Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 7.1927

DOI issue:
Heft 12 (Dezember 1927)
DOI article:
Kolb, Gustav: Zur Werkbudsiedelung und -ausstellung: ''Die Wohnung'' Stuttgart
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.23855#0307

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
wohl notwendij; und recht heilsam isk, das Glelch-
gemlcht zwischcn Konstculilion und maszvoller De-
horation sich späker von selbst wiederelnstellt. Hat
ja anch z. A. der gotische Stll, üer, ursprtinglich cms
klarstem Kallitil geboren, im Kerne ein Konstrulr-
tionsskil ist, sich mit einer üppigen ornamenkalen
Ausgeskalkung verkragen.

Die linbische Baumeise mik dem flachen
D a ch, die der Werlibundsiedelung die Spokknamen
„Pappschachkelansammliing , „Neues Jerusalem" ein-
trug, erregke begreiflicherweise besonders heftigen
Widerspruch. Man verkeidlgte sie auch nicht Immer
mit zukreffenden Gründen. Wenn man z. B. be-
hanpkete, sie entsprciche dem neu sich bildenden Kol-
lelikivbewusztsein unserer Zeit in besonderem Maße
schon äujzerlich, weil die Urrichlungen der Senk-
rechken und Wagrechken sich immer harmonisch zu-
sammenfügen, so ist daran zu erinnern, dah unsere
miktelalkerlichen Stadtbilder mit den hohen spihgiebe-
ligen gäusern, die sich so eng anelnanderschmie-
gen und sich um die Kirche scharen wie die Küch-
lein um die Henne, ein besonders skarkes bildhafkes
Symbol deS Zusammengehörigkeiksgefllhls sind, das
auf dem Gleichklang sich skekS wiederholender Linien
beruht.

Mit solchen Vegründungen wird man also die
Notwendigkeit der kubischen Bauweise nlchk retken.
Man komnik der Sache auch dadurch nlchk näher,
dasz man das flache Dach alS besonders praktisch
erklärt. Wahrscheinlich trisft, zumal für unser Klima,
eher das Gegenteil zu.

Mir will es vielmehr scheinen, als ob dle ku-
bische Bauform, abgesehen von technischen Grün-
den lVekonbau! Trockenplatkenbau!) eben deShalb
zur Zeik überall aufkaucht, weil sie dem neuen
Skilgefühl — Mölfflin würde es als „klassisch" be-
zelchnen — enkspricht, das sich gegenwärtig heraus-
bildek und wie alle früheren abendländischen Stile
(Romanik, Gokik, Nenaissance, Varock!) internatio-
nal verwurzelk Isk. Dem neuen Skilgefllhl läufk das
Gegliederke, Bewegle, Nkalerische, Berzierke zu-
wider. Es will die klare schlichke Form, das Tek-
tonlsche, das streng Lineare, die grosze ruhige Fläche,
den geschlossenen Vaukörper. 2ch meine, es präge
sich dem waS tttchkig Ist in dieser Baugesinnung
nicht nur dns Nakionale unserer heukigen Lebens-
gesinnung aus, sondern anch ein ersreuliches Skreben
nach Klarheik, Gediegenheit und Ehrlichkeit.

G. Kolb.

H-

Ich mus; die Kennknis und eigene Anschauung des
Gegenskandes voraussehen, der heute weike Volks-
kreise mehr noch als Fachleuke oder Künskler be-
schäftlgk und angehk.

Archikekken auS dem ganzen Neich, ja aus dem
Ausland haben sich vereinigt, den Zeikgenossen zeik-
gemäszeS Wohnen anschaulich zu zeigen: Dle Vau-
fornien, wie die Möbelformen zu -verelnfachen, sie
vom unnökigen Drum und Dran zu reinigen, das
Einfache aber wieder durch die Farbe zu beieben.
Das Abskoszen des Zaus„unrakes" bedeuket für die
Frau eine wesentliche Erleichterung der Arbeit. Aus
demselben Gcund sind auch die Anlagen und Ein-
richkungen der Küchen ganz besonders dnrchdacht.

