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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Hrsg.]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 25.1928/​1929

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Mailly, Anton: Abgötter an christlichen Kirchen
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https://doi.org/10.11588/diglit.59007#0060

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ABGÖTTER AN CHRISTLICHEN KIRCHEN
Von ANTON MAILLY
FAie historische Überlieferung, daß die christlichen Heilsapostel der ersten Jahrhunderte
ihre Bekehrungsmission unter Duldung des Fortbestehens so mancher heidnischer
Opferbräuche und anderer ererbter volksgläubiger Gewohnheiten vollzogen haben, und die
Tatsache, daß Tempel in Kirchen umgewandelt wurden, oder an deren Stelle oder in
heiligen Hainen letztere entstanden sind, läßt noch in unserer Zeit Altertumsfreunde, die
der kirchlichen Archäologie viel zu wenig Beachtung widmen, verleiten, zu beweisen, daß
wenn nicht alle, so doch viele an und in mittelalterlichen Kirchen entdeckte rätselhafte
Steinbilder als heidnische Götter oder als Nachklänge aus der heidnischen Mythologie
aufzufassen sind. Dabei wird gänzlich außer acht gelassen, daß diese Skulpturen in Zeiten
entstanden sind, da die Kirche besonders in West- und Mitteleuropa sozusagen auch die
politische Vorherrschaft besaß, daß der Bau von Gotteshäusern von den Glaubensaposteln,
von mönchischen Werkleuten selbst oder unter ihrer Leitung besorgt wurde, und daß
man es schließlich nicht mehr nötig hatte, einen überlieferten Volksglauben, der seinen
heidnisch-religiösen Charakter bereits stark eingebüßt hat, mit Konzessionen zu begün-
stigen, die die Weiterverherrlichung antiken Götterglaubens gefördert hätten. Zu den
noch gegenwärtig bestehenden uralten Volksglauben (»Aberglauben« usw.) und zu den
vielen damit verbundenen unausrottbaren Bräuchen sei übrigens bemerkt, daß diese zähen
Überlieferungen bei allen indogermanischen Völkern einen gemeinsamen Ursprung auf-
weisen lassen, was im wesentlichen auch in der auffallend großen Verwandtschaft ihrer
mythischen Sagen und ihrer Rechtssagen zu erkennen ist.
Da die heidnische Mythologie (vor allem die griechisch-römische) in der mittelalter-
lichen Kirche zum Dämonenglauben wurde, ist der Großteil antiker Motive in der kirch-
lichen Plastik nur im Geiste einer christlichen Ikonographie zu erklären, zu deren Deu-
tung uns die heiligen Schriften, die verschiedenen im Mittelalter entstandenen Werke
einer zeitgemäßen christlichen Bildersprache, der fast in allen Sprachen übersetzte Phy-
siologus, die Bestarien und Fabelbücher und die archäologischen Forschungsresultate der
letzten Jahrzehnte erschöpfende Auskunft geben. Diese oft bizarren Bildnereien wurden
auch durch den Geist der Gotik und nicht zuletzt durch die merklichen Anfänge der
Renaissance in der Dichtkunst besonders begünstigt* 1)- Eine phantasiereiche, erfinderische
plastische Bildersprache war in jenen Zeiten für die Volksbildung um so notwendiger,
als die Massen bekanntlich weder lesen noch schreiben konnten. Man darf sich daher
nicht verwundern, an mittelalterlichen Kirchen allerlei exotisch anmutendes Getiere und
Gewirre, Sirenen, Satyren, Kentauren, dämonische Gestalten usw. zu bestaunen, wenn
man dazu die richtige Erklärung findet und diese Bilder als Darstellungen von Dämonen,
von Tugenden und Lastern erkennt und ihre beliebte Benützung in Typologien, Alle-
gorien, Moralitäten, in der christlichen Symbolik überhaupt einzuschätzen versteht. Nur
unter diesem Gesichtspunkte kann christliche Archäologie betrieben werden; wer aber
dabei an das Fortbestehen heidnischer Götterverehrung denkt und die Weltanschauung
der Entstehungszeit dieser Plastik (Kreuzzugsperiode!) gänzlich verkennt, dessen Streben
wäre vergebliche Mühe, richtige Lösungen zustande zu bringen. Übrigens wissen wir aus
der Lebensgeschichte vieler Glaubensaposteln, daß sie bei der Bekehrung nicht immer
gar so kritisch vorgingen und sogar den Mut fanden, die in Tempeln verehrten Götter-
statuen zu zerstören oder in den See zu werfen2). Aber ganz abgesehen davon, wissen
wir, daß gerade bei den Germanen mit Rücksicht auf ihre Naturreligion der Götterbilder-
kult kein besonders ausgeprägter war; er kam durch römischen Einfluß ziemlich spät
auf und war kaum von so wesentlicher Bedeutung, daß die Kirche genötigt gewesen
wäre, noch im n., 12. Jahrhundert oder gar später Gotteshäuser mit germanischen Göttern
als Zeichen der Verehrung zu zierens).

J) Vgl. u. a. Ferd. Piper, Mythologie der christl. Kunst, Weimar 1847; Ottes Kunstarchäologie (1883),
I, 499; Kreuser, Der christliche Kirchenbau (Bonn 1851); Heider, Die Rom-Kirche zu Schöngrabern
(Wien 1855); Richard Muther, Die Renaissance der Antike. Die Kunst, Bd. VIII, Berlin. — 2) Der
hl. Kolumban und der hl. Gallus stürzten Götterbilder in den Bodensee, der hl. Kilian in den Main
(sie wurden im Jahre 1474 wieder aufgefunden), der hl. Domitian zerstörte die slawische Göttertrias
in Kärnten und warf ihre Säulen in den Millstätter See. — 3) Vgl. Tacitus, Germania I, Kap. 9, 40;
Annalen I, 15; Prof. Dr. E. Mogk, Germanische Mythologie, Sammlung Göschen, Leipzig 1906; Friedr.
 
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