Garten. Aber es
ging doch nicht; hier im Hauſe, im Licht-
ſchein der grünverſchleierten Lampe, vor
dem ſilberfunkelnden Teetiſch war alles
anders, gehaltener und würdevoller als
draußen in der Einſamkeit des bereiften
Frühwintertags. Hier waren ſie nicht mehr
unbefangene Kinder, die ihrem Präzeptor
entliefen, hier waren ſie ernſte Menſchen,
an ihre Stellung gebunden, Menſchen, die
bei aller Liebenswürdigkeit und Gewandt-
heit doch noch ſo wenig voneinander wuß-
ten, daß ſie erſt ſcheu und unſicher den
Weg beſchritten, der zum andern hinführte.
Wenn der Intendant nicht da war, ſprach
man an dem kleinen Teetiſch nicht ſo-
viel vom Theater wie ſonſt, aber rein Per-
ſönliches erzählten ſie auch jetzt nicht oder
wenn, dann nur zufällig, nur im Zuſam-
menhang mit anderm. Sie waren beide
zu diskret, um unverblümte Fragen zu
ſtellen oder ausforſchen zu wollen, was
man ihnen nicht von ſelbſt ſagte, und ſo
ſtreckten ſie in ihren Geſprächen immer nur
ganz feine Fühlfäden aus, um zu ſpüren,
wie der andere war und wie ſein Leben
ging. Aber gerade weil ſie ſo feinſühlig
waren, verſtanden ſie ſich mit einem halben
Wort, durch eine beſondere Betonung,
durch ein Verſtummen oder ein Achſelzucken.
Und jedesmal hatten ſie dann das Gefühl,
als ob ſie einen großen Schritt weiter ge-
gangen wären auf dem Weg, der zu dem
andern hinführte. Ohne daß Doktor Richter
je über ſeine Mutter geklagt, ja nur aus-
führlicher über ſie geſprochen hätte, wußte
Agnes, daß er unter ihrer Kleinlichkeit
und ihrer Alltagsnatur litt; und er wie-
derum verſtand, was dieſe ſenſitive Frau
von dieſem ſelbſtherrlichen und ewig un-
treuen Mann ertrug, wenn ſie gleich vor
der Welt eine Beglückte ſpielte und auch in
der Abweſenheit ihres Mannes noch ſeine
Partei nahm, ſeine Härten zu entſchuldigen
ſuchte, immer wieder auf ſeinen Lebens-
gang hinwies, bei dem er eben ſo hatte
werden müſſen, wie er war.
Nach Neujahr begannen die Proben zu
„Magelones Freier“. Doktor Richter hatte
ſeiner völligen Unkenntnis des Theater-
betriebs meinte er, daß es nun die erſte Auf-
gabe der Schauſpieler ſei, ſeinen, des Dich-
ters, Abſichten gerechtzuwerden, daß alſo
ſowohl der Regiſſeur wie die Darſteller
aufmerkſam auf jedes Wort aus des
Autors Mund lauſchen würden, ſo daß er
Tag für Tag den farbigen Traum ſeines
Stückes immer deutlicher und lebendiger
zur Wirklichkeit werden ſah. Schon die
allererſte Probe brachte ihm eine große Ent-
täuſchung. Das leere, dunkle Haus, die
matt erleuchtete Bühne, auf der nur ein
paar notdürftige Requiſiten ſtanden, die
ungeſchminkten Schauſpieler im gewöhn-
lichen, wenn nicht gar vertragenen Alltags-
anzug, die ihre Rolle nur markierten, da
und dort ſtecken blieben und in den Pauſen
ſchlechte Witze riſſen, die ganze Gleichgül-
tigkeit, die oben auf der Bühne zu herr-
ſchen ſchien, während er, der Autor, in zit-
ternder Erwartung einſam im Parkett ſaß
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