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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 7.1927

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Heft 8 (August 1927)
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Litt, Theodor: Vom Bildungsganten und der Kunsterziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.23855#0212

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18Ä

Sprnche gibk, dann mujz es doch wohl auch eine
Graiuinakik und Logik dieker Sprache geben, die nichi
eingekapselt In der Seele des Kindes ruht, son-
dern in den künsklerischen Geskaltungen als objek-
kiven Gebilden enlhalken ist. Wenn das Kind sich
in üie Mukkersprache einlebt, so muß es doch auch
die innere SachgesehliÄ)keit dieser Sprachwelt sich
zn eigen machen. Ein Gleiches gilt von der Kunst.
Wenn wir mit Farbe und Form arbeiken, so haben
wir uns mit einem Parlner nuseinanderzusehen, der
gleichsam seinen eigenen Willen hak. Es hat mich
verwunderk, daß man bisweilen kein Bedenken trägk,
diese Pädagogik d^s „sich ausdrückenden" l!ch zu
verbinden mit einem anderen kunskerziehenden Kern-
gedanken, mit der Forderung einer makerial-
gerechken Arbeik. Sieht man denn nichk, daß
das Kind in seinem Makerial ein Ekwas sich gegen-
über hat, das mik eigenen Forderungen und Ge-
sehlichkeiten seinem Ausdrucksbedürfnis enkgegen-
tritt? Nur in der Auseinandersehung dieser beiden
Pgrkner kann das „Gebilde" enlstehen. Wenn ich
in diesem Sinne von einer „Logik" der Kunst spreche,
so brauche ich mich wohl nicht gegen das Mihver-
ständnis zu verwahren, als ob ich die Kunst an er-
lernbare Aegeln binden möchke. Nakurgemäsz ist
öer „Logos" der Kunsk nicht so leicht formulierbar,
wie derjenige einer Sprache. Aber dasz auch hier
eine Sach forderung sich dem Ausdruckwillen gegen-
überskellk, das sollte doch nie vergessen werden.

EIn weikeres kommt hinzu. Man sagt so ofk, daß
die Kunst den „Geist der Zeit" ausdrücke. Gewis;
luk sie das. Aber wenn sie es kut, dann ist es doch
wohi unmöglich, dah das künsklerische Gebilde so-
zusagen ferkig In der Seele des isolierten Einzel-
wesens vorbereiket isk: nur wenn der Künstler irgend-
wie sich mik üem „Geist seiner Zeik" auseinander-
sehk, also mik etwas, was nicht in ihm selber liegk,
nur dann kann er künsklerische Gebilde schaffen, die
wirklich den Geist der Zeik zu bildhafker Darstellung
bringen. Also auch aus biesem Grunde ist es ver-
fehlk, wenn man das gnnze künstlerilche Geschehen
auf die Triebkräfte des isolierten lZch zurückfübren
will. DaS Kunstwerk enkskehk nur da, wo die Ge-
stalkungskräsle des llch sich auSeinandersehen mit den
Forderungen der „Sache" in weikeskem Sinne.

Wenn man diesem Prinzip bisweilen widerspro-
chen hak, so beruht das, wie ich glaube, auf einem
Miszverskändnis. Der Sah, dasz jede Kunst entstehe
in der Auseinandersehung mit einem „Logos" gegen-
ständllcher Geskalkung, fordert beileibe nicht die An-
passung an die sichibare Gestalt der vorgefundenen
gegenständlichen Welt. Es soll nichk heijzen, dasz die
Kunst dazu da sei, die vorhandene Welt abzuzeichnen.
Melmehr steht es so, daß gerade jene U mb i l d' u n g,
die das echke Geskallungsvermögen dem Borgefun-
denen widerfahren läszk, den Prinzipien künftleri-
scher Geskalkung unkerstehk. Wenn das produzierende
lich nichk an sie den Anschluh findek, dann kann
ekwas zustande kommen, was vielleicht sehr aus-
üruckSechk scin mag, was aber noch lange nichl künst-
lerisch ist. Ilnsere Pädagogik vergißk zeikweise, daß
das Lallen noch keine Me1bdie,''das Kriheln noch
keine Zeichnung, das Skammeln kein Gedichk ist. Es
isk zweifellos: wenn der Menschengeist nicht durch
die Stufen des Lallens, ües Krihelns und Stammelns
hindurchgegangen wäre, so hätte er auch keins

