„Ja,“ entſchuldigte ſich Valentin, „ich
kann's nicht allen Leuten recht machen.
Ich bin ja auch nur ein Menſch. Meine
Nerven haben auch gewiſſe Belaſtungs-
grenzen!“
„Aber bitte, bitte, ereifern Sie ſich nicht!“
Lorenz lachte. „Mir iſt das ja natürlich
ganz gleich. Fragt ſich nur, was Fräu-
lein Breuner dazu ſagen wird.“
„Wenn ihr's nicht recht iſt,“ erklärte
Fräulein Seidl ſchnippiſch, „kann ſie's ja
bleiben laſſen.“
Lorenz konnte ein ſpöttiſches Lächeln
nicht unterdrücken; ihm war das in der
Tat gleichgültig, aber er wollte dem zurück-
geſetzten Liebhaber und dem patzigen Apo-
thekermädel nicht die Freude laſſen, Fräu-
lein Ida geärgert zu haben. „Donner-
wetter, ſagte er, „da hab' ich vergeſſen,
einen Brief aufzugeben. Ich komme
gleich wieder!“
„Dableiben!“ ſchrie Valentin, der ſich
ſchon wieder am Klavier zu ſchaffen machte.
„Dann können wir wieder auf Sie warten,
Herr Profeſſor!“
Aber Lorenz kümmerte ſich nicht um ſein
Gejammer. In der Einfahrt erwartete er
die Tochter des Finanzrats, und während
er ſie die Treppe hinauf begleitete, ſagte
er: „Wiſſen Sie, ich hab' dem Valentin
mit großer Mühe eingeredet, daß er Sie
doch als erſte Geſangsnummer placiert,
weil ich weiß, daß die Leute am Anfang
viel beifallsluſtiger ſind als ſpäter. Da
ſind ſie ſchon ermüdet.“
Sie ſchaute ihn mit dankbarem Lächeln an.
„Alſo, los!“ rief Doktor Valentin, als
die beiden miteinander den Saal betraten.
„Jetzt können wir anfangen. Nummer eins:
Prolog von Doktor Joſeph Binder! Bitte!“
Der Konzipiſt, der eifrig bemüht war
Fräulein Seidl zu unterhalten, rührte ſich
nicht.
„Herr Konzipiſt, Sie ſollen anfangen!“
„Ja, ich komme doch erſt im zweiten
Teil?“
„Wieſo? Sie haben doch den Prolog!“
„Verfaßt, jawohl, aber ich trag' ihn doch
nicht vor! Welche von den Damen ſpricht
ihn denn?“
„Aber davon haben Sie mir kein Wort
geſagt, daß ihn eine Dame ſprechen ſoll!“
„No, hören Sie, ich hab' Ihnen doch das
Manuſkript gegeben, haben Sie's nicht
geleſen? Oder haben Sie ſich vielleicht
eingebildet, ich würde mich ſelbſt da hin-
aufſtellen und anfangen: „Als Göttin Ein-
tracht grüß' ich euch, ihr Gäſte, verſammelt
hier zum erſten frohen Feſte ... Seh' ich
aus wie eine Göttin?“
Der Lehrer Illing klatſchte gleich be-
geiſtert Beifall, Fräulein Seidl lachte.
„Eine ſchöne Göttin mit einem Vollbart!“
Und Valentin fuhr ſich verzweifelt mit
beiden Händen in die Haare. „Ja, was
ſollen wir denn jetzt anfangen? Will eine
von den Damen die Güte haben, den Pale
zu übernehmen?“
Alle wehrten energiſch ab.
„Dazu hätten Sie ſich die Pohl⸗Mathilde
engagieren ſollen,“ meinte Lehrer Illing
und hob bedeutſam die Hand mit ausge-
ſtrecktem Zeigefinger in die Höhe, „die hat
ſchon in der Schule immer ſehr gut rezi-
tiert und wirkt bei allen ſolchen Veran-
ſtaltungen mit. Gerade dieſe klang⸗ und
ſchwungvollen Verſe lägen ihr ganz beſon-
ders.“
„No — wenn Sie aber jetzt erſt kommen,
da wird ſie nicht mittun,“ wandte Fräulein
Breuner ein, „da wird ſie groß tun und
die Beleidigte ſpielen.“
„Das will ich ſchon arrangieren,“
ſprach der Lehrer.
„Alſo, in Gottes Namen, wenn Sie das
übernehmen wollen!“ Valentin atmete auf.
„Gehn wir weiter. Nummer zwei.“ Er
ſtockte und begann zu ſtottern. „Es. war
es war leider nicht anders möglich ...“
Fräulein Breuner hörte ihm gar nicht
zu und war ſchon, von Lorenz geleitet, die
Stufen zur Bühne hinaufgeſtiegen. Valen-
tin ſchaute überraſcht zu, und auch auf dem
Geſicht der Apothekerstochter ſpiegelte ſich
Enttäuſchung.
„Ja,“ rief jetzt Lorenz herunter, „wird
hier zu Land ſtehend Klavier geſpielt?“
„Pardon.“ Konzipiſt Binder reichte
ihm den Seſſel hinauf. „Ich hab' ihn ge-
rade vorhin weggenommen, entſchuldigen
Sie.“
Nun ging's endlich vorwärts. Die kleine
Blondine ſang die Schumannſchen Lieder
mit guter Stimme, einfach und ganz ohne
Scheu. Lorenz applaudierte ihr ſelbſt
jedesmal, wenn er die Begleitung beendet
hatte, und die andern ſchloſſen ſich an. Nur
Valentin opponierte: „Ich möchte die Herr-
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