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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 38.1927

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Ritter, Heinrich: Neuzeitliche Tapeten: das belebende Element im Innenraum
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https://doi.org/10.11588/diglit.10702#0225

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INNEN-DEKO RATION

NEUE TAPETEN VON GEBR. RASCH & CO.-BRAMSCHE, FRITZ PEINE-EINBECK, PENSELER & SOHN-LÜNEBURG

NEUZEITLICHE TAPETEN

DAS BELEBENDE ELEMENT IM INNENRAUM

Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt« ist der
Mensch nicht nur als geistiges, sondern auch als
sinnliches Wesen. Das Ohr will hören, das Auge will
sehen. Und dies nicht nur zum Zeitvertreib, zum müßigen
Spiel. Aus der menschlichen Erfahrung ist die Tatsache
nicht wegzustreichen, daß die Verarmung an sinnlichen
Eindrücken auch eine Verarmung im Geistigen herbeiführt.
Wir sind nicht umsonst in eine Welt gesetzt, die sich in
so reichen Farben und Formen entfaltet; wir sind nicht
umsonst mit Augen begabt, denen das Aufnehmen von
neuen Eindrücken ein Fest ist. Es ist etwas Belebendes
und Bildendes in solchen sinnlichen Eindrücken. In form-
und farbloser Einsamkeit verkümmern wir; aber wenn
die Fülle sinnlicher Eindrücke uns reich umgibt, dann
erfahren unsere Kräfte eine entschiedene Steigerung.

*

Unter diesem Gesichtspunkt ist auch das zu betrachten,
was Rahmen und Umgebung unseres täglichen Lebens ist,
also die Wohnung und in ihr besonders dasjenige Ele-
ment, das mit seiner Farbe und seiner formalen Belebung
ständig so außerordentlich stark auf uns einwirkt: die
Wand und die sie schützende und belebende Tapete.

Das Erste ist freilich der Raum, also das Gefüge
von Höhe und Tiefe, Grundriß und Lichtführung. Aber
erst die Wandbehandlung macht den Raum fertig und
konkret. Denn an ihr liegt es, ob wir ihn in die Tiefe oder
in die Höhe dehnen, je nachdem wir querlaufende oder
aufstrebende Tapeten-Muster verwenden; an ihr hegt es
auch, ob wir ihn weiter oder enger machen, je nachdem
wir kalte oder warme Farben wählen; wozu sich dann
noch die zahlreichen Unterschiede zwischen heiterer und
ernster, anregender und ruhiger, kapriziöser und würdiger,
leichter und volltönender Wirkung gesellen. Eine »andere
Tapete« bedeutet jedesmal einen »anderen Raum«,
ein anderes Raum-Erlebnis 1 Sie bestimmt endgültig

sein Wesen; gibt ihm seinen eindeutigen Charakter und
setzt ihn zum Menschen in eine gesicherte Beziehung,
sie setzt ihn, wie die Melodie den Liedtext, erst in Musik,
gibt ihm die bestimmte psychologische Wirksamkeit. . .

Nicht genug ist der Eifer und die hohe Arbeitsge-
sinnung anzuerkennen, mit der die deutsche Tapeten-
Fabrikation in engster Zusammenarbeit mit unseren besten
Künstlern den ständig sich steigernden Anforderungen
moderner Wandbehandlung nachzukommen weiß. Kaum
kommen in der Dekoration neue Gedanken, neue Motive
auf, so ist alsbald die Tapete mit entsprechenden Aus-
prägungen dieser neuen Gedanken zur Stelle. Ein un-
geheurer Reichtum an Ideen ist in der Gesamtschau
deutscher Tapeten-Produktion niedergelegt. Eine leichte,
heitere Hervorbringung ist zu bemerken, weitab von je-
der Schwerfälligkeit oder kurzsichtigen Bequemlichkeit.
Was gezeigt wird, sind Tapeten unserer Zeit, Tape-
ten, die unseren Geist und unsere Lebensschwingung
durchaus kennen und ihnen aufs Feinste entsprechen.
Insbesondere findet die außerordentliche Differenzierung
des heutigen Farben-Geschmacks sehr weitgehende
Berücksichtigung. Man kann sich schwer vorstellen, daß
dieses zarteste Ineinanderschwingen angenehmer Farbtöne,
diese schier unendliche Fähigkeit, feinste Abstufungen
zu treffen, je überboten werden könnte. Mit allen die-
sen Eigenschaften entspricht die moderne Tapete nicht
nur der gegebenen Geschmacks-Artung der Zeit, son-
dern sie entfaltet damit auch eine durchaus spürbare er-
zieherische Wirksamkeit. Sie gewöhnt das Auge des
noch Ungeschulten an feinere Farben-Akkorde, sie ent-
wickelt sein Urteil und lenkt seinen Geschmack in be-
stimmte neue Bahnen. Das wird dann auch bei anderen
Gelegenheiten seine guten Früchte tragen können. Wenn
es wahr ist, daß gewählte sinnliche Eindrücke bildend auf
den Menschen wirken, dann bedeutet eine gute Tapete

1927. V. i.
 
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