schwerlich gelten lallen. Und doch ist es nötig, lieh lelbst
und allmählich vielleicht auch das Publikum dazu zu er-
ziehen, Physiognomik in der Gartenkunst zu treiben. Es
ist nicht uninteressant festzustellen, daß Störungen durch
Fremdkörper in Nutzzweckgebilden allgemein lehr schnell
bemerkt werden: Das Stäubchen in der Taschenuhr, die
nicht mehr gehen will, der Rost im Tiirschloß, das lieh
nicht schließen läßt, das Unkraut im Gemüsegarten sind
Grund genug, sofort den Uhrmacher, den Schlosser, den
Gärtner zu rufen, weil man sich selbst nicht helfen kann,
aber doch diesen Gegenständen gemäß ihrem ursprünglichen
Zweck ihre Physiognomie wiederzugeben trachtet. Wie
verschwindend gering ist dagegen die Sorge der Menschen
von heute um die Reinheit der Physiognomie bei Ge-
bilden höheren Ranges? Wie wenige kümmern sich da
um störende Fremdkörper? Wie wenige rufen den er-
fahrenen Fachmann zu Hilfe? Die meisten tragen sogar
selbst die Fremdkörper in die Gebilde hinein; ganz wie
Kinder, die, ohne zu willen, daß sie „Unfug” treiben,
versuchen, ein Schlüsselloch mit möglichst vielen kleinen
runden Steinchen vollzustopfen. — —
Die angeführten Beispiele*), die sich unsehwer vermehren
ließen, dürften genügen, um zu zeigen, daß die physio-
gnomische Prüfung der heute sehr allgemein üblichen
Gestaltung von Park und Garten keineswegs zwecklos
ist. Denn sie lehrt uns, wie wenig noch der Unterschei-
dungssinn durchgebildet ist und wie sehr — durch den
Zeitgeist mit beeinflußt, — die Grenzen zwischen den Ge-
bilden höherer Rangstufen verwischt worden sind, da-
gegen aber allzu oft Modelaune, Witz und Willkür mit
mehr oder weniger Talent gepaart, ungehindert ihr Spiel
*) Einleuchtender als eine Beschreibung mit Worten bestätigten zahl-
reiche Lichtbilder als Beispiel und Gegenbeispiel die Ausführungen des
Redners. Leider ist es nicht möglich, diele Bilder, bei denen viele
Einzelheiten im Vortrag erörtert werden konnten, auch nur teilweise
dem Text einzugliedern.
treiben, als wenn allein in dieler „freien” Betätigungsart
die „Kunst” und die „Künstler” zu Recht und Geltung
gelangen könnten.
Obgleich es ein gewagtes Unternehmen war,, diese An-
gelegenheit zu erörtern, erschien es mir doch nötig, nach
Kräften mitzuhelfen an der Lösung eines Problems, das
jeden ernst strebenden Gartengestalter beschäftigen muß.
— Wer dieses Problem leugnet, wer seinen Beruf ledig-
lich als Gelderwerb auffaßt und sich opportunistisch ge-
wöhnt hat, der Sensationslust des Publikums, der Groß-
mannssucht des Auftraggebers, den Modelaunen der Zeit
freiwillig oder notgedrungen zu dienen, der kann selbst-
verständlich solchen Problemen nur gleichgültig gegen-
überstehen. Er muß sie als brotloses und daher zweck-
loses Theoretisieren ablehnen. Wer aber diese selbstver-
ständlichen Forderungen gelten läßt, weil sie sich auf
Binsenwahrheiten stützen, wird von selbst zu feiner und
sorgfältiger Unterscheidung zwischen Hingehörigem und
Nichthingehörigem, d. h. zur physiognomischen Prüfung
gedrängt. Er wird den warnenden Ruf Karl Schefflers*)
an den Deutschen Werkbund verstehen: „Der Künstler
gebe sich nur mit dem Besten zufrieden und strebe nach
jener inneren Vollkommenheit, die von Virtuosität eben-
so weit entfernt ist, wie von geschäftlicher Routine.”
Nur durch solches Streben, durch Selbstkritik und gegen-
seitige Kritik kann das Verantwortungsgefühl für Quali-
tätsarbeit und die Hoffnung auf einheitliche Gesinnungs-
gemeinsehaft lebendig bleiben als Bedingung für orga-
nische Kultur. Dann allein können wir uns mit Mephi-
stos Worten zum Baccalaureus trösten:
„Doch sind wir auch mit diesem nicht gefährdet
In wenig Jahren wird es anders sein.
Wenn sich der Moll auch ganz ab sür d geberdet
Es gibt zuletzt doch noch ’nen Wein.”
*) Karl Scheffler: Ein Arbeitsprogramm für den Deutschen Werkbund.
In „Kunst und Künstler”, November 1919.
