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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 7.1927

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Heft 8 (August 1927)
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Litt, Theodor: Vom Bildungsganten und der Kunsterziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.23855#0210

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182^

lichkeil wie Milhelm von Zumboldk enkstehen, die
den ganzen Lebcnssinn in dieser Arbeit am Selbsk
beschlossen sah und diesen Lebenssinn ebenfalls in
ästhelischen Formulierungen am zutreffendsten glaubte
aussprechen zu können.

Aber jene Welt der „harmonischen Persönlichkei-
ken", sie ist unwiederbringlich dahin. Ls hak doch
wohl eine kiese und symbolische Aedeukung, dah ge-
rade derienige, üer dieses Neal der harmonischen
Persönlichkeit am eindruckvollsten verwirklicht hat,
dasz gerade Goethe in seiner sväteren Epoche der
„universalen" Aildung am enkschledensten abgesagt
hak. Goekhe ist hier ein Prophet gewesen; er hat
gemerkk, daß ein Zeitalker heraufzog, welches es dem
Menschen verbleten sollte, In der Formung des eige-
nen 3ch aufzugehen. Zeuke wiisen wir es alle: wir
sind hineingezogen in den Wtrvel eines Geschehens,
innerhalb dessen für eine sich absondernde reine Bil-
dungswelt kein Aaum ist. Und wir wissen fernerhin:
diese Kultur ffk nicht so geartek, daß sie In allen ihren
Teilen den Prinzipien ktlnstlerischer Gestalkung un-
kerskellk werden könnke. Die organisakorischen Ain-
dungen unseres Lebens, die Formen der wirkschaft-
lichen Arbeik und der sozlalen Gliederung sind nun
einmal so fest geworden, daß sie nicht mehr unter
dem Anhauch künstlerischen Gelskes gelöst und be-
seelt werden können. So gilt es auch für uns alle,
daß wir mlk Irgend einem Stück unseres Selbst
dieser Sachwelt verhafket und verpflichket sind. And
ich meine, diesen Sachverhalt sollke gsrade derjenige
am entschiedensten ins Auge fassen, der sjch fragt,
was er als künsklerischer Erzieher Im Ganzen un-
serer Kultur vermag. 3ch glaube in den Aeußerun-
gen der Kunsterzieher bisweilen einer Gefahr zu
begegnen, die ich mlt dem Worte „Panästheli-
zismus" bezeichnen möchke: der kllnsklerische Er-
zieher gibk sich dem Glauben hin, er könne mik der
Glut seines künsklerischen, Wollens unsere ganze
Kulkur !n einen neuen Zuskand umschmelzen. Es sind
Vildungsprogramme und Schulorganisalionsentwürfe
aufgekreken, die im Gcunde nichks anüeres zu ken-
nen schienen, als die in Ssthetischem Sinne sich selbst
genießende und geskalkende Dersönlichkeik und die in
ästhekischem Sinne sich selbst genießende und geskal-
tende Gemeinschafk. Wie vieles Ist doch aufgekreken
unker dem Llamen „Arbeiksschule", was in Wahrheit
von der harken und ernsken Sache, die wir Arbeit
nennen, rechk wenig zu wissen schien und im Grunde
dem Prinzip künsklerischer Gestalkung die Allein-
herrschaft einräumte. Demgegenüber sel die War-
nung ausgesprochen: die Kunst Ist gerade dann am
meisten bedrohk, wenn sie sich einbildek, einen solchen
Lrobecungszug in das Ganze der menschlichen Kul-
tur ankreten zu sollen. Denn wenn die Kunst alles
machen will, so wird sie bei solcher Melgeschäftig-
keit früher oder späker ihr eigenstes Wesen ein-
büßen. Kunst hak ihr eigenes Lebens- und Wert-
gebiet; In ihm möge sie heimisch sein, nicht aber möge
sie elnem Expansionsdrange Folge leisten, der sie
ihren eigenen Aufgaben enkfremdek.

