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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]; Verein für Historische Waffenkunde [Mitarb.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 6.1912-1914

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7. Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.39948#0275

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7. HEFT

LITERATUR

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Einlegen der Lanze bedeutet ein Fesseln des Speeres am
Körper durch den gebeugten Arm und damit ein Festlegen
des Armes selbst. Die beiden Handhabungen des freien
Stofses mit dem Arm und des Stofses mit der eingelegten
Lanze stehen also in einem Gegensatz, und nie und nimmer
kann die erstere als eine Vorstufe der zweiten aufgefafst
werden; wohl aber ist ein Stadium denkbar und sogar
wahrscheinlich, in dem die Leichtigkeit und Kürze des
Speeres noch die Handhabungen des „Aufzuckens“ und
des Einlegens nebeneinander ermöglichte. Indessen die
beiden für die Speerhaltung unter dem Arm von S. heran-
gezogenen Zeichnungen des Hortus (Abb 8 und 9) scheinen
mir zu beweisen, dafs zu dem Zeitpunkt ihrer Entstehung
wenigstens dieses Stadium überwunden war. Die Haltung
des Speeres unter dem Arm bei den Fufskämpfern dieser
Blätter erscheint höchst unzweckmäfsig, und ich bin zunächst
sehr geneigt, hier eine ebenfalls mifsverstandeneVerallgemei-
nerung der neuen Speerhaltung zu sehen, die der Kompilator
wegen ihrer Neuheit als Kennzeichen des Ritters anbringen
wollte, wo er irgend konnte. Sind sie aber der Wirklichkeit
entnommen, so gibt es für die Handhabung nur eine Er-
klärung: Es handelt sich um abgesessene Ritter; die linke
Hand ist durch den Schild zum Schutze des Körpers be-
ansprucht, und der Reiterspeer ist bereits so lang und
schwer, dafs er mit der rechten allein nicht frei gehandhabt
werden kann. Er wird daher wie zu Pferde unter den
Arm geklemmt und der Gegner im Lauf zu Fufs angerannt;
denn mit dem Stofs des Armes allein ist eben in diesem
Falle rein gar nichts auszurichten.
Die unsicheren Vorstellungen des Verfassers über die
Funktion des Armes bei eingelegtem Speer führt ihn noch zu
einem weiteren, nach Ansicht des Referenten falschen Schlufs.
Es handelt sich um die Interpretation der Ausdrücke
„under die üehsen (Achsel) slahen“ und „wildern arm slahen“•
Mit Recht lehnt S. Violets Auffassung ab, aus den beiden
Bezeichnungen zwei zeitliche Entwicklungsstufen des Ein-
legens des Speeres abzuleiten. Er glaubt dagegen, es han-
dele sich um zwei verschiedene Haltungen des Speeres, die
sich nach dem Ziel richten bei horizontaler Speerhaltung
werde der Speer unter den Arm geschlagen, bei hohem und
tiefem Ziel unter die Achsel gelegt. Die beiden ange-
zogenen Illustrationen aus dem Hortus (die schon genannten
Abbildungen 8 und 9) sind als Belege für diese Auffassung
jedenfalls schlecht gewählt. Denn sie zeigen gerade bei
unvoreingenommener Betrachtung, was auch das Natürliche
zu sein scheint, dafs die Lage des Schaftes unter der
Achsel bei jedem Ziel beibehalten wird. Die Hebung oder
Senkung der Spitze wird von der Faust reguliert, under
die üehsen und lindern arm slahen sind also wohl für die
gleiche Aktion zwei synonyme Bezeichnungen, von denen
nur eine exakter ist.
Endlich mufs noch eine spezielle Speerhaltung ab-
gelehnt werden, die mit wenig Glück aus zwei Stellen von
Hartmanns „Iwein“ abgeleitet wird. Es heifst da vom
Helden, er „limte vaste sin sper vor uf sine hrust her“ und
an andrer Stelle „so neiden sie diu sper und sluogens uf
die hrust her, daz si niene wanden . . .“ S. glaubt diese
Stellen so verstehen zu müssen, dafs das Schaftende fest
gegen die Brust gestemmt wird. Hiergegen aber mufs
sich die gesunde Anschauung auflehnen. 1. ist es genau
wie bei der irreführenden Zeichnung des Hortus unmöglich,
den Speer an seinem letzten Ende in der Hand zu halten,
ohne dafs er herunter schlägt und 2. — wäre dies möglich —
so würde der Betreffende bei dieser Speerhaltung geradezu
Selbstmord üben, denn den Stofs, den er gegen den Gegner
führt, empfängt er selbst mit gleicher Wucht, nur, dafs er
jenem die Spitze, sich selbst das Schaftende in die Rippen