Geschichtliche Entwicklung des Bremer Bürgergartens
Von Chr. H. Roselius, Gartenarchitekt, Bremen
Wenn ich Ihnen heute etwas über die Geschichte des
Bremer Bürgergartens erzähle, so bin ich mir bewußt,
daß ich nur Bescheidenes aus der Vergangenheit vorführen
kann. Die Quellen sind gering, und das noch Überlie-
ferte und Bestehende ist durch den Wechsel der Zeiten
und Moden bzw. des Geschmacks stark beeinträchtigt.
Das, was ich Ihnen biete, beruht zum größten Teil auf
der Forschung meines Freundes Gustav Brandes, und ich
danke ihm an dieser Stelle, daß er mir sein Forschungs-
material bereitwillig zur Verfügung gestellt hat.
Bis kurz gegen Ende des 16. Jahrhunderts liegen keine
bildlichen Beweise von vorhandenen Gärten vor, und
nur indirekt können wir auf das Dasein von Gärten
schließen. Zweifelsohne gab es aber in den letzten Jahr-
hunderten des Mittelalters Hausgärten im Weichbilde der
Stadt. Im 13. Jahrhundert konnte der Erzbischof den
Bürgern noch brachliegendes Gelände von Martini weser-
abwärts zur Bebauung überweisen, und wenig zerschnittene
Baublöcke gaben für Gärten Raum. Die Stephansstadt
zeigt erst im 18. Jahrhundert eine geschlossene Bauweise.
Um die Wende des 16. Jahrhunderts erscheinen Kupfer-
stichblätter, die die ältesten bildlichen Darstellungen
Bremens überliefern. Ein Stadtplan aus Braun und Hogen-
bergs Städtebuch von 1590 zeigt, daß nicht nur in der
Stadt, sondern auch vor den Toren außerhalb der Stadt-
mauern Gärten vorhanden waren. Die Zeichnungen
gehen bei dem verhältnismäßig kleinen Maßstab natür-
lich nicht auf Einzelheiten der Gärten ein, genügen aber
doch, um lieh ein Bild davon machen zu können. Der
Plan zeigt, daß nicht unansehnliche Gartengrundstücke in
größerer Anzahl das Stadtbild belebten, besonders in der
Domstadt, die weiträumig bebaut war und zur stiftischen
Immunität gehörte. Gerade hier haben sich bis in das
19. Jahrhundert hinein große Gärten erhalten, und ich
erinnere mich noch des schönen Gartens am Pastoren-
hause, in dem wir den Konfirmationsunterricht emp-
fingen.
Die Gärten vor den Toren werden anfangs wohl nur
o
und allmählich vielleicht auch das Publikum dazu zu er-
ziehen, Physiognomik in der Gartenkunst zu treiben. Es
ist nicht uninteressant festzustellen, daß Störungen durch
Fremdkörper in Nutzzweckgebilden allgemein lehr schnell
bemerkt werden: Das Stäubchen in der Taschenuhr, die
nicht mehr gehen will, der Rost im Tiirschloß, das lieh
nicht schließen läßt, das Unkraut im Gemüsegarten sind
Grund genug, sofort den Uhrmacher, den Schlosser, den
Gärtner zu rufen, weil man sich selbst nicht helfen kann,
aber doch diesen Gegenständen gemäß ihrem ursprünglichen
Zweck ihre Physiognomie wiederzugeben trachtet. Wie
verschwindend gering ist dagegen die Sorge der Menschen
von heute um die Reinheit der Physiognomie bei Ge-
bilden höheren Ranges? Wie wenige kümmern sich da
um störende Fremdkörper? Wie wenige rufen den er-
fahrenen Fachmann zu Hilfe? Die meisten tragen sogar
selbst die Fremdkörper in die Gebilde hinein; ganz wie
Kinder, die, ohne zu willen, daß sie „Unfug” treiben,
versuchen, ein Schlüsselloch mit möglichst vielen kleinen
runden Steinchen vollzustopfen. — —
Die angeführten Beispiele*), die sich unsehwer vermehren
ließen, dürften genügen, um zu zeigen, daß die physio-
gnomische Prüfung der heute sehr allgemein üblichen
Gestaltung von Park und Garten keineswegs zwecklos
ist. Denn sie lehrt uns, wie wenig noch der Unterschei-
dungssinn durchgebildet ist und wie sehr — durch den
Zeitgeist mit beeinflußt, — die Grenzen zwischen den Ge-
bilden höherer Rangstufen verwischt worden sind, da-
gegen aber allzu oft Modelaune, Witz und Willkür mit
mehr oder weniger Talent gepaart, ungehindert ihr Spiel
*) Einleuchtender als eine Beschreibung mit Worten bestätigten zahl-
reiche Lichtbilder als Beispiel und Gegenbeispiel die Ausführungen des
Redners. Leider ist es nicht möglich, diele Bilder, bei denen viele
Einzelheiten im Vortrag erörtert werden konnten, auch nur teilweise
dem Text einzugliedern.
treiben, als wenn allein in dieler „freien” Betätigungsart
die „Kunst” und die „Künstler” zu Recht und Geltung
gelangen könnten.
