Phot. Anderson, Rom
GIOTTO: APSIDENBOGEN MIT AUSSENDUNG DES ENGELS GABRIEL UND VERKÜNDIGUNG
PADUA, CAPPELLA SCROVEGNI ALL’ARENA
GIOTTOS FRESKEN IN DER ARENA-KAPELLE ZU PADUA
ALS EPOS UND WELTBILD BETRACHTET
Von CURT H. WEIGELT1)
IVTan hat es zuweilen ein formalistisches Spiel genannt, daß die drei großen Gesänge der
»Göttlichen Komödie« alle mit ein und demselben Worte schließen, dem Worte »stelle«
—- Sterne. Aber die Dante-Kommentatoren sahen doch schon früh, welch tiefer Sinn in
diesem Gleichklang liegt, der mehr ist als eine bloße Form, auch wenn man sie hochgegrif-
fen heißen würde. Es ist nun ein Wesenzug mittelalterlicher Geistigkeit, schon in der
schlichten Entsprechung ein zauberhaft geheimnisvolles Band zu sehen, das noch bedeu-
tungsreicher und ausdrucksstärker wurde, wenn die Entsprechung in These und Antithese
sich ins Gegenteil verkehrte. Dieser dreifache Sternengleichklang der »Göttlichen Komö-
die« ist in seinem Sinne noch nicht erschöpft, wenn man ihn in das Licht einer solchen Be-
deutung rückt. Denn es sind nicht nur die Endworte der drei Zeilen, die voll innerer Be-
ziehung aneinander geknüpft werden, es sind die ganzen Verse, die sich verschränken zu
dem kleinen, aber großgesehenen Abbild dieser Wanderung aus der Tiefe zur Höhe, dieser
wahren Himmelswanderung. Hört man es nicht wie verhaltenen Jubel, was am Schluß der
Höllenfahrt aufblüht: »e quindi uscimmo a rivedere le stelle«2), fühlt man es nicht wie die
*) Diese Arbeit bringt den wesentlichen Inhalt eines öffentlichen Vortrages, den der Verfasser im
März 1928 im Deutschen Kunsthistorischen Institut in Florenz gehalten hat. Da es hier nicht mög-
lich ist, die ganze Freskenreihe abzubilden, sei auf Band 29 der »Klassiker der Kunst« hingewiesen,
der Giotto gewidmet ist und sämtliche Fresken reproduziert. — 2) Die drei angeführten Verse lauten
Die christliche Kunst. XXV. April. 7
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GIOTTO: APSIDENBOGEN MIT AUSSENDUNG DES ENGELS GABRIEL UND VERKÜNDIGUNG
PADUA, CAPPELLA SCROVEGNI ALL’ARENA
GIOTTOS FRESKEN IN DER ARENA-KAPELLE ZU PADUA
ALS EPOS UND WELTBILD BETRACHTET
Von CURT H. WEIGELT1)
IVTan hat es zuweilen ein formalistisches Spiel genannt, daß die drei großen Gesänge der
»Göttlichen Komödie« alle mit ein und demselben Worte schließen, dem Worte »stelle«
—- Sterne. Aber die Dante-Kommentatoren sahen doch schon früh, welch tiefer Sinn in
diesem Gleichklang liegt, der mehr ist als eine bloße Form, auch wenn man sie hochgegrif-
fen heißen würde. Es ist nun ein Wesenzug mittelalterlicher Geistigkeit, schon in der
schlichten Entsprechung ein zauberhaft geheimnisvolles Band zu sehen, das noch bedeu-
tungsreicher und ausdrucksstärker wurde, wenn die Entsprechung in These und Antithese
sich ins Gegenteil verkehrte. Dieser dreifache Sternengleichklang der »Göttlichen Komö-
die« ist in seinem Sinne noch nicht erschöpft, wenn man ihn in das Licht einer solchen Be-
deutung rückt. Denn es sind nicht nur die Endworte der drei Zeilen, die voll innerer Be-
ziehung aneinander geknüpft werden, es sind die ganzen Verse, die sich verschränken zu
dem kleinen, aber großgesehenen Abbild dieser Wanderung aus der Tiefe zur Höhe, dieser
wahren Himmelswanderung. Hört man es nicht wie verhaltenen Jubel, was am Schluß der
Höllenfahrt aufblüht: »e quindi uscimmo a rivedere le stelle«2), fühlt man es nicht wie die
*) Diese Arbeit bringt den wesentlichen Inhalt eines öffentlichen Vortrages, den der Verfasser im
März 1928 im Deutschen Kunsthistorischen Institut in Florenz gehalten hat. Da es hier nicht mög-
lich ist, die ganze Freskenreihe abzubilden, sei auf Band 29 der »Klassiker der Kunst« hingewiesen,
der Giotto gewidmet ist und sämtliche Fresken reproduziert. — 2) Die drei angeführten Verse lauten
Die christliche Kunst. XXV. April. 7
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