Kunsk geschasfen. Aber man darf nichk das, was
Ausgangspunkk ist, verwechseln mit dem, was als
Ziel den Abschluß bildek. Ilnd es will mir scheinen,
üasz gerade der Sinn der künstlerischen Erziehung
in diesem Abskande begrllndet ist. Äie kllnstlerische
Erziehung geht aus von dem Tun des Kindes, das
nichts anderes will, als „sich", d. h. seinen augen-
bllcklichen Zustand ausdrücken. Aber ihre Aufgabe
ist es nun, das Kind von diesem „Sich"ausdrllcken
dahin zu führen, dajz eS, grob gesprochen, „etwas"
ausdrücken kann, d. h. daß es ein Gebilde herstellk,
welches nicht in der Ausdrucksfunkkion des Augen-
blicks sich erschöpft, sondern irgendwie ein den
Augenblick Ueberdauerndes darskellk. Wie weit da-
bei die Lenkung und das Eingreifen des kllnstle-
rischen Erziehers gehen darf, darüber 2hnen ekwas
zu sagen, wäre die allergrößte Vermessenheit. Selbst-
verständlich bedarf es im einzelnen des allerfeinsten
Taktes, damit eine Bergewaltigung der jugendlichen
Triebe unkerbleibt. Aber eine vollkommene Auf-
hebung von Leikung und Anweisung wür'de doch im
Grunde der Abdankung des Erziehers gleichkommen.

2ch habe zu zeigen versucht, dasz jene innere Span-
nung unserer Kultur, mik der alle Erziehung rechnen
musz, nichk den Gegensah bedeutet zwischen dem 2ch
und der Sachgebundenheik unserer sonskigen Kulkur,
sondern die Spannung zwischen zwei großen gegen-
skändlichen Prinzipien, zwlschen zwei „Logoi" der
geiskigen Welt. Der Logos des intellekkualistischen
und technlzlstlschen Denkens einerselks und der Logos
des künstlerischen Gestalkens andererseiks, sie stehen
sich hier gegenüber. Äenn anskelle des „Logos" der
Kunst bloß das Ich stände mik seinem Ausdrucks-
bedürfnis, glaubk man, daß dieses 3ch in selner Ber-
einzelung sich gegenüber der groszen Welk der Sach-
prinzipien behaupten könnke? Äein, nur weil im
Kunskwerk eine ewige Gesehlichkeik lebk, nur darum
kann die Kunst den Anskurm anderer, ja feindlicher
Geistesmächke bestehen.

Ilnd endlich: nur weil die Kunsk einen „Logos"
hat, isk diejenige Form von Kunstausübung möglich,
die gerade in 2hrem Berufskreis eine so wichtige
Nolle spielk, nämlich die „angewandte Kun st".
Man hat mik Necht gesagk, daß der Zeichen- und
Kunstunterricht nach Möglichkeit Anschluß suchen
solle an den „Werkunkerrlcht". Legen wir uns doch
einmal die Frage vor, weshalb denn diese Berbin-
dung möglich isk? Sie Ist nur deshalb möglich, weil
es sich nicht handelt um die Verbindung eines „sich"
ausdrückenden Hch und eines Zweckgegenskandes, son-
dern um die Berbindung wiederum zweier großer
,Sach prinzipien, des Prinzips äskhekischer Gestaltung
und des Prinzips zweckhafker Gegenstandsformung.
Nur durch die Begegnung dieser beiden „Loaoi"
kann das Phänomen „angewandke Kunst" enkskehen.
Ich glaube, daß ln der Tak dieser „angewandken
Kunst" in unserem geisklgen Paushalt elne ganz we-
sentliche Funktion zukommk. Denn wenn ich soeben
von der einen Form der Erlösung sprach, die die
Kunfk inmlkken unserer zweckgebundenen Kulkur
schaffk, so besteht die andere Form eben darin,
daß der Geist der Kunst sogar die Gebilde zweckhaf-
ker Gestalkung mik sich zu einen vermag. Der uner-
hörke Äeiz, den gerade die Gebilde „angewandler
Kunst" auf uns ausllben können, beruhk doch bei-
leibe nicht darauf, daß in ihnen jene Spannungen,
 
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