Obgleich es ein gewagtes Unternehmen war,, diese An-
gelegenheit zu erörtern, erschien es mir doch nötig, nach
Kräften mitzuhelfen an der Lösung eines Problems, das
jeden ernst strebenden Gartengestalter beschäftigen muß.
— Wer dieses Problem leugnet, wer seinen Beruf ledig-
lich als Gelderwerb auffaßt und sich opportunistisch ge-
wöhnt hat, der Sensationslust des Publikums, der Groß-
mannssucht des Auftraggebers, den Modelaunen der Zeit
freiwillig oder notgedrungen zu dienen, der kann selbst-
verständlich solchen Problemen nur gleichgültig gegen-
überstehen. Er muß sie als brotloses und daher zweck-
loses Theoretisieren ablehnen. Wer aber diese selbstver-
ständlichen Forderungen gelten läßt, weil sie sich auf
Binsenwahrheiten stützen, wird von selbst zu feiner und
sorgfältiger Unterscheidung zwischen Hingehörigem und
Nichthingehörigem, d. h. zur physiognomischen Prüfung
gedrängt. Er wird den warnenden Ruf Karl Schefflers*)
an den Deutschen Werkbund verstehen: „Der Künstler
gebe sich nur mit dem Besten zufrieden und strebe nach
jener inneren Vollkommenheit, die von Virtuosität eben-
so weit entfernt ist, wie von geschäftlicher Routine.”
Nur durch solches Streben, durch Selbstkritik und gegen-
seitige Kritik kann das Verantwortungsgefühl für Quali-
tätsarbeit und die Hoffnung auf einheitliche Gesinnungs-
gemeinsehaft lebendig bleiben als Bedingung für orga-
nische Kultur. Dann allein können wir uns mit Mephi-
stos Worten zum Baccalaureus trösten:
„Doch sind wir auch mit diesem nicht gefährdet
In wenig Jahren wird es anders sein.
Wenn sich der Moll auch ganz ab sür d geberdet
Es gibt zuletzt doch noch ’nen Wein.”
*) Karl Scheffler: Ein Arbeitsprogramm für den Deutschen Werkbund.
In „Kunst und Künstler”, November 1919.
Geschichtliche Entwicklung des Bremer Bürgergartens
Von Chr. H. Roselius, Gartenarchitekt, Bremen
Wenn ich Ihnen heute etwas über die Geschichte des
Bremer Bürgergartens erzähle, so bin ich mir bewußt,
daß ich nur Bescheidenes aus der Vergangenheit vorführen
kann. Die Quellen sind gering, und das noch Überlie-
ferte und Bestehende ist durch den Wechsel der Zeiten
und Moden bzw. des Geschmacks stark beeinträchtigt.
Das, was ich Ihnen biete, beruht zum größten Teil auf
der Forschung meines Freundes Gustav Brandes, und ich
danke ihm an dieser Stelle, daß er mir sein Forschungs-
material bereitwillig zur Verfügung gestellt hat.
Bis kurz gegen Ende des 16. Jahrhunderts liegen keine
bildlichen Beweise von vorhandenen Gärten vor, und
nur indirekt können wir auf das Dasein von Gärten
schließen. Zweifelsohne gab es aber in den letzten Jahr-
hunderten des Mittelalters Hausgärten im Weichbilde der
Stadt. Im 13. Jahrhundert konnte der Erzbischof den
Bürgern noch brachliegendes Gelände von Martini weser-
abwärts zur Bebauung überweisen, und wenig zerschnittene
Baublöcke gaben für Gärten Raum. Die Stephansstadt
zeigt erst im 18. Jahrhundert eine geschlossene Bauweise.
Um die Wende des 16. Jahrhunderts erscheinen Kupfer-
stichblätter, die die ältesten bildlichen Darstellungen
Bremens überliefern. Ein Stadtplan aus Braun und Hogen-
bergs Städtebuch von 1590 zeigt, daß nicht nur in der
Stadt, sondern auch vor den Toren außerhalb der Stadt-
mauern Gärten vorhanden waren. Die Zeichnungen
gehen bei dem verhältnismäßig kleinen Maßstab natür-
lich nicht auf Einzelheiten der Gärten ein, genügen aber
doch, um lieh ein Bild davon machen zu können. Der
Plan zeigt, daß nicht unansehnliche Gartengrundstücke in
größerer Anzahl das Stadtbild belebten, besonders in der
Domstadt, die weiträumig bebaut war und zur stiftischen
Immunität gehörte. Gerade hier haben sich bis in das
19. Jahrhundert hinein große Gärten erhalten, und ich
erinnere mich noch des schönen Gartens am Pastoren-
hause, in dem wir den Konfirmationsunterricht emp-
fingen.
Die Gärten vor den Toren werden anfangs wohl nur
o