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Büttner, Andreas; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der Weg zur Krone: Rituale der Herrschererhebung im spätmittelalterlichen Reich — Mittelalter-Forschungen, Band 35,1: Ostfildern, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.34718#0016

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1 Einleitung

Ein seltsames Schauspiel bot sich den Bürgern von Köln im Jahr 1284, als sie sich auf
dem Marktplatz versammelten, um einer Krönung beizuwohnen: Kein ehrwürdiger
Herrscher wurde hier in feierlicher Zeremonie zum König erhoben, sondern ein später
als Dietrich Holzschuh oder Tile Kolup bekanntgewordener Mann, der erfolglos ver-
sucht hatte, als der drei Jahrzehnte zuvor verstorbene Kaiser Friedrich II. aufzutreten.
Bevor man ihn aus der Stadt warf, hatte man ihm auf einem erhöhten Podest - »damit er
von allen gesehen werden konnte« - eine »Krone von einem Heller« aufgesetzt, den Bart
geschoren und ihn verspottet und verlacht.^ Die Vorgänge, die unverkennbar die Züge
einer ins Lächerliche verkehrten Herrschererhebung tragen, zeigen deutlich, was auch
andere Herrscher, obgleich weniger schmerzlich, am eigenen Leib erfahren mussten:
Eine Krone macht noch keinen König.
Dennoch war es gerade dieses Herrschaftszeichen, mit dem sich der amerikani-
sche Soldat Ivan Babcock als >Ruhrkaiser< fotografieren ließ, nachdem seine Division in
einem Stollen bei Siegen die vermeintlich echten Reichskleinodien gefunden hattet Der
Anziehungskraft jener jahrhundertealten Vergangenheit hatten sich auch Andere nicht
entziehen können, als in den vorangehenden Jahren für Aachen wie für ganz Deutsch-
land dunkle Zeiten anbrachen: Nur wenige Monate nach der Machtübernahme der
Nationalsozialisten kam der preußische Ministerpräsident Hermann Göring in die ehe-
malige Krönungsstadt des römisch-deutschen Reichs. »Wie einen König« habe diese
ihn empfangen, so dass jener »Freudentag« sich »würdig den großen Krönungsfesten
ihrer stolzen Vergangenheit anreihen konnte«.^ In der Tat hatte sich der spätere Reichs-
marschall in einem pompösen Zug und unter dem Jubel der Bevölkerung zum Aache-
ner Rathaus begeben, wo ihn geistliche und weltliche Würdenträger begrüßten, in den
Krönungssaal führten und ihm feierlich die Ehrenbürgerschaft der Stadt verliehen.^
Bereits am vorhergehenden Abend war Göring außerdem ohne Vorankündigung zur
Besichtigung der Aachener Marienkirche erschienen. Besonders viel Zeit verbrachte er
in der Domschatzkammer, aber auch die Kirche selbst nahm er in Augenschein: Nach-
dem er sich unter anderem den Ambo Heinrichs II. und das Grab Ottos III. näher ange-
sehen hatte, stieg er in Begleitung seines Staatssekretärs und des Domschatzmeisters

1 Gesta Treverorum. Vita Henrici archiepiscopi altera, S. 462: z'zz/oro rcruzz: rzczzatzuzz: CoiozzzAzs; alte
posz'fMS z'zz scaia, nt alz ozzzzzz'izHs rzz'&rz possct, dt/a&zzzafe rzaion's Mzzzus oMz super caput eins posz'to, depz-
tata Izadza, zltnszozzes et oizproprz'a zzzaxz'zzza SMsfz'zzMz'f.
2 KRAMP (Hg.), Krönungen, Bd. 2, S. 878f., Katalognummer 10.66. Babcocks Offizier Lieutenant
Richard W. Swenson ließ sich anschließend mit den gesamten Insignien ablichten (ebd., S. 839,
Abb. 1).
3 So der damalige Oberbürgermeister der Stadt Quirin Jansen (JANSEN, Aachener Nationalsoziali-
sten im Kampf, S. 348f.).
4 AACHENER GESCHICHTSVEREIN E.V., Geplantes Attentat auf Göring.
 
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