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Büttner, Andreas; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der Weg zur Krone: Rituale der Herrschererhebung im spätmittelalterlichen Reich — Mittelalter-Forschungen, Band 35,1: Ostfildern, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.34718#0017

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2

Einleitung

die Treppe zum oberen Teil der Kirche empor, wo er »voll Ehrfurcht den Stuhl Kaiser
Karls betrachtete und sich einen Augenblick darauf nieder! ieß«^ - zwar nicht durch
Adolf Hitler persönlich, aber doch durch einen der exponiertesten Vertreter des Natio-
nalsozialismus wurde das >Dritte Reich< so in die Tradition des >Ersten Reichs< gestellt.
Dass bereits vor dem Ende des Alten Reichs im Jahr 1806 die jahrhundertealten Ri-
tuale der Herrschererhebung auch mit ganz anderen Augen gesehen werden konnten/
dürfte Göring dabei wohl kaum bewusst gewesen sein. Während Goethe über die »Ver-
kleidung« Josephs II. bei dessen Krönung im Jahre 1764 noch vergleichsweise maßvoll
urteilte/ fand Karl Heinrich Ritter von Lang zur Erhebung Leopolds II. 1790 weitaus
deutlichere Worte: »Der Kaiserornat sah aus, als war' er auf dem Trödelmarkt zusam-
mengekauft, die kaiserliche Krone aber, als hätte sie der allerungeschickteste Kupfer-
schmied zusammengeschmiedet, und mit Kieselstein und Glasscherben besetzt.« Doch
nicht nur für die Insignien, sondern auch für die Handlungen selbst hatte Lang nur
Verachtung und Spott übrig: »Die herabwürdigenden Ceremonieen, nach welchen der
Kaiser alle Augenblicke vom Stuhl herab und hinauf, hinauf und herab sich ankleiden
und auskleiden, einschmieren und wieder abwischen lassen, sich vor den Bischofsmüt-
zen mit Händen und Füßen ausgestreckt auf die Erde werfen und liegen bleiben mußte,
waren in der Hauptsache ganz dieselben, womit der gemeinste Mönch in jedem Bettel-
kloster eingekleidet wird.«^ Selbst in den zeitgenössischen Krönungsdiarien findet sich
leise Kritik an den überkommenen Formen des Rituals, wenn zu der deutschen Über-
setzung der an den Kaiser gerichteten Frage, ob er dem Papst »geziemende Folge« leis-
ten wolle, erklärend angemerkt wird: »Die lateinische Formel heist: SMÜ'echonew debzütm
ct /dca; rcucrcnicr cx/übcrc. Sie ist eine Folge jener finstern Zeiten und darf heutiges Tages
nicht mehr buchstäblich übersetzt noch weit weniger also verstanden werden.«^ Die
mehrere Jahrhunderte alte Tradition der Krönung war offenbar mehr als einem Zeit-
genossen suspekt oder erklärungsbedürftig, der Glanz der Krone nur mehr ein mattes
Schimmern.
Die hier vorliegende Arbeit widmet sich diesen »finsteren Zeiten«, als der Grund-
stein jener Zeremonie gelegt wurde, die am Ende des Alten Reichs von manchen als
Ausdruck der »eiskalt erstarrten und kindisch gewordenen alten deutschen Reichsver-
fassung« nur noch mit Kopfschütteln wahrgenommen werden konnte/' Jenes »Fast-
nachtsspiel einer solchen in ihren zerrissenen Fetzen prangenden«^ Krönung war auch
im Mittelalter nämlich das Ziel jeder Herrschererhebung, die durch vorausgehende
Wahlakte eingeleitet wurde. Dieser Weg zur Krone, die Ritualisierung der politischen
Willensbildung, soll der Gegenstand der folgenden Untersuchung sein. Im Zentrum

5 Aachener Echo der Gegenwart, 27.7.1933 (das Zitat hier S. 121). Für die freundliche Auskunft
hinsichtlich Hermann Görings Aufenthalts in Aachen danke ich dem Aachener Domkapitel in
Person von Roland Wentzler und Josef Lambertz.
6 Vgl. hierzu auch FuHRMANN, Von der Pracht zum Plunder und zurück.
7 Goethe, Dichtung und Wahrheit, Erster Teil, Fünftes Buch, Zitat S. 233.
8 Memoiren des Karl Heinrich Ritters von Lang, Bd. 1, S. 209. Zum Verfasser und seinem Werk
siehe CAPPEL, Augenzeuge und Chronist einer bewegten Zeit.
9 Vollständiges Diarium der Römisch-Königlichen Wahl und Kaiserlichen Krönung ... Leopold
des Zweiten, S. 321.
10 Memoiren des Karl Heinrich Ritters von Lang, Bd. 1, S. 212.
11 Ebd.
 
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