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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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Heft 6
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Fleischer, Victor: Im Krug zum grünen Kranze, [2]: humoristischer Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.66819#0286

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gen, begann er ſeinen Koffer auszupacken.
Verflucht, da war ja wieder der Unglücks-
anzug, und wie er noch immer nach Bier
roch! Ekelhaft! Nein, ſo ging das auch
nicht. ;

Er ſetzte ſich wieder an den Schreib-
tiſch. Ein neuer Federhalter lag da ſchon
bereit mit einer friſchen Feder. Zu-
erſt kritzelte Lorenz nur auf einem Stück
Papier herum, dann fing er an, einen
Brief zu ſchreiben. Seite um Seite füllte
er mit eiligen Zeilen und ließ alle die ver-
wirrenden Sorgen und Gedanken hin-
ſtrömen. Da wurde ihm leichter ums
Herz. Ach, Gluckhenn war eben auch
einſeitig in ſeinem wiſſenſchaftlichen Eifer.
Man mußte die Dinge nur ruhig an-
ſchauen und ihnen herzhaft auf den Leib
gehen. Beim Wohnungſuchen hatte er
ſoviel Glück gehabt, warum ſollte ſich
das andere ſchließlich nicht auch gut
machen?

Als er die Feder hinlegte, merkte er erſt,
daß es Abend geworden ſei. Die Stimme
des Stadtturms rief: Sieben. Alſo wurde
es Zeit — in den „Krug zum grünen
Kranz“ zum Abendeſſen zu gehen.

Auf der Straße traf er den Oktavaner
Kurzbauer mit Fräulein Mathilde Pohl.
Der Schüler zog den Hut, voller Reſpekt,
ganz wie die kleinen Buben heute früh.
Das Fräulein aber nickte kaum. War ſie
ſo hochmütig, war ſie verlegen, weil der
Gymnaſiaſt mit ihr „erwiſcht“ wurde,
oder behielt Gluckhenn recht: war ihm die
Kaufmannsfamilie Lorenz ſchon feindlich
geſinnt? Ach was, er würde ſchon fertig
werden mit ihnen.

Verärgert ging er weiter; aber ſchon
nach ein paar Schritten mußte er wieder
den Hut ziehen. Ein anderes Paar kam
vorbei: Herr Doktor Valentin „füllte ſeine
freie Zeit aus“ ...

Vor der Heiligenſtatue mitten auf dem
Marktplatz ſaß ein dicker, weißhaariger
Dienſtmann. Auf der blauen Leinwand-
bluſe hatte er die ſilberne Tapferkeits-
medaille und ein paar militäriſche Ehren-
zeichen befeſtigt. Lorenz rief ihn an, um
ihm ſeine Gepäckſcheine zur Beſorgung zu
übergeben.

„Morgen vormittag, krieg'n Se's
b'ſtimmt, Herr Profeſſor,“ ſagte der Alte.
Du lieber Gott, jetzt kannte ihn der auch

ſchon. Da würde die Kneipgeſchichte gewiß
nicht lang geheim bleiben, wenn das ſo raſch
ging in dieſer Stadt! Und richtig, als
Lorenz ins Gaſthaus kam, zog ihn gleich
der Polizeiverwalter beiſeite. „Mir ſcheint,
Herr Profeſſor, die Gunge, die Jungen
mein' ich, die hab'n was g'ſpaunt, der
meinige hat heut' ſo Andeutungen g'macht!
Paſſen Se e biſſel auf.“

„Geheimniſſe gibt's nicht,“ ſchrie der
Oberleutnant herüber. „Laut reden, Herr
Polizeiverwalter!“

„Da brauchen Se ſich ſchon keine Müh'
mehr zu geb'n, Herr Polizeiverwalter,“
ſagte dann der Kaufmann Pohl. „Den
Herrn Profeſſor hat ſchon ſo einer bearbeit',
daß er net zu mir zieht. Daß Sie mit da-
hinterſtecken, hätt' ich m’r eig'ntlich denken
können.“

Er ließ ſich die Sache auch nicht aus-
reden und vertiefte ſich demonſtrativ in die
Lektüre des Lokalblattes, deſſen neueſte
Nummer eben gebracht worden war. Aber
während die Geſellſchaft ſich ſchon längſt
von anderem unterhielt, fing er plötzlich
wieder an. „übrigens bin ich ja froh
drüber! En Lungenkranken in der Miet
zu hab'n is ſo kein Vergnügen. Bin
froh, daß Se wo anders hinzieh'n. Hätt'
m'r's ſelber auch noch überlegt. Und bei
dem Hoffmann, da wer'n Se ſchon auch noch
Ihre Freuden erleben.“

„Sind hochachtbare Leute,“ ſagte der
Stadtrat.

„Geg'n die will ich auch nir g'ſagt hab'n,
aber unten im Haus wohnt die Reichlin,
die alte Karnallje. Wer'n ſchon noch an
mich denken, Herr Profeſſor.“

„No ja, das iſt wahr,“ meinte Gluckhenn,
„ein Vergnügen mag das net ſein, die zur
Nachbarin zu haben, aber mit ein biſſel
Grobheit zwingen Sie ſie ſchon, Herr
Kollega.“ 5

„Ich hab' ſie auch ſchon mal 'rausge-
ſchmiſſen, als ſie zu mir klatſchen kam,“
brummte Profeſſor Theumer. Dann redete
er wieder den ganzen Abend kaum ein
Wort, blies nur manchmal etwas lebhafter
den Rauch von ſich, als wollte er etwas
ſagen, beſann ſich aber wieder — und ſtatt
zu reden trank er ſein Glas leer.

Am Nebentiſch war ſchon wieder vom
neuen Kaſino die Rede. „Haben ſchon drei-
undfünfzig Mitglieder! Finanzrat Breu-
 
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