rennt. Das festklebn auf die Brust ist wohl nur ein pracht-
voll versinnlichender Ausdruck dafür, dafs der Speer eng an
den Brustkasten geprefst wird, um sicher und ruhig zu
zielen. Denn so lange der Rasthaken noch fehlt, mufs der
Speer im wesentlichen vom dem gegen die Brust klemmen-
den Arm festgehalten werden. —
Wurde in einer Reihe von Fragen ein von den
Ausführungen des Verfassers abweichender Standpunkt
eingenommen, so bedeutet dies keine Einschränkung der
eingangs geäufserten, rühmenden Auffassung von der
Gesamtleistung, von der hier nur ein Teil besprochen
werden konnte. Die Einwände werden eine Vorstellung
geben von den interessanten Problemen, die hier ange-
schlagen sind, und mögen zur Lektüre des Ganzen und
zur Stellungnahme anregen. Jeder Leser wird die Emp-
findung haben, dafs hier ein Fachgelehrter mit ausgezeich-
neter methodischer Schulung seine reichen Materialkennt-
nisse unbeengt der ernsten Erforschung der Waffe zur
Verfügung stellt. Und solche kann die Waffenkunde
brauchen. —
Die in kleinem engeren Zusammenhänge mit der Ab-
handlung stehende Bezugnahme S. auf einen Helm der
Sammlung Wilzek gibt mir den willkommenen Anlafs,
zu dessen in Bd. VI Heft 2 dieser Zeitschrift, S. 43 Abb. 3
vertretenen und von S. übernommener Bestimmung Stel-
lung zu nehmen. Der Helm wird dort als konischer
Spangenhelm aus der ersten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts bezeichnet.
Ich hatte seinerzeit Gelegenheit, ihn selbst in der Hand
zu halten. Sieht man von der Echtheit dieses in seiner
Konstruktion wenig überzeugenden, in der Form nicht sehr
einheitlichen Helmes ab, so spricht ein wichtiger Gesichts-
punkt jedenfalls gegen seine frühe Datierung. Es handelt
sich um den ganz ausgebildeten Nackenschirm.
Der Nackenschirm überhaupt ist dem frühen Mittelalter
völlig fremd, erst im Laufe der zweiten Hälfte des 14. Jahr-
hunderts finden wir die ersten Ansätze dazu an der Becken-
haube, deren Rückwand sich sachte zum Nacken senkt.
Aus ihr entwickelt sich dann der eigentümliche Nacken-
schirm der Schallern im 15. Jahrhundert, der vereinzelt bei
der Sturmhaube des 16. Jahrhunderts in klassischer Um-
prägung weiter lebt. Daneben wird der geschobene Schirm
der späten, orientalischen Sturmhaube von der Zischägge
übernommen. — Wie fern noch dem 13. Jahrhundert der
Gedanke des Nackenschirms liegt, zeigt am deutlichsten
die Genesis des Topfhelms. Dieser geht bekanntermafsen
aus dem zylindrisch gestalteten Beckenhelm vom Ende des
12. Jahrhunderts hervor (Vergleich Demay: Le Costüm de
Guerre et d’Apparat, Taf. VIII Abb. 35), an den im Beginn
des 13. Jahrhunderts vorn eine Gesichtsmaske ansetzt
(Demay ebenda Taf. IX Abb. 41). Erst im zweiten Jahrzehnt
senkt sich vereinzelt auch die Rückwand ein wenig zum
Nacken herab und es entsteht der typische Topfhelm des
13. Jahrhunderts (Demay ebenda Taf. IX Abb. 38).
Der Nackenschirm des Wilzekschen Helmes scheint
nach seiner Gestalt dem geschobenen Schirm der Zischägge
noch am nächsten zu stehen. P. Post.
Dr. Walther Thenius: Die Anfänge des stehen-
den Heerwesens in Kursachsen unter Johann
Georg III. und Johann Georg IV. (Heft 31
der Leipziger Historischen Abhandlungen.) Ver-
lag von Quelle & Meyer, Leipzig.
Der Verfasser hat sich das Verdienst erworben, auf
Giund der Akten des Königl. Sächs. Kriegsarchivs und des
Königl. Sächs. Hauptstaatsarchivs, sowie mit Benutzung
 
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