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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Hrsg.]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 25.1928/​1929

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Lill, Georg: Um neuzeitliche Kirchenbaukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.59007#0391

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UM NEUZEITLICHE KIRCHENBAUKUNST
Von GEORG LILL
Tn diesem Hefte wurden die wesentlichen Ergebnisse von verschiedenen Wettbewerben
-*■ für neue Kirchenbauten zusammengestellt, um zu zeigen, wie die Entwicklung weiter-
schreitet, manchmal vielleicht in noch nicht ganz realisierbaren Plänen, aber immer mehr
in ganz bestimmter Richtung.
Die Beteiligung bei den Wettbewerben zeigt durchgängig das eine erfreuliche Haupt-
resultat: Die Zeit der retrospektiven Stilimitation ist endgültig bei bedeutungsvolleren
Bauten zu Ende. Die alte Richtung ist bei all diesen Gelegenheiten prozentual geradezu
verblüffend gering vertreten. Gewiß ist damit nur nach der negativen Seite ein Ergebnis
konstatiert, positiv ist deshalb über die Höhe der neuzeitlichen Leistungen noch nichts
gesagt.
Praktisch hat somit das Wollen zu einer neuzeitlichen Gestaltung des deutschen Kir-
chenbaues innerhalb der katholischen Kirche so gut wie völlig gesiegt. Um so stärker wogt
in der letzten Zeit wieder der theoretische Streit um die Berechtigung eines solchen Wol-
lens, am stärksten in einzelnen süddeutschen, für den Klerus bestimmten Standesblättern.
Neben manchem, in seiner engen Einstellung zu neuzeitlichen Problemen seltsam an-
mutenden Aufsatz — wird doch in einem solchen sogar gegen die moderne, sozial abso-
lut notwendige Siedlung in Wohnungskolonien Front gemacht —, erheben sich auch
ernsthaftere Einwände, die aber auch nur in der negativen Ablehnung des Neuzeitlichen
einig sind, ohne positive Vorschläge zu einem anderen, kirchlich angeblich einwandfreieren
Gestalten mit derselben Einigkeit aufstellen zu können. Während der eine glaubt, man
könne doch so gut barock heute weiterbauen, wie im 17. und 18. Jahrhundert, weil die gro-
ßen Meister der damaligen Zeit bewiesen hätten, daß es etwas Großes um diese Kunstrich-
tung sei, wendet sich der andere mit Abscheu und Entsetzen von der unkirchlichen Art
dieses Stiles ab und erklärt sich nur für die Alleinberechtigung des gotischen Stiles als
kirchlich. Wer nur ein wenig um die kunsthistorische Einstellung des 19. Jahrhunderts
weiß, sieht sofort, daß damit ein alter Streit, der ein Jahrhundert, bis zu Kardinal Fischer
in Köln, getobt, aufgewärmt, aber damit nicht verbessert ist. Beide vergessen die Er-
kenntnis, die das 20. Jahrhundert gegenüber dem 19. Jahrhundert sich inzwischen als
unveräußerliches Gut errungen hat, nämlich, daß jede Zeit nur im Stile, d. h. im Gefühls-
ausdruck ihre r Einstellung in Formen reden, somit bauen, malen, bilden kann, selbst
wenn diese Form von einer höheren, zeitlich entfernten Einstellung aus schwächer, ideen-
armer, härter oder sonst unvollkommener sein sollte. Auch eine hochstehende, ernst zu
nehmende und starke Anforderungen stellende Kritik des modernen Kirchenbaues ist
von Hans Karlinger im »Hochland« erschienen1).
Die Einwände gegen die neue Formgebung gehen auf geistige wie künstlerische Gründe
zurück. So erhebt ein Kritiker in besonders scharfer Zuspitzung den Vorwurf, die ganze
moderne Kunst gehe auf den Bolschewismus zurück und sei schon aus dieser Ursache für
die Kirche unverwendbar. Nur aus einer sehr oberflächlichen Kenntnis der modernen
Kunstentwicklung kann eine solche Behauptung, die leider imstande ist, einen unverbesser-
lichen Widerwillen gegen die neue Kunst in gewissen Kreisen zu erzeugen, fließen. Die
moderne Kunst ist viel älter als der Bolschewismus, hat zudem seit ihrer Abwendung vom
Naturalismus und Impressionismus eine starke Trennungslinie zum Materialismus und
Libertinismus des 19. Jahrhunderts gezogen. Die moderne Architektur geht wesentlich seit
dreißig Jahren auf deutsche Geisteseinstellung zurück, die auch gar nichts mit Bolsche-
wismus zu tun hat, sondern auf eine innerlich gesunde Art wegwollte von falscher Ro-
mantik. Sentimentalität, Verlogenheit zu einer ehrlichen tektonischen Sachlichkeit, die nur
dem Grundzug eines ehrlichen deutschen Wesens entspricht — auch in der Vergangenheit.
Wenn heute russische Theoretiker und einige westliche Fanatiker die Baukunst bewußt
entseelen, mechanisieren und entgeistigen wollen, so ist das nur eine Abart und Auswuchs

*) Vgl. Hans Karlinger, »Gedanken über Kirchenbauten in unserer Zeit« in »Hochland« XXVI, 2
(1928/29), Aprilheft S. 72 ff.

Die christliche Kunst. XXV. September. 12

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