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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Hrsg.]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 25.1928/​1929

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Wackernagel, Martin: Helen Wiehens religiöse Wandmalereien
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Wackernagel, Martin: Die neue Gesellenhaus-Kapelle in Münster
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https://doi.org/10.11588/diglit.59007#0266

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236 DIE NEUE GESELLENHAUS-KAPELLE IN MÜNSTER
gegeben wurde, ihr starkes religiöses Empfinden in der durchaus persönlichen Sprache ihrer
Kunst hier im Gotteshause in so hervortretendem und eindringlichem Maße zum Aus-
druck zu bringen.
Wir wissen nicht, ob die hochwürdigen Pfarrherrn von Weiler und Wattenscheid, als
sie Helen Wiehen Auftrag erteilten, an den alten Disziplinarsatz des »Mulier taceat . . «
gedacht haben, dem doch sonst gerade im nördlichen Deutschland, selbst bei der gottes-
dienstlichen Musik noch immer mit so rigoroser Buchstabentreue nachgelebt wird. Aber
wir müssen uns freuen, angesichts der so zustande gekommenen ausgezeichneten Werke,
daß ihnen jenes Bedenken ferngeblieben ist. Und wir wünschen aufrichtig, daß einer nun
so eigenartig ausgereiften Gestaltungskraft noch manche andern kirchlichen Räume zu
weiterer Betätigung sich auftun möchten.

DIE NEUE GESELLENHAUS-KAPELLE IN MÜNSTER
Von MARTIN WACKERNAGEL
TAie schöne westfälische Bischofsstadt Münster ist mit Bau- und Bildwerken alter kirch-
lieber Kunst ungewöhnlich reich gesegnet, sie ist in ihrem ganzen Wesen von einem
ebenso ungewöhnlich reichen katholisch-kirchlichen Leben erfüllt; und doch, dieses durch
die Stadt hin so ausdrucksvoll auftretende Kunsterbe der Vergangenheit und alle die
festgefügte, stark pulsierende Katholizität der Bevölkerung, sie hatten bislang im kirchen-
künstlerischen Gebaren dieses »westfälischen Rom« kaum irgendwelche beachtenswerte
Früchte hervorgebracht. Von der in den letzten zehn Jahren fast überall so energisch
geförderten Reform des kirchlichen Kunstlebens, die in manchen kleineren Orten der
Diözese doch auch schon recht erfreuliche Ergebnisse zeitigte, blieb die Flauptstadt
des Bistums noch immer fast unberührt. Erst in jüngster Zeit scheint der zähe Wider-
stand alteingewurzelter Gewöhnungen und Vorurteile auch hier allmählich durchbrochen
zu werden: Für den vor Jahresfrist begonnenen Neubau einer großen Vorstadtkirche
zum Heiligen Geist ist, zu allgemeiner Überraschung und trotz vielfachster Proteste, eine
Planung in rückhaltlos moderner Architektur gewählt und ins Werk gesetzt worden, wo-
mit denn auch eine gleichgerichtete malerisch plastische Ausstattung dieses Kirchenbaus
sozusagen unvermeidbar präjudiziert ist.
Als ein kleiner Versuchsballon gleichsam — zur Vorbereitung des großen in Heilig-
Geist zu leistenden Aufstiegs in die Sphäre einer wirklich künstlerischen Ars sacra —
ist nun vor kurzem die Ausschmückung des Kap e 11 en r a u m s in dem großen Erweite-
rungsbau des Gesellenhauses zu Münster in Erscheinung getreten. Und von dieser wirk-
lich wohlgelungenen Unternehmung möchten wir hier, unter Vorlegung einzelner Bild-
proben kurz berichten. Zwei in München ansässige jüngere Künstler, der Maler Ludwig
Baur und der Bildhauer Hans Dinnendah 1 haben gemeinsam dieses Ensemble ge-
schaffen, das den architektonisch sehr unscheinbaren, niedrigen Saal zu einem kleinen
Kabinettstück kirchlicher Ausstattungskunst werden ließ.
Hauptsächlich handelte es sich um die eine Schmalwand des rechteckigen Raums, in
deren Mitte der Altar seinen Platz hat. Dieser selbst ganz schlicht in seiner Form, aber
bedeutsam überragt von einer nahezu lebensgroßen holzplastischen Kreuzigungsgruppe
Dinnendahls, dessen echt niederrheinische, schwerblütige und zugleich zartsinnige Art in
diesen drei Figuren eine feine Ausprägung gefunden hat (Abb. S. 237 u. 238). Auf alles
naturalistische oder bloß dekorative Detail ist bewußt verzichtet und gewiß mit Recht;
nur aus dem Weglassen aller Äußerlichkeiten konnte der Weg gefunden werden zu so
gesammelter Eindringlichkeit und Stärke des künstlerischen Ausdrucks. Es sind Gestalten,
deren körperliches Abbild fast nur auf ihre geistige Bedeutung hin, als Gefäße und
Träger seelischen Gehaltes, durchgeführt scheint.
Diese dunkeltonig vollplastische Gruppe bildet nun zugleich das auch gegenständlich
gewichtigste Glied des bildlichen Erzählungsverlaufs, der auf den beiderseits anstoßen-
den Wandflächen, mit vierzehn in Malerei vorgeführten Szenen — von der Verkündigung

I) Beide Künstler werden in Kürze nach Essen übersiedeln, da sie in dortiger Gegend weitere
Aufträge erhalten haben.
 
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