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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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Der Amtmann hatte ihm zugehört und
nickte jetzt ein paar mal.

„Ja, ſo wird's wohl geweſen ſein. Was
das für Scherereien macht! Da habt Ihr
wenigſtens euren Knopf wieder.“

Flori wickelte ihn in das Papier, ſchob
ihn in die Rocktaſche; er atmete freier und
wagte eine Frage: „Weiß man denn, wer
es iſt?“

„In ſeiner Taſche ſteckte ein Arbeits-
buch, arg zerfetzt und jetzt vom Waſſer
ſchlimm zugerichtet. Man kann den Namen
nicht mehr gut leſen; Brendel oder Brunner
oder ſo ähnlich hat er geheißen. Wieder
ein Heimatloſer, der nun hier auf dem
Friedhof begraben liegt. Na, Winter-
zeller, Ihr ſeid ja nun gewählt — dann
werdet Ihr auch mit derlei manchmal zu
ſchaffen haben.“ ‘

„„ Wie das Amt es eben mit ſich bringt,
Herr Amtmann.“

„Recht ſo, lieber Winterzeller; alſo be-
hüt' Euch Gott!“

„Grüß' Gott, Herr Amtmann!“

Tief atmete der Flori auf, als er die
Amtsſtube verlaſſen hatte, und bei der
Heimfahrt war ihm, als ſei er von einer
ſchweren Laſt befreit. Froh begrüßte er
die Seinigen. Aber die gute Stimmung
hielt nicht an, wie er vermeint hatte. Es
überkam ihn mit jäher Gewalt; es packte
ihn und hielt ihn mit eiſernen Banden,
daß er zuweilen glaubte, es drücke ihm das
Herz ab und er müſſe nach Luft ringen.
Frei atmen! Frei atmen! Er hätte es
hinausſchreien mögen — und mußte doch
an ſich halten, damit niemand merkte, wie
es in ſeinem Innern beſtellt war.

Und in wenigen Wochen hatte ſich ſein
ganzes Weſen geändert. Der Mann,
deſſen gelaſſene Ruhe jezuweilen, wie es
ſich eben ſchickt, mit fröhlicher Laune ab-


worden und ein Grübler. Er arbeitete
kraftvoll und eifrig, wie nur je — ja viel-
leicht noch mehr als ſonſt; er legte jetzt
ſelbſt Hand an bei Sachen, die er früher
den Leuten überlaſſen. Aber es war offen-
bar, daß er ohne innere Freude und ohne
wirkliche Luſt arbeitete, und man hätte
ſagen mögen, daß er nur ſoviel ſchaffe,
damit er nicht Zeit habe zum Grübeln.
Aber das Sinnieren kam über ihn in je-

der freien Minute, und dann ſaß er,

ſtarrte finſter vor ſich hin, ganz weltver-
loren. —

Die Agerl hatte die Veränderung wahr-
genommen, die mit dem Flori allmählich
vorgegangen war. Merkten es doch auch
die Leute auf dem Hofe und im Dorf.
Agerl fragte zuerſt und wollte mit freund-
lichem Zureden verſcheuchen, was ſie für
Grillen und Launen hielt. Aber dann
merkte ſie, daß da etwas tief eingewurzelt
war, wogegen ſie vergebens ankämpfte.
Da kam vom Oberamt die Beſtätigung
von Floris Wahl zum Ortsvorſtand, und
nun meinte Agerl, ihr Mann werde wieder
froh werden, wie ehedem. Aber das ge-
ſchah nicht. Vor einem Rätſel ſtand die
Bäuerin auch, als ſie eines Tages zufällig
in der Rocktaſche ihres Mannes den Knopf
von der Jacke fand, den ſie doch ſo eifrig
geſucht hatte. „Da kann ich freilich wohl
lange ſuchen,“ rief ſie, „wenn du ihn
ſelbſt gefunden haſt.“

Sie dachte, der Bauer würde ihr die
Sache mit einem heiteren Wort erklären;
der aber ſtarrte mit weitaufgeriſſenen
Augen den Knopf an, riß ihn wortlos der
Agerl aus der Hand und warf ihn ins
Herdfeuer, daß er darin verglühe.

Seine Pflicht tat der Flori, wie nur je.
Niemandem trat er zu nahe, niemanden
kränkte er — aber ein Stiller war er ge-
worden, ein Einſamer, mitten unter allen,
die ihn gern hatten und denen er doch oft
wie ein Fremder gegenüberſtand. ‚

Und je länger dieſer Zuſtand dauerte,
deſto mehr grämte ſich die Agerl, daß ſie
ſchier meinte, ſie könne das nicht länger
ertragen und es müſſe ihr das Herz zer-
reißen. Nachts lag ſie ſchlaflos und wußte,
daß auch ihn der Schlaf floh, denn ſie
hörte ihn ſtöhnen und wie er ſich in ſeinem
Bette warf. Sie getraute ſich nicht mehr,
ihn zu fragen, ſeitdem er ihr das ſchroff
verboten hatte; und keine Menſchenſeele
hatte ſie, an die ſie ſich um Troſt und Auf-
klärung hätte wenden mögen.

Einſtmals aber, als ſie mitten in der
Nacht aus unruhigem Schlummer erwachte,
ſah ſie bei dem fahlen Lichte des Mondes,
das in die Schlafkammer drang, ihren
Mann aufrecht in ſeinem Bette ſitzen. Mit
weitaufgeriſſenen Augen ſtarrte er vor ſich
ins Leere; jetzt ſah ſie auch, wie ſein Ge-
ſicht von Gram und Sorge ganz durchfurcht
 
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