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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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NEUE BÜCHER

Die Plastik der Ägypter von Hedwig Fech-
heimer. (Berlin, Bruno Cassirer.)

Für die Rolle des alten Simeon im Lukasevangelium
habe ich, wie mir scheint, kein ausgesprochenes Talent,
und doch hatte ich beim Durchblättern von Hedwig
Fechheimers „Die Plastik der Ägypter" grosse Neigung
auszurufen: „Nun lassest du deinen Diener in Frieden
fahren!"

Hier war eine Freude, auf die ich lange genug ge-
wartet hatte.

Nicht dass dieses Buch als eine Offenbarung wirkte.
Vieles, was in ihm ausgesprochen ist, hat jeder, der die
Kunstgeschichte nicht als eine rein historische Wissen-
schaft auffasst, wohl schon einmal empfunden. Aber es
wurde nirgends so ernst, so klar, so lebendig nieder-
geschrieben.

Ich will gegen die würdige Wissenschaft der Ägyp-
tologie nicht undankbar sein — sie hat im neunzehnten
Jahrhundert genug geleistet. Eine schwierige Sprache,
in einer sehr komplizierten Schrift, wurde entziffert.
Eine verlorene Grammatik konnte, sogar in ihren syn-
taktischen Feinheiten, rekonstruiert werden. Hacke
und Spaten förderten eine alte Kultur zu Tage, von der
auch die Antike selbst zu träumen verlernt hatte. Und
in dem edlen Wettkampf der Völker auf diesen Ge-
bieten — nennt man es nicht so? — hat Deutschland
manchen Preis errungen.

Aber das Verhältnis der Ägyptologie zur ägyptischen
Kunst blieb, vor allem in Deutschland, mehr oder weni-
ger das des Hahnes aus der Fabel zu der gefundenen
Perle. Es hat etwas Tragikomisches, dass die Männer,
deren Leben der Erforschung jener Sprache und jener
Kultur gewidmet war, zu dem richtigen Begriff der
Kunst niemals durchdrangen, und dass ihnen dadurch
die höchste Belohnung ihres Fleisses, eben der Genuss
jener Kunst, an der Nase vorbeiging. Sollen wir lachen
oder weinen, schelten oder bedauern, wenn wir sehen,
wie emsige Bienen einen Honig des Schönen sammeln,
dessen Wohlgeschmack ihnen auf immer versagt bleiben
muss?

Und doch kennt die Geschichte derKunst nur wenige
Epochen, in denen ein einheitlicher Stil so deutlich in
allem, was ein Volk hervorbringt, ausgedrückt liegt,
von der grossen Kunst an bis zu den kleinsten häuslichen
Gegenständen. Wenn je die Bewunderung für eine Kunst
die wissenschaftliche Neugier reizte, mehr von Leben
und Sprache des Landes zu erfahren, aus dem diese
Kunst hervorging, so musste dies in Ägypten der Fall
sein. Aber — o Ironie der modernen Gelehrsamkeit! —
es war gerade umgekehrt.

Indessen liefert dieses Buch den heiteren Beweis,
dass die Welt sich bessert. Nun liegt, wie wir hoffen,
die Zeit nicht mehr fern, dass Ausdrücke wie „kindliche

Vorstufen", „ungeschickte Anfänge" und mehr Der-
artiges aus den Handbüchern verschwinden. Es ist so
unbeschreiblich närrisch, eine Kunst kindisch, kindlich
oder primitiv zu nennen, weil sie mit der Kunst der
Kinder gewisse Züge gemein hat. Erstens ist es, wenn
zwei dasselbe thun, bekanntlich nicht dasselbe, dann aber
galt es auch bisher als eines erwachsenen Mannes Ruhm,
sich ein kindliches Gemüt bewahrt zu haben. „Wahr-
lich, ich sage euch: so ihr nicht werdet" .. . Im Gegen-
teil, eine Kunst, die kindliche Züge zu bewahren weiss
und dabei die Schönheit der Reife erreicht, steht höher
als eine, die in krampfhaftem Raffinement alles Kind-
liche abzuthun sucht. Gerade unsere Zeit fängt an dies
wieder zu begreifen; daher ist es erfrischend, ein Buch
zu rinden, das durch Erklärung und Wertschätzung einer
alten zum Credo einer neuen Kunst wird.

Schon bei oberflächlicher Betrachtung empfinden
wir, dass die Wahl der Bilder nicht von einem aus-
schliesslich wissenschaftlichen Standpunkt aus geleitet
ward. Sehen wir genauer zu, so gewahren wir, dass
ebensowenig die kalte, zeitlose Bewunderung des ge-
bildeten Sammlers die Zusammenstellung bestimmte.
Dieses Buch stammt von einem, der die Kunstentwick-
lung seiner eigenen Zeit miterlebt und in andern Zeiten
sucht, was der neuen Bewegung zur Stütze und Hilfe
dienen kann. Es ist die That eines Lebenden, der bei
den Toten Dokumente sucht, mit denen er das gute
Recht seiner missverstandenen Zeitgenossen beweisen
kann.

So ist auch der Text. Soweit ich es beurteilen kann,
wird kein gelehrter Ägyptologe gegen die wissenschaft-
liche Seite etwas einwenden können. Dies ist vortreff-
lich, aber viel vortrefflicher ist der feine Takt, womit
die Verfasserin den nicht ägyptologisch geschulten Leser
in das religiöse und künstlerische Denken und Fühlen
eines Volkes einführt, das höchste Verfeinerung mit
aufrichtiger Naivität zu verbinden wusste, in dessen
Philosophie und Kunst das Dichterische eines Natur-
volkes mit der Humanität und Bildung des Kulturmen-
schen untermischt war. Wir bewundern das Wissen,
das aus diesen Seiten spricht, aber mehr noch den In-
stinkt, womit die Verfasserin in ihrer eigenen Zeit Worte
und Strömungen aufzufinden wusste, die uns eine ver-
gangene Kunst verdolmetschen, und zu gleicher Zeit in
einer alten Kultur gerade solche Monumente nachwies,
die uns zum besseren Genuss der Werke lebender Künst-
ler erziehen.

In dem Buch, das man den Toten auf ihre schwierige
Reise ins Jenseits mitgab, befindet sich ein Kapitel,
woraus die Seele des Verstorbenen lernte, Thonpüpp-
chen, die ihm in sein Grab mitgegeben waren, zu leben-
digen Dienern umzugestalten, die auf den elysäischen
Gefilden die Feldarbeit für ihn verrichten sollten. Wer

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