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Die Gartenkunst — 42.1929

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Sonderheft Bremen
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Allinger, Gustav: Von Gartenkunst zu Siedlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.59006#0242

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kunst die Rede sein dürfe? Im Kreise der Deutschen Ge-
sellschaft für Gartenkunst dürfte gerade diese letztere
Frage sonderbar berühren, denn wenn man sie verneinen
müßte, dann wäre es wohl an der Zeit, daß die Gesell-
schaft schleunigst Namen und Ziele ändert.
Will man zu einem Urteil darüber gelangen, so wird man
nicht umhin können, die historischen Zusammenhänge
zwischen Siedlung und Garten zu untersuchen und sich
wenigstens kurz an die Siedlungsäußerungen der letzten
vier Jahrhunderte zu erinnern.
Eines der bekanntesten älteren Siedlungsbeispiele ist die
im Jahre 1519 fertiggestellte Siedlung der Fugger in Augs-
burg. Während nun an diesen Fuggerischen Kleinwoh-
nungen noch keine Gärten lagen, finden wir 100 Jahre
später auf alten Stadtplänen deutlich die Anordnung von
Gärten innerhalb der einzelnen Wohnhausgruppen. Wir
willen von diesen Bürgergärten nicht gerade viel. Um so
belser läßt sich die Entwicklung der großen Gärten und
Parks .von der italienischen Renaissance an nach Frankreich,
Spanien, Holland, England und Deutschland verfolgen, und
jedermann weiß, welch glanzvolle Höhe die Gartenkunst
in den Schöpfungen Ludwigs XIV. erreichte.
Wir sind zwar gewohnt, Versailles einseitig nur als Gar-
tenschöpfung zu sehen, doch ist die Gesamtanlage von
Versailles in Wirklichkeit eine großzügige Verbindung von
Siedlung und Gartenkunst. Von hier aus empfingen die
deutschen Fürsten die lebendige Anregung zu den gro-
ßen, ihre Mittel oft weit überspannenden Plänen, und die
Projekte für die Gründung der Städte Karlsruhe, Lud-
wigsburg usw. sind überzeugende Beweise für die seit
jener Zeit kaum mehr erreichte ästhetische Einheit von
Wohnsiedlung und Gartenkunst. Im Vergleich mit sol-
chen Stadtsiedelungen bedeutet die von Friedrich dem
Großen in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts durch-
geführte Kolonisation, die durch seinen Willen von Pots-
dam bis weit nach Ostpreußen und Schlesien erbauten
Siedlungen, eine weitaus fortschrittlichere, eine immer von
neuem bewunderungswürdige Tat.
Ende des 18. Jahrhunderts schon bereitete sich von Eng-
land her der Umschwung vor, der den regelmäßigen Park
des 16. und 17. Jahrhunderts durch die idealisierte Land-
schaft verdrängte. Mehr und mehr war die Anlage der
dann folgenden deutschen Parkschöpfungen, wie Wörlitz,
Weimar, Wilhelmshöhe, Muskau u. a., welche die Ent-
wicklung in Deutschland kennzeichnen, zu einer, wenn
man so sagen will, reinen Kunstübung geworden. Wäh-
rend diese Gartenkunst noch ein Privileg des besitzenden
Adels war, wurde der Gegensatz zwischen Stadt und Land,
die Dehnung der Stadt zur Großstadt mehr und mehr
fühlbar, und nun wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts
der neue Siedlungsgedanke geboren, der sich im 20. Jahr-
hundert auswirkte.
In einer Veröffentlichung über die englische Gartenstadt-
bewegung führt Dr. Block an, wie Engels 1845 und Bebel
1879 die Schäden der Großstadtentwicklung erkannten
und wie Bebel in einem Abschnitt seines Werkes „die
Frau und der Sozialismus“ den Gartenstadtgedanken be-
reits klar zum Ausdruck brachte. Aber erst im Jahre
1898 erfolgte der eigentliche Anstoß zur Gartenstadtbe-
wegung durch Ebenezer Howard mit seinem Buch „Gar-
tenstädte in Sicht“. Wenn auch in Deutschland in die-
ser Zeit einige Männer ähnlichen Gedanken nachgegangen
waren, so gelang der Übergang von der Theorie zur