Auch dem neuen Sinn fllr den Körper kommt die
neue Wohnung durch grosze Fenster, Bäder und
Terrassen entgegen. Für alle diese Dinge werden
die lehten technischen Erfindungen für Konstruktion,
den Werkstoff und die Einrichtung dienstbar.

Es fragk fich nun, wie weit ist die Neuerung
wirtschaftlich — unter diesem Gesichkspunkt
entstand die Siedelung — wie weit verrät sie eine
klare, anständige Baugesinnung, wie
weit enkspricht sie unserem heukigen und menschlichen
W o h n b e d ü r f n i s.

Der Geist der Zeit will Aewegung, ist „Tempo",
Unrast, will weg vom besinnlichen Schauen und vom
Bersenken zur Tat, zur Freiheit. Der Mensch suchk
das Leben, die Welt auszerhalb seines stchs; er will,
er kann nicht mehr allein sein.

Ein sichkbares Zeichen solcher Linstellung ist der
Einraum, d. h. das wandlose Verbinden von
zwei oder drei Ziinmern, ferner die groszen Fensker,
— auch ein gewisses Sich-nach-außen-wenden — und
an Skells von Gartenmauern und -zäunen jehk nie-
dere Hecken.

Allen Bauken gemeinsam ist das falsche
Dach, eine bei uns ungewöhnliche Erscheinung.
Handelt es sich hier nicht doch um eine ganz be-
stimmte „Beeinflufsung der äuszeren Formgcbung oder
Bevorzugung einer gewissen kllnstlerischen Nichtung?"

Das flache Dach kommt mit den stsolierungen gegen
Wärme und Kälke und besonders gegen die Feuch-
kigkeit teurer als das steile Dach mit Ziegel- oder
Schieferbelag: wobei noch nicht feskstehk, daß es auch
wirklich dicht ist. steder Vaumeisker weiß, dasz iein
Haus „sich sehk". Dies ist sonst fast belanglos: hier
wird eS schwerwiegend. Dasi wir seit siahrhunderten
unker steilem Dach hausen, hak seinen Grund nicht
allein im Klima. Wesentlich spricht mik, dasz die
entskehenden Näume fast nichts kosten. Aufzubewah-
ren aibt es immer etwas: mehr noch bei uns, wo
die Lrwerbs- und Produktionsverhältnisse anders
sind als in Holland oder Amerika. ES wird auch ver-
mieden, dem Dienstinädchen den unkeren Skock an
der Strasie allein überlasfen, oder ihr Zimmer in die
Neihe der übrigen Schlafzimmer iegen zu mllssen.
Es ist ferner nicht nökig, die Schlafräume allgemein
im Keliergelchosi unkerzubringen oder für sie einen
besonderen Flügelbau zu errichten.

Damit kommen wir zur G r u n d r i si g e st a l -
kung, dem Gerippe des Vauens. Da erscheinen
ganz neue, selksame Dinge. Dle ineinandergeschachkel-
ken Kubusse des Behrensbaues, die schwebende, zu
Slein gewordene D-Zugwagen- oüer Dampferform
der Häuser von Cabusier, lassen wir beiseike. Doch
offensichtlich sind ja die Unsinnlgkeiten der Treppen,
Gänge, Fenster, Terrassen, Heizungs- und Kllchen-
anlagen, Naumformen und Rauinverbindungen! Und
auch die Notwendigkeik der Flügelbauken, des stän-
digen Treppaufkreppab aut einem Skock, der Halb-
rundkürme isk unverständlich. Sie verteuern die Bau-
summe, bringen Unruhe in die Form, Unruhe in die
Benllhung und schaffen Näume, die zum Teil prak-
kisch kaum zu verwenden sind. Weiker: Von allen
Einfamilienhäusern bietet nur eines Plah fllc eine
etwas gröszere Familiel

Wohl ist eS richkig: Der Einraum gibt Frei-
heit, Weite: führt die Familie zusammen und musi
nicht notwendig das Gefühl des Zu-Hause-Seins zer-
skören. Wenn er aber von zwei, drei oder mehr Licht-
 
Annotationen