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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 14.1879

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Groller, Balduin: Aus dem Wiener Künstlerhause, [1]
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171

Aus dem Wisner Künstlerhause.

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mag sich das Gebäude des künstlerischen Stiles zu er-
heben, den uian sich ohne scharf ausgeprägten, natio-
nalen Charakter nicht vorstellen kann. Nnn, national
Iväre Matejko tvohl mehr alS znr Genüge, aber nicht
sowohl in seiner Kunstweise, als vielmehr in der Wahl
seiner Stoffe; da ist er eS sogar ausschließlich. Leider
ist damit nicht viel erreicht, jedensalls nicht das, was die
eigentlich stitbildende Kraft in sich birgt. Matejko
malt nur polnischc Geschichten nnd setzt bei dem Be-
schauer immer eine Fülle von historischen Detailkennt-
nissen voraus, für welche nicht Jedermann, und wenn
er sonst auch den „besseren Ständen" angehvren sollte,
sofort mit der Baarzahlung des positiven Wissens anf-
zukommen vermag. Darum sei in Kürze bemerkt —
ich mvchte nicht großthnn nnd gestehe, daß ich die Ge-
schrchte auch erst Ivieder nachlescn mußte, — daß die
Schlacht bei Grünwald am 15. Juli 1410 geschlagen
Ivurde, und daß bei dieser Gelegenheit die deutschen
Ritter von dem polnischen Heere unter dem Kommaiido
dcs litthanischen Großherzogs Witold, eineS Brnders
des Kvnigs Jagiello, kläglich besiegt worden sind.

Matejkv hat in seinem engcren Vaterlande mit
diesem Gemälde einen unerhörten Bcgeisternngssturm
hervorgerufen. Die Ovationen, die ihm dargebracht
wurden, erinnern fast an jene Jubelprozession, die der
kolossalen Madonna Cimabue's zu Ehren abgehalten
Ivurde, nls sie das begeisterte Bvlk von Flvrenz nach
der Kirche Sta. Maria Novella trug. Dieses enthu-
siastische und überschwängliche Urtheil von landsmann-
schaftlicher Seite wird von der objektiven Kritik nicht
in allen Stücken ratificirt werden. Sicher aber ist,
daß sich Niemand der mächtigen Wirkung des gewal-
tigcn Gemäldes ganz wird entziehen kvnnen; ebensv
sicher ist es freilich auch, daß Niemand, falls er nur
die Augen recht vhne Voreingenommenheit vor dem
Bilde aufthut, die gewaltigen Mängel desselben über-
sehen wird. Sprechen wir zunächst von den Vorzügen!
Mit souveräner Freiheit hat Matejko Menschen und
Thiere in den gewagtesten Situationen, in der leiden-
schaftlichsten Bewegung dargestellt. Die kühnsten Ver-
kürzungen sind da als etwas ganz Selbstverständliches
abgethan, die grvßten Schwierigkeiten Iverden spielend
besiegt, so daß der Beschaner niemals den Eindrnck
cmpfängt, als habe die Bewältignng dieser Schwierig-
keiten überhaupt einen Kampf gekostet. Dabei hat
sich der Künstler nicht begnügt mit der Darstellung
der rein äußerlichen Bewegung; mit ihr zugleich bringt
er dem Beschauer eine ganze Scala seelischer Vorgänge
zum Bewnßtsein mit einer Meisterschaft, die kaum
übertroffen iverden kann. Das sind keine gestellten
Modelle, das sind wirklich lebende, grimm- und haß-
erfüllte Kämpser, die sich gegenseitig zu vernichten
suchen, nnd die zu Tvde verwundet, anf dem blutge-

tränkten Schlachtfelde unter den Hnfen der schäumenden
Rvsse sich noch mit den bloßen Händen zu erwürgen
trachten. Und wie das Alles gemacht ist! Die Ge-
schicklichkeit und die Naturtreue, mit welcher namentlich
alles Stoffliche behandelt ist, muß jeden anfmerksamen
Betrachter mit Bewunderung erfüllen. Alle diese glän-
zenden Borzüge drängen sich selbst dem Laien auf und
blenden wohl auch den Kenner. Aber fast mit der-
selben Energie, wie die Vorzüge, drängen sich auch die
Mängel hervor. Es hcrrscht auf dem Bilde ein Reich-
thum an Motiven, der den Künstler, der sie so mit
Vollen Häuden ausstreut, leicht in den Ruf eines Ver-
schwenders bringen kvnnte — wenn nicht eben dicsc
Berschwendung ein Symptom der Dürftigkeit wäre,
die hier mit bunten Lappen verhängt und bemäntelt
werden soll. Mit solchem Glanz Prunkt ein in seinen
Vermogensverhältnissen derangirter Großhändler, um
der Welt Sand in die Augen zu streuen. Für die
einheitliche Hauptsache tritt das verstreute Brillant-
feuerwerk der Episode ein; das Feuerwerk macht Effekt,
aber es steckt nichts dahinter, als ein mageres Gerüst.
Die nngeheure Leinwandfläche, die der Künstler bemalt
hat, — sie mißt etwa 30 Fuß Länge — macht doch
nicht den Eindruck der Größe, weil es der Komposition
an innerer Größe gebricht. Das ist keine Schlacht,
trotz aller wüthenden Kämpfer; wir haben ein Dutzend
wildbewegter Gruppen, aber keinen Kampf, dnrch
welchen cin großer, einheitlicher Zug ginge, und dieser
wesentliche Mangel soll verdeckt werden Lurch die glanz-
vollsn Episoden. Nun soll ja jedes rechtschaffene Epos
seine Episoden haben; aber einem Epos ohne eigentlichen
epischen Gehalt, das uur von den in überwuchernder
Menge auftretenden Personen lebt, wird man wohl mit
Recht einen bedenklichen Stilfehler nachsagen dürfen.
Zudem Iverden Schlachten in Wirklichkeit anders arran-
girt, als es der Künstler hisr schildert. Hier stürmen die
Sieger förmlich aus dem Bilde heraus, und der Feind
slieht im Hintergrunde. Der oben angedeuteteFehler ist tief
begründet in der künstlerischen Jndividualität Matejko's.
Matejko kämpft immer gegen Masten an und bewäl-
tigt sie niemals. Jn engster Berbindung damit stehen
die perspektivischen Wunderlichkeiten, die auf keinem
Bilde Matejko's sehlen. Die Tiefe ist auf keinem seiner
großen Gemälde glaubwürdig dargestellt; auf dem neu-
esten Bilde machen die Berjüngungen des Hinter-
grundes cinen geradezu kindischen Eindruck.

Nm vieles anspruchsloser in der Wirkung, aber
von durch und durch ausgeglichener, echt künstlerischer
Factur ist Leopold Müller's „Marktplatz in Kairv."
Da strahlt und webt die u nverfälschte Luft des Orients.
Müller ist der getreueste und, ohne sich unerlaubter
Uebergriffe schuldig zu machen, auch der humvrvollste
Schilderer deS morgenländischeu Lebens nnd Trcibens.
 
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