Praxis in England doch einige Jahre früher, nämlich im
Jahre 1904 mit der Gründung der Gartenstadt Letch-
worth.
Wie wurde es nun mit der Gartenkunst in der Zwischen-
zeit? Mit dem ständigen Anwachsen der Bevölkerung setz-
te nach 1870 eine umfangreiche Bautätigkeit ein, eine Zu-
sammenballung der Häus er, Verteuerung von Grund und
Boden erzeugten als Endprodukte Mietskasernen; Ver-
schönerungsvereine suchten mit äußerlichen Mitteln das
Elend wieder gutzumachen. Es folgte die Austeilung von
Stadtgärtnern, Einrichtungen von Gartenverwaltungen zur
Ausführung und Pflege der städtischen Anlagen. Die land-
schaftliche Gartenkunst herrschte noch immer und drückte
so bis 1900 hin fast allen neuen staatlichen und städti-
schen Gartenanlagen ihren Stempel auf. Auch der Privat-
garten, dem man viel länger als den großen Parks die
regelmäßige Gliederung gelassen hatte, wurde nach und
nach zur Landschaft und damit meist zur grotesken Ver-
irrung.
Wir stehen nun vor der merkwürdigen Tatsache, daß
der Kampf gegen solche Verirrungen, der Kampf für zweck-
und sinngemäße Gartengestaltung in denselbenjahren, etwa
1897—1907 ausgefochten wurde, in denen die Garten-
städte Letchworth in England und Hellerau in Deutsch-
land gegründet wurden. Alles dies ist kein zufälliges
Zusammentreffen, sondern wiederum ein Beweis für die
innere gesetzmäßige Verbindung von Siedlung und Gar-
ten. Sicher entsprang diese Wandlung -und Entwicklung
viel eher sozialen und ethischen als rein formalen Grund-
lagen, und zwar denselben sozial gerichteten Zielen, denen
von 1908 an in Deutschland die ersten Volksparks im
heutigen Sinne und die ersten großen Freistätten für Er-
holung und Leibesübungen zu verdanken sind. Es sei
hier vor allen Dingen auf die beiden Volksparks von
Fritz Encke, den Vorgebirgspark und den Blücherpark
in Köln hingewiesen.
Es zeigt sich nun, daß der Gartenstadtgedanke sich von
Siedlung und Garten nicht mehr trennen läßt. Im Jah-
re 1914 gab es in Deutschland bereits 30 Gartenvorstädte
und gartenstadtähnliche Gebilde. Aber Gartenstädte im
Sinne der Definition der deutschen oder englischen Gar-
tenstadtgesellschaftsindes bisher nicht geworden. Dr. Block
sagt darüber: „Die Gartenvorstadt ist nicht etwas mit der
Gartenstadt Verwandtes, nicht etwa eine kleine Schwester
der Gartenstadt, sondern vom ideellen Standpunkt
eine Mißgeburt, ein Namensmißbrauch. Die Garten-
vorstadt ist nichts anderes als eine erweiterte und belser
eingerichtete Schlafstelle der Großstadt. Indem sie das
Leben in der Großstadt erträglicher, angenehmer und ge-
sünder macht, vergrößert sie deren Anziehungskraft usw.“
Diese Anschauung sei deshalb wiedergegeben, weil sie mei-
nes Erachtens wesentlich ist für die Beurteilung der so-
genannten Hochbauweiie, der mehrstöckigen modernen
Mietgroßhäuser. Auf die Ziele und das Wirken der eng-
lischen und der deutschen Gartenstadtgesellschaft ist des-
halb immer wieder hinzuweisen, weil diese in erster Linie
die Anreger jener großen internationalen Bewegung ge-
worden sind, welche in dem internationalen Kongreß für
Wohnungs- und Städtebau sich konzentriert hat.
Ich möchte dabei gleichzeitig feststellen, daß auch die
Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst besonders in den
Jahren 1917 bis 1920 dem Problem der Gartensiedlung
ernsthaft nachgegangen ist und daß es nicht mehr als bil-

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