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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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Wolf einmal ſchreibt, mehr von Blei als
von Eiſen. Alle dieſe Zuſtände körperlicher
„Dumpfheit“, in der das Phyſiſche die Seele
wie in einem Kerker einſchließt, allen Auf-
ſchwung hemmt, wie ſie Großvater, Urgroß-
vater und Großtante ſo deutlich aufzeigen,
ſind bei ihnen eigentlich in Permanenz vor-
handen. Allerlei Taktloſigkeiten von Er-
ſtaunten, die in des Olympiers Enkeln ein
Paar ſchwächliche, unſchöne junge Menſchen
ſehn, müſſen unglaublicherweiſe in Gegen-
wart der Knaben nicht unterdrückt wor-
den ſein. Vielleicht auch haben ſie mit
ihrem außerordentlich entwickelten Takt für
Unzartheiten das Unausgeſprochene gefühlt:
ſie fangen an menſchenſcheu zu werden, Wolf
zieht ſich monatelang in das Gartenhaus
zurück, das einſt des Großvaters himmliſches
und ſpäter ach wie irdiſches Liebesglück ſah,
und für die ſchwere Gereiztheit der jungen
Seele ſpricht ſein gequältes Wort, als die
ruſſiſche Kaiſerin ihn zu ſehen wünſcht: Sagen
Sie der Zarin, ich bin kein wildes Tier!
Immerhin gelingt es wenigſtens Wolf,
das Abiturium mit „vorzüglich“ zu beſtehen.
Walter, zu kränklich für eine geregelte Arbeits-
leiſtung ſtudiert bei Felix Mendelsſohn Mu-
ſik, der ihn „nicht ermutigen“ kann. Einer
der liebenswürdigſten, feinfühligſten und
idealſten Menſchen, wird er verbittert und
innerlich aufgerieben, weil ihm nicht allein
die robuſte Geſundheit — denn dieſen Mangel
kann der Geiſt überwinden —, ſondern die
mehr in den Nerven liegende geiſtige Ener-
gie fehlt. Er ſitzt wie ein zerſchoſſener
Vogel im Rohr. Da oben im Lichten, Hellen
iſt Heimat! Aber er wird nie hinauf können.
Jeder Verſuch hat ihn ſeine Ohnmacht aufs
neue gelehrt. Man muß ſich einen Winkel
zum Sterben ſuchen, und es iſt gut, wenn
einen wenigſtens keiner aufſtöbert. Das iſt
Goethes älteſter Enkel.
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Schon mit ſiebenundzwanzig hat er be-
griffen. Welche frühe und herzdurchſchnei-
dende Klugheit: Wolf iſt krank, Alma, die
reizende, ſtrahlende Alma, wie ſie Luiſe Seid-
ler unter dem Roſenkranz gemalt hat, iſt in
der Ferne geſtorben, Da nennt er ſich und
die Seinen „die überbliebenen von Tantalus'
Haus“. Das iſt wohl vererbtes Wiſſen,
Raunen in den Geheimniſſen des Blutes.
„Vor meinen Ohren tönt das alte Lied ...“
Und Ottilie ſchreibt an ihn: „Willſt Du mir
nicht helfen . . . ob wir uns eine Exiſtenz
zimmern können, wo wir weniger leiden?
Auf mehr rechne ich nicht ...“ Und vor vielen
Jahren hat der „Apapa“ ein ſchönes Gedicht
gemacht, wie man ſich „ein hübſch Leben
zimmert“. Die Hauptſache war, ſich nicht
um Vergangnes zu bekümmern und die Zu-
kunft Gott zu überlaſſen. Probatum est.
Das einzige, was Walter mit ſeiner hal-
ben Kraft leiſten konnte, war ein Hüteramt.
Er zog wieder in die Manſarde des
Goethehauſes, in die niedrigen Räume, in
denen ſeine Eltern jung geweſen waren.

Schon war manches zerſtreut, weggegeben,
unrettbar verloren. Und, in dem Bewußt-
ſein, niemals ein voller, geſunder, lebens-
froher Menſch ſein zu dürfen, hütet er jetzt
mit Eiferſucht die Schätze der Vergangen-
heit. Die toten Dinge beherrſchen die hellen,
weiten Räume unten. Die Lebenden hauſen
in den engen Manſarden. Später müſſen
die Reliquien im Urbino⸗ und Deckenzim-
mer zuſammengehäuft werden. Die Ver-
hältniſſe erfordern, daß die übrigen Räume
und auch der Garten am Stern vermietet
werden. Ottilie verſteht nicht mit Geld um-
zugehn, große Summen laufen ihr zwiſchen
den Fingern durch wie Waſſer. Sie ſelbſt
hat gar nichts davon. Die Söhne, mit
der Loyalität, die ihren hinwelkenden Ge-
ſtalten den ſchönen, verſöhnenden Schein
wahrhaft edler Menſchlichkeit gibt, ſehen
in der Mutter nur die Verehrungswürdige,
deren große Seele ſie durch alle Schlacken
hindurch erkennen: Schlacken, die ſo betrüb-
lich ſind, daß man ſie aus Ehrfurcht vor
dem Leid der Söhne lieber nicht nennen
mag. Aber trotzdem: ſo hart man ihre Ver-
fehlungen beurteilen mag, es ſpricht für die
Echtheit der Frau, daß dies alles körperlich,
faſt untergeordnet bleibt. Die Seele erſcheint
unberührt von all dieſem Peinlichen, Be-
klagenswerten — ganz anders wie bei Auguſt,


wiſſen tieriſchen Behagen im Schlamm her-
umplätſchert. Erſt die Greiſin kam nach
unſtetem Leben in den Manſarden bei dem
Sohn unter dem alten Dach zur Ruhe. Da
ſaß ſie, immer noch geiſtig voll Leben und
Intereſſe, neben ſich die greiſe Schweſter Ulrike
und den immer mehr zuſammenſinkenden, nun
auch ſchon fünfzigjährigen Sohn, hinter ihrem
Teetiſch, um den ein paar alte Freunde
ſich ſcharten. Die neunzigjährige alte Diene-
rin, die Walter und die andern aufgezogen,
machte den Tee, wie Jenny von Schorn an-
ſchaulich erzählt. Dieſe greiſenhafte Gemein-
ſchaft war Goethes Familie ... Es iſt der
Weg des Todes, den wir treten

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Wolf lebte derweil in Leipzig. Alma lag
im fernen Wien begraben, wohin ſie ſo un-
gern gegangen war. Ihre Jugend hatte die
Weimarer Umwelt nicht gelähmt wie die der
Brüder. Ihr Sarkophag mit dem lieblichen
Bilde nach der Totenmaske ſtand unten im
Keller des Goethehauſes und wartete.
Wolf war einen etwas belebteren Weg
gegangen, aber auch ihn fror immer in der
Sonne. Man möchte es ſeeliſche Unterer-
nährung nennen. Er hatte ſtudiert. Man
bot ihm eine Stelle im Weimarer Staats-
dienſt an, er lehnte ab, weil er das Staats-
examen nicht zu ſchaffen glaubte. So machte
man ihn wenigſtens zum Kammerherrn.
Die edle Prinzeß von Preußen, ſpätere
Kaiſerin Auguſta, vom Großvater „ſo be-
deutend, als liebenswert“ genannt, ver-
wandte ſich in Berlin für den Enkel ihres
alten Lehrers, und Alexander von Hum-
 
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