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Die Gartenkunst — 42.1929

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Nr. 11
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Vom Frankfurter Palmengarten
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GARTEN-GESTALTUNG

Vom Frankfurter Palmengarten

EINST*)
Der Pförtner die Hand am Schirm der Mütze. Silberne
Litzen drauf, auch am Kragen des Rockes von grünem
Tuch, besetzt mit goldenen Knöpfen. „Abonniert?” „Abon-
niert!” Man passiert die Sperre, vorbei an dem myfleriösen
Portierhäuschen, an dem lehr bunte Postkarten aushängen
und Konzertprogramme. Drinnen ist man sogleich um-
fangen und getragen von einer ehrfurchtgebietenden Eleganz,
von einem Reichtum der Linien und Farben, der sich einem
etwas auf die Brust legt.
Teppichbeete sind das nächste, merkwürdige Hufeisen und
Quadrate aus ganz niedrigen Blumen, die man auch oft
in den Vorgärten des Frankfurter Westends sieht und die
glänzen in Gepflegtheit und Saft. Und ein grüner Rasen
schlingt sich um ein Wasserbassin, in den vier Ecken des
Ratens anmutig-verschämte Figuren aus Stein und sehr
große Vasen, aus denen allerhand Üppiges herauswächst.
Dahinter fleht das Haus, Verkörperung und eigentliche
Ausgeburt des Palmengartens, schloßartig, romantisch, weiß
und verschnörkelt, säulenbelebt und geranienüberhängt.
Ein Kindertraum und ein Bürgertraum. Erdacht und
ermöglicht von Bürgern, benutzt von Bürgern einer reichen
Stadt, eingereiht in ein Stadtviertel voll ähnlicher Privat-
häuser, die alle das gleiche, fall: südliche Selbstbewustsein
atmen. Io sono io! —Dieses Haus besitzt einen Saal, in
dem man sich trifft, in dem man als ältere Frau einen
Mittwochstisch hat, an dem gestrickt wird und Kaffee ge-
trunken; Männer, die miteinander alt und älter geworden
sind, essen hier regelmäßig zusammen, politisieren, rauchen
und hören dazu das Palmengartenorchester, das beneidens-
werte Musik spielt, „Mignon”, „Die Stumme von Por-
tici”, „Der Wildschütz” oder „Lache Bajazzo”. Der Saal
ist sehr groß und hoch, mit viel Gold, Figuren und Schnitze-
reien und Ölbildern, alles im Geschmack der „italienischen
Renaissance”. Und vom Saal aus steigt^man ein paar
Stufen herunter und steht
im Palmenhaus: Ein Dom
aus Grün, aus Palmenstäm-
men und Gummibäumen,
aus Glas und himmelhohen
Eisenrippen tut sich auf,
wölbt sich und macht einen
beklommen und etwas
schwindlig. Wer wird je die-
ses Parkett von kleinen grü-
nen Pflanzen vergessen, die
ewig saftig, üppig sind, ein
kleines Stäbchen steckt drin
mit einem Schild darauf, auf
dem man liest „Selaginella
Martensii (Mexiko)”. Mit
braunem Sand bestreute

:s) Aus Frankfurter Zeitung 726
(29. 9. 1929).

schmale Wege schlängeln sich zwilchen Kübeln und Riesen-
blättern zu einem kleinen See, zu einem Wasserfall, der
von künstlicher Höhe braust. Marmorgruppen glänzen
durch Grün, Treppen führen herauf und herunter. Ge-
wundene Geländer, Schwüle und Feuchtigkeit! Gläserne
Türen öffnen sich zu den kleinen Treibhäusern in denen
man sich fürchtet vor Üppigkeit.
Draußen vor dem Haus liegt der See, breit, romantisch,
gekrönt vom „Schweizerhäuschen“, das rätselhaft ganz l’art
pour l’art über einem riesigen Wasserfall thront. Und unter
dem Wasserfall sind Tuffsteinhöhlen, künstliche Höhlen-
gänge und Dunkelheit. Über dem See schwebt eine
merkwürdige Brücke an Drahtseilen leicht und kühn über
dem Wasser; man lehnt die Arme aufs Geländer, füttert
die fetten Karpfen; die Enten schnattern neidisch, tauchen
und strecken das Hinterteil gen Himmel. Insein sind im
See mit Schwanenhäusern drauf und großen Bäumen! Dann
geht man wieder romantische Stufen hinunter zum Boots-
haus, wo weiß und korrekt Boote in einer Reihe liegen:
„Maiglöckchen“, „Lilie“, „Undine“, „Nixe“, „Nelke“. Wer
leichtsinnig ist, „grönländert“.
Weiter geht es durch Regimenter von Blumen zum Tennis-
platz, wo man harmlos spielt, ohne große Ziele, nur so
aus Fröhlichkeit. Im Winter wird der Tennisplatz zur
Eisbahn umgewandelt. Und der Hauptreiz ist auch hier,
daß sich der junge Mann und das junge Mädchen treffen
dürfen. Am Rand gehen die Eltern auf und ab, warten
und beobachten und begrüßen zwischendurch Bekannte.
Und der Kinderspielplatz! Schaukeln und Schwebebalken
und Rundlauf und Karussell sind ohne Pause in Bewegung,
belagert und verteidigt von Buben und Mädchen. Im
Hintergrund ist ein geheimnisvolles Haus, in dem es
Kühe gibt und Milch. Es heißt der Milchhof, ist aber in
Wirklichkeit die Villa Leonhardsbrunn, ein schönes klassisches
Gebäude, das der Palmengarten angekauft hat. Und wieder
kommen Rasen und Blumen
und Boskette und Grüpp-
chen und gefüllte Blumen-
vasen und hohe herrliche
Bäume! Am Sommerabend
spielt die Musik im Freien.
Das Musiktempelchen sieht
aus wie ein durchgeteilter
Globus. Der Taktstock des
alten Dirigenten klopft ans
Pult, Hunderte von Leuten,
die um den Pavillon wan-
deln, sehen in die gedruck-
ten Programme, der „Pilger-
chor“ schwillt langsam an,
man lustwandelt dazu im
Kreis. Die Dämmerung wird
dichter, und die Lampen
gehen an, diese runden spie-
ßigen Milch glocken, die aus-


Pahnengarten in Frankfurt a. M. — Ansicht bis 1929
Nach einer im Handel befindlichen Aufnahme

Gartenkunsl, 42. Jahrgang, Nr. ir, November 1929.

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