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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 14.1879

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin, [1]
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5791#0007

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11

Kunstliteratur,

12

in einem Bnche mit der Jcchreszcchl 1878 zu lssen ist:
^ die phrenologischen Untersuchungen eines Gall, Spurz-
heini, Carus rc, hätten ergeben, daß die vordere Hirn-
niasse der intellectuellen, die inittlere der gemüthlichen
Thätigkeit, die hintere aber dem Willen und den so-
genannten animalischen Trieben diene — oder das
kleine Gehirn bewerkstellige die Bewegungen des
ganzen Knochen - und Mnskelapparates u, dgl. m, ?
Aber abgesehen von derartigen Absurditäten muß man
den beschreibend anatomischen Theil des Werkes durch-
ans als ungenügend bezeichnen. Die Schilderungen
der anatoniischen Details sind theils nnvollständig,
theils unrichtig — namentlich Lagerung und Wirkungs-
weise der einzelnen Muskeln sind oft falsch angegeben.
Daß nian vergebens bei dieser dllrftigen Beschreibung
nach einer verständig sür den Künstler berechneten
Anordnung nnd Darstellung sucht, braucht nicht be-
svnders hervorgehoben zu werden. Die Tafeln, welche
den ersten Theil des Buches zu illustriren bestimmt
sind, sind nicht im Stande, für den mangelhaften Tept
einen Ersatz zu bieten. Den Abbildungen des Skelets
nnd seiner Theile ist der Vorwurf zu machen, daß
dieselben, (vorausgesetzt, daß sie überhciupt nach der
Natur angefertigt wurden, was uns einigerniaßen
zweifelhaft erscheint,) nach schlechten und ungenügenden
Präparaten gezeichnet sind. Die Darstellungen der
Muskeln aber liegen sv fernab von Naturähnlichkeit
(Vvn Naturwahrheit nicht zu sprechen), daß man ver-
sncht wäre, sie für Karrikaturen zu halten. Die skünst-
lerische Ausführung der Abhildungen überhaupt erreicht
kaum das Maaß einer bescheidenen Mittelmäßigkeit.
Es sei uns erlassen, den zweiten Theil des Werkes
(Propvrtionslehre), welcher jeder wissenschaftlichen
Grnndlage entbehrt, eingehender zu besprechen. Es
ist zu nnergnicklich, von einer literarischen Arbeit nur
Ungünstiges berichten zu könncn. Hingegen können
wir nnS nicht versagen, über den beabsichtigten Zweck
des vvrliegenden Werkes und ähnlicher, Erzeugnisse
einige Bemerkungen zu machen,

Der Verfasser scheint von der Ansicht ausge-
gangen zu seiu, daß denjenigen Kuustschüleru, welchen das
Studinm der Anatomie nicht wie dem Maler und
Bildhauer alS unentbehrliches Hilfsstndium obliegt, mit
einem möglichst geringen Ausmaß jener Wissenschaft
etwas gedient sei, Es fällt nicht schwer, das Jrrige
dieser Anschauung, welche leider nur zu verbreitet ist,
darznthnn, Die Anatomie ist- für deu Maler und
Bildhaucr eine Hilfswissenschaft, das heißt der
Künstler svll im Stande sein, für seine Zwecke aus
ihr Rath nnd Belehrung zu schöpfen; hierzu gehört
aber, daß er diese Wissenschaft in einem gewissen Um-
fange vollkommen beherrscht vder wenigstens — einmal
beherrscht hat. Was der KunstjUngsr als bleibenden

Erwerb aus den sogenannten theoretischen Fächern fllr's
Praktische Leben von der Akademie mitnimmt, das ist
nicht so sehr eine größere oder geringere Summe von
Detailkenntnissen, das ist vielmehr eine gewisse Sicher-
heit, sich in dem Gegenstande zu orientiren. -Das Ver-
trautsein mit der Methode unserer „theoretischen"
Disciplin ist es, was ihm für's Leben als stets ver-
werthbareS Eigenthum bleibt; dies ermvglicht ihm, die
Summe seiner Detailkenntnisse, von denen ini Laufe
der Zeit mehr oder weniger entschwunden sein mag,
in jedem Augenblicke und mit jedem Behelf in einer
Weise wieder aufznfrischen, daß ihm jene Wissenschaft
in der That das bleibt, was sie ihm sein soll: Führer
undRathgeber; es darf das Verständniß einer Wissen-
schaft nicht entschwinden, die ihm Hilfswissenschaft für
sein künstlerisches Schaffen sein soll. Diese Sicherheit
und Vertrautheit mit dem Gegenstande kann er sich aber
nnr dann erwerben, wenn er denselben einmal in aller
Gründlichkeit, mit Ernst und Jnteresse und geleitet durch
einen methodischen Unterricht verarbeitet und in sich
aufgenommen hat. Was soll nnn ein Kunstschüler
mit den ärmlichen Brosamen vom reichen Tische der
Wissenschaft, wie sie in dem vorliegenden und leider
noch manchem ähnlichen Buche geboten werden! Der
Herr Verfasser giebt zwar zu, daß sein Werk nicht für
den bildenden Künstler, Maler oder Bildhauer, berech-
net sei, sondern für Architekten oder andere Studirende
technischer Fächer, des Kunstgewerbes rc., welche in
„verhältnißmäßig knrzer Zeit einen richtigen Begriff
vvn dem Muskel- nnd Knochenspstein" erhalten sollen,
„ohne dcreu Kenntniß es auch für den Begabtesten
eine Unmöglichkeit sei, die menschliche Figur organisch
richtig darzustellen." Es ist nicht 'zu läugnen,
daß ein gründliches Wissen in dem Sinne, wie wir
es oben entwickelt haben, aus Werken von der Qualität
des vorliegcnden nicht erworben werden kann, selbst
wenn gegen die Richtigkeit des Jnhaltes nichts einzu-
Wenden wäre. Fragen wir uns aber, was soll ein
Architekt oder ein Schüler einer Kunst- vder Bau-
gewerbeschule mit anatoniischen Kenntnissen überhaupt?
Es scheint uns, daß hier nur zweierlei denkbar ist.
Entweder erwirbt sich der Betresfende anatomische
Kenntnisse in einem solchen Grade, daß er auch einen
reellen Nutzen davon hat, also sagen wir beispiels-
weise, daß er gegebenen Falls im Stande ist, figllr-
liches Beiwerk in eineni architektonischen Entwurf ana-
tomisch richtig zu zeichiten und auch in's Detail ohne
fremde Beihilfe durchzuführen — dann steht er eben
auf einer Stufe theoretischer Bildung, wie sie unter
seinen Berufsgenossen nicht gewöhnlich ist, seine Kennt-
nisse können aber dann hinter denen, wie sie ein aka-
demisch gebildeter Maler oder Bildhauer besitzt oder
besitzen soll, nicht zurückstehen, — oder er begnügt
 
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