Ilnd so meine ich: wenn wir uns ernstlich besinnen
auf Eigenart und Eigenwert der Kunst, dann muß
jene Aede von der „harmonischen Ausbildung aller
Kräfte" im höchsken Grade zweifelhaft erscheinen.
Denn unser gegenwärtiges kulkurelles Dasein Ist nichk
so geartek, daß wir hoffen dürften, mit künstlerischer

Erziehung die vorhandenen großen Gegensähe zum
Schweigen zu bringen. Es gibt da einen Aegriff
des „organischen" Zusammenarbeikens aller
Richtungen erzieherischen Tuns, der, wie Ich glaube,
dle Schwierigkeiken üer Lage unbillig verdeckt. Fra-
gen wir uns doch: ist das Leben der Zeit so
geartet, daß es in seinen wesentlichen Entscheidun-
gen und Enkwicklungen das Prinzip harmonischen
Zusammenwirkens zu verwirklichen vermöchke? 3a,
man wird sogar über die Grenzen unserer Zeit hin-
ausschreiten dürfen: gerade in den großen und ent-
icheidenden Epochen menschlichen Geiskeswerdens
haben sich die verschiedenen Äichkungen geiskigen
Tuns nicht im Verhälknis harmonischer Einstimmig-
keik enkfaltet, sondern vielfach in härtestem Gegen-
iatz aneinander emporentwickelt. Mir will scheinen,
oaß diese allgemeine Charakteristik für unsere Ge-
genwart in besonderem Maße zukrifft. Unsere Kulkur
ist nun einmal in weitem Umfange intellektualisiert,
kechnisierl und durchorganisierk. Wenn man glaubk,
daß man diese Eigenkümlichkeit unsrres Lebens mit
den Mitkeln der Erziehung rückgängig machen könne,
so ist das nichks weiker als romantische Sentimentali-
käk. Wir müssen mit der Taksache rechnen, daß unser
Leben lm weitesken Umfange dir gcnannten Eigen-
tllmlichkeiten zeigt: und wenn wir diesen Eigentllm-
lichkeiken das Prinzip der Kunsierziehung gegenüber-
stellen, so darf das nicht heißen wollen, daß wir aus
dem Geiste der Kunsk heraus alle jenen Aerfestigun-
gen unseres Lebens beseitigen könnken, sondern nur
dies, daß wir in der Kunst die Gegenmacht
gegen d'.e Tendenzen der Mechanisierung aufbieten
- dle Gegenmachk, üie den tzntellekk in seinem
eigenen Felde unangefochten läßt und nur sei-
nem Auswuchern llber das Ganze unseres Daseins
Einhalt gebielet. Der Gegensah zwischen einem
kräfkigen, wirkensfähigen tznkellekk und einer leben-
digen Kunst soll nicht zugunsken der lehteren aufge-
hoben, sondern in seiner ganzen Strenge erlebt, be-
jaht und für die Erziehung fruchkbar gemacht wer-
öen. Nicht harmonisierende Beschönigung, sondern
energisches Hindurchgehen durch die mit diesem Sach-
verhalt gegebenen Spannungen, das scheint mir die
Aufgabe der Bildung zu sein. Denn selbst wenn
wlr ekwa im Bannkreis der Schule alle diese Gegen-
sätze auszuschalken vermöchken, würden sie deshalb
aus unserem Leben verschwinden, würden wlr dann
auch jenseiks der Schule eine äskhetische Daseins-
gestaltung zum Sieg führen können? Mik diesem
unserem Schicksal müssen wir uns abfinden, und
wir dürfen uns deshalb auch nicht einen Bildungs-
begriff erwählen, üer nur in „organischer" Ab-
gestimmkheik der Funkklonen eine werkvolle Lebens-
form anerkennk.

Diese Erwägungen haben nichk nur eine theore-
tische Bedeukung. Es ist tzhnen allen bekannk, daß
in den Berhandlungen über die Eingliederung des
Kunfkunkerrichks in die Schulorganisation fortgesehk
mit Formeln der genannten Ark gearbeitet wird.
Daß das fo isk, ist höchst begreiflich In einem
Zeikalter, welches auf üie „Konzentration" und
die sogenannlen „Qüerverbindungen" einen so
außerordentlichen Wert legk. Da Ist man dann
ängstlich darauf bedachk, daß nur ja der Kunstunter-
richk den Anschluß an die wissenschaftlichen Fächer ge-
winnt. 3ch fürchte, daß diese Art von „organischer"
 
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