darin die Verkörperung aller Zeitkräfte ſieht,
wenn er es zum Symbol der Epoche um-
ſchafft, wenn es ſich mit ſeinem ganzen Fühlen
innig verwirkt, dann werden wir mit Freu-
den ſolch einen Dichter begrüßen. Denn er
ſetzt das Techniſche dann eben gefühlsmäßig
um, er wird etwa zum Mundſtück der Un-
gezählten, die in der Eroberung der Luft
die größte Leiſtung der Gegenwart ſehn und
das Lied von der Herrlichkeit ihrer Zeit
hören wollen. Zwar wird es Menſchen
geben, die der Meinung ſind, daß wir heut
Technik und Kultur verwechſeln; die darauf
hinweiſen, daß Amerika, das techniſch vor-
geſchrittenſte Land, auch gleichzeitig das
kulturloſeſte iſt; die aus der Geſchichte gelernt
zu haben glauben, daß die Blüte der Tech-
nik und der Naturwiſſenſchaften faſt immer
in die gebundenſten und verlogenſten Epochen
der Menſchheitsgeſchichte fällt; die in dem
Rekordwahnſinn, den halsbrecheriſchen Loo-
ping the Loop⸗Kunſtſtücken, den glorreichen
Sturzflügen nur jenen der Gegenwart eigen-
tümlichen, alles überſpannenden „Heroismus
der Schwäche“ erblicken, — aber ſelbſt dieſe
vereinzelten Leute, die der Zeitekel hundert-
mal am Tage würgt, werden ſich nicht von
vornherein ablehnend verhalten. Denn es
kommt ja gar nicht darauf an, ob etwas
groß oder klein iſt, ſondern einzig, wie es
dem Dichter erſcheint und wie ſehr er das
Außere verinnerlicht.
Das hat Leonhardt Adelt wohl gefühlt,
als er ſeinen „Flieger“, dieſes „Buch
aus unſern Tagen“ ſchrieb. Er hat gar
keine Berührung mit den ſchnellfertigen
Skribenten, die eine Zeitmode ſenſationell
verarbeiten. Er ergreift ſeinen Stoff durch-
aus von innen, ganz dichteriſch; er er-
zählt das Leben ſeines Helden, wohl
das eigene Leben, ſprunghaft⸗lyriſch von
der Knabenzeit an und entzückt hier durch
den Reichtum der Naturanſchauung; er
läßt ſchon den Dorfbuben Wind und Vo-
gelflug ſtudieren und führt ihn dann über
die Verſuche mit künſtlichen Flügeln durch
alle Entwicklungsſtadien der Aviatik. So
wird das techniſche Problem allerdings
zum perſönlichen Erlebnis, und Maſchinen
und Drähte ſind nur der Haken, an den
ſich das inbrünſtige Gefühl hängt. Aber
dieſer einzig möglichen, echt poetiſchen
Auffaſſung entſpricht das geſtaltende Können
leider gar nicht. Statt in epiſcher Nüchtern-
heit zu erzählen, verliert ſich Adelt in ly-
riſcher Hymnenſängerei, und aus Angſt vor
der Scylla des Techniſch-Proſaiſchen gerät
er rettungslos in die Charybdis poetiſch-
lyriſcher Nebelei. Verſchwimmende Bilder
folgen ſich in loſer Verbindung; das ganze
Buch iſt mehr wie ein Gedichtzyklus denn
wie ein Roman komponiert, und die vers-
artig gedrungene Sprache hat nicht nur rhyth-
miſchen Schwung, was zu rühmen wäre,
ſondern allzuoft regelmäßigen Versgang,
was in der Proſa peinlich iſt. In den oſſia-
niſchen Nebeln erſcheinen die Geſtalten un-
körperhaft, ſie wehen vorüber, man weiß
nicht, woran man ſich halten ſoll, und ein
wahrhaft dichteriſch empfangenes Buch möchte
man bald, verdroſſen über den Mangel an
echter Nüchternheit und an echter Geſtaltungs-
kraft, ermüdet durch die Folge unſcharfer
Bilder, beiſeite ſchieben, wenn nicht immer
wieder Einzelheiten verſöhnten. Aber auf
die Dauer erſetzen ſie nicht, was wir ſchmerz-
lich vermiſſen, und man ſpricht zuletzt doch
nur: Es iſt ſchade! —
Vor kurzem iſt nun auch der dritte und
letzte Band des Erinnerungswerkes erſchie-
nen, in dem Erwin Roſen unter dem
Titel „Der deutſche Lausbub in
Amerika“ ſeine Abenteuer und Eindrücke
niedergelegt hat. Lieſt man die drei
Bände jetzt hintereinander, ſo begreift man
ihren ſtarken publiziſtiſchen Erfolg. Nicht
umſonſt iſt Erwin Roſen in Amerika
Zeitungsreporter geweſen: er verſteht es
meiſterhaft, auf die Wirkung hin zu ar-
beiten, unter flammenden Überſchriften
ſpannend zu erzählen, ein intereſſantes Er-
lebnis mit allem Drum und Dran packend
wiederzugeben, und wenn es ſein muß, auch
aus einem Nichts einmal ein Ding zu drehn,
das nach etwas ausſieht. Man langweilt ſich
niemals bei ihm, man durchfliegt die Bände
wie einen ſpannenden Roman. Im erſten be-
gleitet man den Münchner Lausbuben nach
Texas, wo er bald auf einer Baumwollfarm
arbeitet, bald Apotheker ſpielt; dann folgt
man ihm in Zeiten, wo er als Eiſenbahn-
vagabund, als eine Art romantiſcher Tramp
Gratisfahrten durch ungeheure Gebiete unter-
nimmt, Gaſtrollen in verſchiedenen Berufen
gibt und endlich als Journaliſt ſeine Lebens-
linie findet. Der zweite Band führt in die
Welt der amerikaniſchen Zeitung, weiter
aber nach Kuba, in den ſpaniſch⸗ amerika-
niſchen Krieg, dieſen „exotiſchen Krieg des
Leichtſinns“. Es gehören gute Nerven dazu,
um die Kraßheiten und Verweſungsgerüche
mancher Szenen zu ertragen, und ſelbſt
wenn die Farben nach PYankee-Art etwas
zu dick aufgeſchmiert ſein ſollten, bleibt noch
ein Reſt, der allein ſchon genügen dürfte.
Der neue dritte Band endlich zeigt den „Laus-
buben“ als behaglichen amerikaniſchen Frie-
densſoldaten im Signalfort bei Waſhington,
dann wiederum als „Landsknecht der Feder“
und endet „hochdramatiſch“ mit einer ver-
teufelt unwahrſcheinlich klingenden Flibuſtier-
fahrt nach Venezuela. Wer noch immer un-
geſättigt iſt, mag hinterher die Eindrücke
leſen, die Erwin Roſen „in der Fremden-
legion“ empfangen hat. Das Beſte an all
dieſen effektvoll beleuchteten und journaliſtiſch-
lebendig geſchriebenen Werken iſt der friſche,
die Tat und das brauſende Leben liebende,
Geit Arbeitslied der Gegenwart ſingende
eiſt. .