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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Editor]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 25.1928/​1929

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Karlinger, Hans: Über mittelalterliche Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.59007#0051

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ÜBER MITTELALTERLICHE PLASTIK

Von HANS KARLINGER

A /"ersucht man unter der Bezeichnung »Mittelalterliche Plastik« sich einmal Gesehenes
* in Erinnerung zu rufen, so wird in der Vorstellung vielleicht eine Madonnenstatue
auftauchen, eine Pieta oder die Figur des Gekreuzigten. Treten dazu etwa noch Reihen
von Portalfiguren, wie sie die Tore gotischer Kathedralen schmücken, die phantastischen
Umrisse von Bauzier, wie Wasserspeier, und die1 krausen Linien von Reliefs, wie sie als
biblische oder als Legenden auf Grabsteinen zu sehen sind, so wird der Bilderkreis auch
einer schon größeren Erfahrung und Kenntnis von diesen Dingen erschöpft sein. Das
heißt, es ist im wesentlichen der Bereich nicht profaner Themen, der sich mit unserer
Vorstellung von mittelalterlicher Plastik bestimmend verknüpft und es ist etwa der all-
gemeine Eindruck einer feierlich strengen oder selbst starren und düsteren Spannung,
der als Grundton einer zunächst wohl fremdartig und künstlerisch befangen erscheinen-
den Welt haften bleibt.


Denn, gehen wir weiter in unserem Erinnerungsbild, so fällt das übertrieben Schlanke
oder Heftige einer Linie, das ungewohnt Grelle einer Gebärde, das Zackige und Krause
eines Umrisses auf. All dieses um so mehr, je stärker sich der Gedächtniseindruck mit
Stücken verknüpft, wie
in Museen schaut. Erst
eine Nachprüfung der
Gegebenheit — da wo
sie möglich ist — macht
dieses Ungewohnte der
Ausdrucksformen ver-
ständlich : etwa wenn
man die zarten Linien-
gefüge der Kölner Dom-
chorfiguren in ihrer Ein-
ordnung in das auf-
schnellende W achsen der
Chorpfeiler sich verge-
genwärtigt oder wenn
man die prunkvolle Er-
scheinung des Engli-
schen Grußes von Veit
Stoß inmitten des Chor-
raumes von St. Lorenz
in Nürnberg als einheit-
liche Schöpfungbegreift.
Die Relationen die-
ser — der mittelalter-
lichen — Plastik zur
Architektur sind un-
mittelbar und wesent-
lich. Nicht weniger fest-
gefügt, wie der Umkreis
der bildlichen Themen
in seiner Beziehung auf
das Sakrale, ist das Ver-
hältnis dieser Kunst zu
dem Raum, in dem sie
gedacht ist und aus dem
sie lebt.
Versucht man end-

man sie zumeist —• isoliert von ihrer wirklichen Umgebung —
Bildwerkes (sei es eine
Madonnenfigur) mit
S künstlerischen Schöp-
fungen anderer Zeiten
vergleichend nebenein-
anderzustellen, so wer-
den sich verwandte
Stimmungsempfindun-
gen ergeben vor Erinne-
rungen an barocke Bild-
effekte oder an die
Feierlichkeit eines öst-
lichen Kultbildes. Der
Gegensatz wird klar vor
dem Wesen einer Renais-
sanceplastik und ihrer
in sich geschlossenen
und abgeglichenen for-
malen Schönheit und er
steigert sich am stärk-
sten, wenn die körper-
haft prachtvolle Dies-
seitigkeit einer antiken
Statue — des Speer-
trägers des Polyklet
oder des Apolls von
Belvedere — vor Au-
gen tritt.
Halten wir zunächst
das eine fest: die Bild-
form des Mittel al-
ters ist streng um-
schlossen im Vor-
Ajfc wurf wie im Aus-
druck; ihr Wesen
ist Ausfluß eines

lieh den Erinnerungsein-
druck eines gotischen

PROPHET JESAJAS
SOUILLAC, WESTPORTAL. UM 1150

nur ihr eigentüm-
lichen Raumsinnes

Die christliche Kunst. XXV. November. 2

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