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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 6.1912-1914

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9. Heft
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Sterzel, Hans: Das Wolfegger Hausbuch und seine Bedeutung für die Waffenkunde, 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.39948#0334

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314

STERZEL, DAS WOLFEGGER HAUSBUCH U. S. BEDEUTUNG F. D. WAFFENKUNDE VI. BAND

Das Wolfegger Hausbuch und seine Bedeutung
für die Waffenkunde
Von Major a. D. Sterzei, Berlin-Wilmersdorf
III

WieimText der Wolfegger Bilderhandschrift
(besprochen in Heft 7 S. 234 Bd.Y dieser
Zeitschrift), so nimmt auch in den Hand-
zeichnungen das artilleristische Element den brei-
testen Raum ein, eine Erscheinung, die die An-
sicht der Herausgeber Bossert und Storck über den
vermutlichen Beruf des einstigen ersten Besitzers
als praktischer Büchsenmeister wesentlich unter-
stützt.
Die Abbildungen von Geschützkonstruktionen
und Artilleriegerät sind aber nicht nur ihrer Zahl
nach von einer ungemeinen Reichhaltigkeit, son-
dern sie lassen so vielseitige und aufserordentlich
durchdachte technische Einzelheiten erkennen, dafs
die einschlägigen fachmännischen Kenntnisse und
die Theorie der Artillerietechnik des Zeitraums
uns in einem durchaus günstigen Lichte erscheinen
müssen. Wir sehen mit Staunen Richteinrichtungen,
Lafettenarten und anderes mehr von einer Origi-
nalität der Zusammensetzung und Wirkung, wie
wir sie erst im artilleristischen Werdegang des
19. Jahrhunderts, das bekanntlich durch den her-
vorragenden Aufschwung seines technischen Kön-
nens auch den Beginn einer ungeahnten Entwick-
lung des zeitweise im tiefen Dornröschenschlaf
liegenden Geschützwesens schuf, wiederfinden. Es
ist eine im allgemeinen wenig bekannte Tatsache,
dafs viele der im 15., 16. und 17. Jahrhundert im
Entwurf geplanten oder auch wohl in einfacher
Ausführung versuchten artilleristischen Einrich-
tungen in der Praxis wieder fallengelassen werden
mufsten und dann vollends vergessen wurden, weil
die Technik des Zeitraums noch nicht reif genug
war, um diese geplanten Dinge wirklich so lebens-
fähig und wirkungsvoll zu gestalten, wie der Geist
des Erfinders sie sich ausgemalt hatte. Ich ver-
weise zum Beispiel auf die durchaus sinnreichen
Konstruktionen vonVerschlufsarten der zur Hinter-
ladung- eingerichteten Bockbüchsen des 16. und
17. Jahrhunderts, wie man die in Bocksgestellen
gelagerten Scharfentinlein oder Serpentinlein und
Doppelhaken nannte. Diese im Verhältnis zu ihrem
Seelendurchmesser meist ungewöhnlich langen
Rohre waren in der überwiegenden Mehrzahl zur
Erleichterung des Ladens und zur Hebung der
Feuergeschwindigkeit — sollten sie doch in dem
kritischen Moment des Sturmanlaufs bei der Ver-
teidigung besonders lebhaft in die Erscheinung
treten — für Hinterladung eingerichtet; der Artil-

lerist des 19. und 20. Jahrhunderts findet an ihnen
alleVerschlufsarten in ihren ersten Anfängen ver-
treten, deren Erfindung er auf sein Konto zu setzen
gewohnt ist. Die Schrauben-, Keil-, Kolben-, Zy-
linder - und Fallblockverschlüsse haben ausnahms-
los ihre Vorläufer bereits im 16. und 17. Jahrhun-
dert! Die Kräfte der Renaissance wirkten eben,
wie überhaupt im Kriegswesen, in der Folge auch
befruchtend auf dem Gebiete der Artillerie, und
kein Geringerer wie Leonardo da Vinci beschäftigte
sich, wie wir auch in unserer Zeitschrift wieder-
holt vernehmen konnten, eifrig mit der Lösung
artilleristischer Probleme.
Was nun von unseren Wolfegger Entwürfen
nur als rein theoretischer Entwurf gelten darf und
was wirklich in der Praxis ausgeführt und ver-
wendet wurde, läfst sich leider nicht mit voller
Bestimmtheit von einander scheiden. Bei der Ver-
gänglichkeit des zum Bau verwendeten Materials
haben sich nur wenige der alten Laden, Gefäfse,
Schiefsgestelle und Lafetten durch die vernichten-
den Stürme der Jahrhunderte bis auf unsere Zeit
hinübergerettet. Praktische Vergleiche lassen sich
bei diesen alten Gegenständen meist nicht anstellen,
denn manches von dem, was in dieser Beziehung
heutzutage der andächtige und ahnungslose Be-
schauer mitunter in öffentlichen oder privaten
Sammlungen usw. zu sehen bekommt, sind man-
gels tieferer Fachkenntnisse gänzlich mifsverstan-
dene Rekonstruktionen, ja, sogar direkt wider-
sinnige Mifsbildungen, die nur Unheil und Ver-
wirrung anzurichten geeignet sind. Die Sichtung
ist also reine Gefühlssache! Ein grofser Teil der
im Bilde vorgeführten Gegenstände war jedenfalls
tatsächlich und einwandfrei im Heeresgerät des
15. Jahrhunderts vertreten, so die Streitkarren
oder-wagen und die Burgunderlafetten mit Richt-
hörnern, denen wir in mehreren klaren Darstel-
lungen begegnen. Aber auch die anderen Stücke,
von denen wir keine Vertreter und Beweisstücke
mehr besitzen, machen durchaus nicht den Ein-
druck der Unwahrscheinlichkeit; jedenfalls kann
man sie nicht ohne weiteres als die Gebilde einer
allzu regen Büchsenmeister-Phantasie bezeichnen.
Das Fehlen von Originalen und Modellstücken darf
nicht prinzipiell als Beweis dafür gelten, dafs solche
Stücke nicht existiert haben sollten. Selbst von
viel späteren artilleristischen Konstruktionen sind
nirgends mehr Originalstücke aufzutreiben; wir
 
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