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Dengler, Georg [Hrsg.]
Kirchenschmuck: Sammlung von Vorlagen für kirchliche Stickereien, Holz- & Metallarbeiten & Glasmalereien — 1.1857

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7. Heft
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Ein Besuch bei Sem, Cham und Japhet und die christliche Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.18467#0129

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liche bie vollendete seyn, wcil das Christen-
thnin die Wiederherstellung und Vcrvollkomm-
! nung des Menschen ist. Wenn es keine christ-
liche Kunst gibt, so inuß man entweder alle
^ Kunstthätigkeil als heidnisch und tcuflisch ver-
! dammen oder der unchristlichcn Kunst das Feld
^ einräumen.

Beides wird Herr St. nicht wollen.

Daun wird er es aber auch ganz natürlich
stnden, daß die Christen schon in den crsten
Jahrhundcrten des Heils angefaugen haben,
die Gegenstände ihrer religiösen Verehrung
durch Kunstgebilde zu verherrlichen. Wenn
er jene bedeuisamen unterirdischen Räume be-
trachtet hat, iu welchen die erstaunte Welt des
19. Jahrhunderts das Glauben und Lieben,
Leben nnd Treiben der ersten Christenheit tn
unmittelbarster Anschaunng studiren kann, dte
Katakomben unter Rom, so mußte er doch er-
kenneu, daß sein Kunsthaß nicht nur mii den
//Theorien" der moderncn ästhelischen Kirchen-
mäiiuer, sondern auch mii den Gesinnungen
jener ersten Cbristen im Widersprnch steht,
die der Urqnelle nnseres Glaubens so nahe
standen, dte !n den Zeiien blntiger Verfol-
glmgen nicht Mnße halten, sich mil erdachten
Theorien zu befassen. Dort finden wir jene
ungeheuren Ränme voll von Spnren urchrist-
licher Kunstihätigkeit. Bauformen, die zum
Theil schon abweichend von der heidnisch römi-
scheu Banregel, eine selbstständige Schaffungs-
krafi beiirknnden und die Elemente der spä-
tern, christlich romanischen Eniwicklung er-
kenncii lassen, bilden den Aufenihalt des Vol-
kes Gottes; Sculpturen und Gemälde ohne
Zahl schmücken ihn aus. Theils roh und un-
beholfen, theils fein u»d mit der ganzen Si-
cherheit eines in der klastisch-reinen Körper-
und Gesichtssoim geübten Pinsels, liefern sie
den Beweis, daß lebendiger Christenglaube
zur Kunstthäiigkeit mit Noihwendigkeit hin-
drängt. Die erstern zeigen nämlich unwider-
sprechlich, daß das gläubige Gemüih auch die
ungebildete Hand anireibt, zn thun, so viel
ste vermag. Die letztern geben zugleich die
schlagende Gewißhcit, daß die in der klassi-

schen Knnst aufgewachsene und gebildete Hand,
sobald sie sich aufrichtig in den Dienst des
Christenthums begeben hat, auch sogleich die
heidnischeLehrerin übertrifft. Unsere ehrwür-
digen Väker im unterirdischen Rom haben uns
Bilder hinterlassen, die mit den klassischen
Kunsterzeugnissen die Sicherheit derZeichnung
theilen, in Darstellunz der geistigen Anmnth,
Versinnlichung der übersinnlichen Schönheit
und Heiligkeit aber leisten, was jene nie konn-
ten, weil ihnen der Gegenstand dazu fehlte.

Dahin ist auch die Behauptung zu berich-
tigen, daß die Heiligen sich sehr wenig mit
Aesthetik abgegeben haben. Sie sind aller-
dings nicht Gründer und Mitglieder von christ-
lichen Kunstvereinen gewesen, was »icht nöthig
war. Denn wenn der Stnn für christliche
Kunst und thre Uebung nicht seit 300 Jahren
durch die Buhlerei mit der neuheidnlschen gar
tief herabgesunken und einer Erneuerung durch
Kenntniß und Nachahmung der alten Kunst
bedürfiig wäre, so dürfte es Niemanden ein-
fallen, einen Kunstverein zu sammeln.

Aber die Heiligen haben doch zu allen Zei-
ten die Zierde des Hauses Gottes nicht weni-
ger geliebt als David, und, wie die Geschichte
unwidersprechlich beweist (man darf nur den
Bibliothekar Anastasins über das Leben der
Päbste lesen), große Schätze dafür aufgewen-
det, um schöue Altäre, Altargewande, Kron-
leuchter, Sakramentgefäße u. dergl. zu stifren.
Da nun dte Zkerde des Gotteshauses niemals
etwa durch Aufhäufung von Goldklumpen und
Seidenballen, sondern durch zierliche Ver-
arbeitung dieser kostbaren Stoffe angestrebt
wird, sv können doch diese heiligen Verehrer
des Heiligthums »icht gar so unästhelisch ge-
sinnt gewesen seyn.

Kann ein Mensch selig werden, kann die
Kirche eristiren ohne Wissenschast? Nie-
mand wird das bezweifeln. Denn das Chrt-
stenthum besteht aus geoffenbarten Wahrhei-
ten, welche der menschlichen Wisscnschafr we-
der das Daseyn noch die Begründung verdan-
ken. Wenn also derHerrVerfasser dieKnnst-
bestrebungen verhöhnt, wcil die Kirche auch
 
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