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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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einer prachtvollen Abruzzennovelle
„Siſto e Seſto“ hat Heinrich
JFederer vor kurzem ein größe-
res Werk folgen laſſen, die Lach-
CZ weiler Erzählung „Jungfer
Thereſe“ (Berlin, G. Grote). Wie wei-
land Ferdinand Freiligrath vor den Auer-
bachſchen 1 e möchte man am
liebſten aus heller Freude darüber die Mütze
in die Luft werfen, ja, man hätte wohl noch
ein größeres Recht dazu. Und dennoch führt
man zuletzt mit dem Dichter einen heimlichen
Krieg. Man ruft Viktoria, aber irgend et-
was ſchnürt einem dabei die Luft ab, ſo daß
der Ruf keine rechte Gewalt bekommt. Man
predigt Chriſten und Heiden, daß hier ein
Meiſterwerk geſchaffen iſt, und empfindet
doch in jeder Sekunde, daß man mit geſpal-
tenem Herzen vor dieſem Meiſterwerk ſteht.
So muß ſich die Kritik in einem zwei-
fachen Satze aufbauen, und es wird darin
ähnlich zugehn wie in der Kirche zu Lach-
weiler bei der Primizandacht des jungen
Kaplans Johannes Keng. Da ſpielt näm-
lich der alte Lehrer Philipp Korn die Orgel,
und er zieht alle Regiſter zum großen Lob-
geſang, daß die 1 70051 röhnen und ſich
zum Gruß vereinen, als riefe der liebe Gott
ſelber mit einem himmliſchen Baß herunter:
„Du, grüß' dich wohl, mein Knecht! Nun
leb' und wirk' mir auch ordentlich!“ Aber
in das Tedeum hinein fällt von draußen
der krachende Donner. Und ob Philippus
Korn noch ſo gewaltig auf die Baßpedale
ſtampft, ob er das Fortiſſimo auch nicht
mehr losläßt, ob er die Brummer und Dop-
elregiſter zieht und eine Fuge mit ſolchen
fundnoten über die Taſten hämmert, daß
er einen Augenblick das Unwetter draußen
übertönt, — es murrt und grollt dennoch
immer wieder in Choral und Hymnen hin-
ein. Es iſt zu guter Letzt ſtärker und gewal-
tiger, als die kunſtvollen Orgel⸗ und Men-
ſchenſtimmen, obſchon dieſe nach Federers
Ratſchluß im Buche die Sieger bleiben.
Horchen wir alſo erſt auf das Meiſter-
ſpiel des irdiſchen Organiſten! Fünf feu-
rige Neuprieſter, vier dünne und ein dicker,
werden von ihrem Biſchof in die ſün-
dige Welt geſandt. Sozuſagen in einer

A

ſakramentalen Verzücktheit tritt der eine
von ihnen, der etwas engbrüſtige Kaplan
Johannes Keng, ſeinen Dienſt im ſchwei-
zeriſchen Bergdorf Lachweiler an. Gott
hat ihm nur ein kurzes und ſchwaches
Schnäufchen, aber eine heiße und haſtige
Seele gegeben, ſo daß er leicht ins Schweben
kommt und dann wie ein Dichter ſchwärmt
und träumt. Natürlich ſchuf ihn ſein
Schöpfer nach ſeinem Bilde: es iſt Hein-
rich Federer oder wenigſtens ſein geiſtiger
Zwillingsbruder, der 915 im Kaplans-
gewand als neuer Apoſtel die Menſchen
ſelig machen will. Aber gegen ſeinen
Traum ſtellt ſich bald die Wirklichkeit mit
allen Schärfen; gegen die „mondbeglänzte
Zaubernacht“ ſtellt ſich der „kantige helle
Tag“, und ſachte, in kleinen beſchämenden


junge Prieſter aus ſeinen luftigen Ideen-
reichen auf die liebe und ſtarke Erde hinab-
gezogen. Das größte Verdienſt darum er-
wirbt ſich ſeine Haushälterin, Köchin, Er-
zieherin und Führerin, die bolzgerade Jung-
fer Thereſe, ein borſtiges, viereckiges, funkeln-
des Weibchen mit Adlernaſe und Trompeten-
ſtimme, dem die blutigſten Märtyrer am
liebſten ſind und das mit tapferem, knarren-
dem Stöckliſtiefelſchritt neben dem geiſtlichen
Herrn einhergeht. Seine unruhige Jugend
will nicht auf dem geraden, ſoliden, wenn
auch ein bißchen langweiligen Wege ſeiner
tüchtigen Vorgänger wandern, ſondern ver-
ſucht allerlei ſteile und gefährliche Abkür-
zungen. Dabei geht ihm in tatſächlicher
und ſymboliſcher Beziehung das „Schnäuf-
chen“ aus, und er bliebe elendiglich am Wege
liegen, wenn die ſcharfe Jungfer ihn nicht
reſolut beim Wickel nähme und ihn auf die
breite, ſichere Straße brächte. Das ſoldatiſch
klirrende Hauskreuz mit dem Quadratſchädel
wacht alſo wie ein Cherubim über dem leib-
lichen und . fo fest Wohl des Kaplänchens,
und weil es ſo feſt und herrlich das Regi-
ment führt, hat es den Ehrenplatz im Titel
bekommen. Trotzdem bleibt der Held doch
eben der Johannes Keng: er iſt es, deſſen


Art Sancho Panſa neben Don Quixote —
der Vergleich hinkt allerdings auf einigen
 
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