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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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Heft 6
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Brachvogel, Carry: Herbstspuk, [2]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.66819#0227

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einmal an. Da werden wir dann gleich
hören, was er meint.“

Auf der drittletzten Probe vor der Ge-
neralprobe kamen dann beide Planks.
Agnes ſetzte ſich zu Richter ins Parkett,
der Intendant ſtand bald auf der Bühne,
ſah dann wieder von ſeiner Loge aus
die Szene an. Richter hatte von den
Planks eigentlich ſeine Rettung und Re-
habilitierung gegenüber der Regie und den
Darſtellern erwartet. Er hatte gedacht, ſie
müßten merken, wo die unbarmherzigen
Striche den Sinn geſtört und ſeine gelieb-
ten Feinheiten getilgt hatten. Er glaubte,
der Intendant würde dem Regiſſeur ſagen:
„Hier fehlt etwas,“ oder: „Hier müßte
etwas eingeſchoben werden,“ oder er würde
an den Schauſpielern bemängeln, was er,
der Dichter, vergeblich bemängelt hatte.
Plank ſah aber nur zu, nickte ein paarmal,
ſchüttelte etliche Male mißbilligend den
Kopf und ſagte am Schluſſe des zweiten
Aktes zum Regiſſeur: „Da muß noch etwas
heraus, das ſchleppt und flaut die Stim-
mung ab! Der Akt iſt auch ein bißchen
ſehr lang —“

Und als Richter ſich mit gerungenen
Händen vor den zweiten Akt ſtellen wollte,
lachte der Intendant, zog die Uhr und
ſagte: „Lieber Doktor, das ſind Dinge, die
Sie uns überlaſſen müſſen! Nach dem
zweiten Akt iſt die große Pauſe, da muß
das Publikum angeregt und geſpannt ins
Foyer und in die Konditorei kommen, denn
im großen Zwiſchenakt wird die Meinung
gemacht. Wenn die Leutchen dann ſchon
das Gefühl mitbringen, daß es lang war
und daß die Spannung ausgeſetzt hat, dann
iſt der Erfolg ſchon futſch. Nachher, wenn
ſie wieder drin ſind und die Leithammel
nicht mehr hören, meinetwegen! Da will
ich Ihnen eher durch die Finger ſehen.
Aber der zweite Akt muß piff, paff, puff
gehen, ſonſt ſchmeißt er um. Alſo, Herr
Regiſſeur, die Szene zwiſchen den zwei
Edelfräulein und dem fahrenden Sänger
fällt weg.“

Richter war vernichtet. Er konnte
es nicht faſſen, daß ein Dichter mit der
Uhr, dem Zwiſchenakt und dem Aufenthalt
in der Konditorei rechnen mußte. Agnes
redete ihm zu, verſuchte ihn zu beruhigen.
Sie fand die Naivität, mit der er den
Theaterbetrieb anſah, ebenſo verwunderlich

wie ſympathiſch. Es wurde ihr warm, wenn-
ſie ſah, wie dieſer junge, gebildete und
kultivierte Menſch holde Unmöglichkeiten
forderte, gleich irgendeinem verſtiegenen
zwanzigjährigen Provinzdichterlein. O, es
war ſchön, ſo jung, ſo unbewußt, ſo illuſions-
fähig zu ſein, ſo Schritt für Schritt ins
Leben hineinzugehen, einem Erfolg ent-
gegen, den man nicht zu erhoffen wagte,
zu zweifeln, zu zittern, zu ringen, zu war-
ten auf ein Glück, das man noch nicht
kannte und das vielleicht ſchon draußen vor
der Türe ſtand. Was immer ihm in ſeinem
Leben beſchert ſein ſollte, nie würde er
dieſe Tage vergeſſen, an denen er im ver-
dunkelten Parkett mit Intendant, Regiſſeur
und Schauſpieler um ſein Stück gekämpft
hatte. Nie würde er die Proben vergeſſen,
die zu dem Abend hinführten, an dem er
zum erſtenmal von der Bühne zum
Publikum ſprach. Alles andere ſpäter
konnte nur noch Arbeit, Glück oder Un-
glück ſein: Erlebnis aber war nur dies
hier. Da kam es der Frau des ſiegesſichern,
von aller Welt bewunderten Intendanten
vor, als hätte das Leben ſie um etwas be-
trogen.

Als dieſe Probe zu Ende war, trat Doktor
Richter auf den Intendanten zu. „Exzel-
lenz, ich habe eine Frage an Sie, eine ſehr
wichtige Frage! Geben Sie mir Ihr
Wort, daß Sie mir die reine Wahrheit
ſagen —“

Der Intendant ſah ihn lächelnd und
etwas erſtaunt an. „Mein Gott, Doktor
Richter, Sie ſind ja ſo feierlich, als ob es
ſich um die wichtigſte Sache der Welt han-
delte. Wenn ein Mann den andern fragte:
„Haben Sie ein Verhältnis mit meiner
Frau?“ könnt' er nicht feierlicher ſein!“

Richter verzog keine Miene. „Ich bitte
Sie, Exzellenz, meine Frage ſo ernſthaft
wie nur möglich zu hören und zu beant-
worten.“

„Verſprech' ich Ihnen! Und nun her-
aus, was wollen Sie denn wiſſen?“

„Glauben Sie, Exzellenz, daß es ein
Erfolg wird?“ '

Plank zuckte die Achſeln, lächelte. „Mein
Lieber, da bin ich völlig überfragt. Das
kann Ihnen kein Menſch heute ſagen!“

„Aber was glauben Sie?“

„Ich glaube gar nichts, ich weiß jetzt
nicht einmal mehr, ob mir Ihr Stück ge-
 
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