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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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düfte, das alles erfüllt die trübe, graue Stube.
Die wunderbare, große Welt, Luxus, Leicht-
ſinn, Kunſt und Gelächter: das alles ſcheint
wie eine Welle Rauſch die Redaktion zu über-
ſchwemmen. Der Volontär ſchläft nicht
mehr, furchtbare Schulträume ſind von ſelig-
furchtbareren abgelöſt; der Herr Herausgeber,
der verheiratet iſt, macht plötzlich weite
Spaziergänge, auf denen er ſich allen Augen
entzieht, und in der Wohnung des Redakteurs
tauchen öfter als ſonſt verſchleierte, duftende
Damen auf.

Es erſcheinen nach den Aufführungen im
Stadtkaſino glänzende Rezenſionen, würdig
des geiſtvollſten Journals, der berühmteſten
Kritikerfeder. Da man die Spieler ſchonen

muß, ergießt ſich das Gift, das jeder Redak-
teur im Tintenfaß führt, über die Dichter.
Bosheit iſt ein Zeichen des Verſtandes, Tadel
ein Beweis der Urteilskraft, und alſo iſt
unſer Rezenſent ein boshafter Tadler. Er
verſchwendet Geiſt und Witz, ſtreut die Perlen
ſeiner Aphorismen vor das Publikum wie
Eicheln vor die Schweine, ſchüttelt blendende
Sentenzen aus dem Ärmel.

An der Art, wie er gar von Mitwirkenden
ſpricht, errät man ſeine wechſelnde Stellung
zu ihnen. Vor den ſpielenden Herren iſt er
objektiv, parteilos und gerecht, wie es nur
einem Kritiker gegeben iſt. Aber Lob an
die Damen verteilt er je nach dem Stand-
punkt ſeiner Beziehungen zu ihnen. Und es
iſt ein aufregendes Geſellſchaftsſpiel für die
Stadt geworden, aus der neuen Rezenſion
das letzte Stadium des Liebesglückes des
Redakteurs zu erraten. ;

Einmal wurde auch dem Volontär, um es
ſeiner journaliſtiſchen Schulung an nichts
fehlen zu laſſen, geſtattet, den Rezenſenten-
platz im Parterre einzunehmen und über
den „Veilchenfreſſer“ zu referieren. Da
ſchwitzt denn der arme Junge, der ſich vor-
genommen hat, ein geiſtſprühender Kämpfer
für die große Kunſt zu ſein, ſchon drei Tage
vorher Angſt und Sentenzen aus. Er hat
ſich das Stück verſchafft, geleſen und ſchreibt
ſeit zwei Nächten an der Kritik. Alle guten
und böſen Geiſter der toten Sprache be-
drängen ihn, Horaziſche Strophen fließen
aus ſeiner Feder, und griechiſche Metaphern
umwogen ſeinen Stil. Kein Aufſatz hat je
ſolche geiſtigen Forderungen an ihn geſtellt.
Er ißt nicht mehr, und ſeine ehrgeizige
Mutter ſchleicht in ſeine Stube und ſtellt
Limonaden und Tee geräuſchlos und ehr-
furchtsvoll auf ſeinen Schreibtiſch. Da liegen
Klaſſiker, Aſthetiker und Lyriker aufge-
ſchlagen, ein Manuſkript, Flauberts würdig
in ſeinen Korrekturen, kniſtert unter zittern-
den Fingern. Mama hört ganz deutlich,
wie die Welt ihren Atem anhält, da ihr
Sohn ſchreibt. Und nie hat ſich der „Veilchen-
freſſer“ träumen laſſen, daß man, um ihm
gerecht zu werden, die Antike aufmarſchieren
laſſen wird und Bibliotheken wälzt.

Schließlich iſt ein Eſſay zuſtandegebracht,
darin der harmloſe und reizende Leutnant

nebſt allen, die ihn liebend umgeben, einfach
und herzlos abgeſchlachtet wird. Und da
auch der Volontär Bosheit für Geiſt und
Spott für Überlegenheit hält, ſo ſchleudert
er alle Mitglieder des Theaterchens erbar-
mungslos in den Orkus und donnert heilige
Tempelworte über Bühnenkunſt in das ver-
ſtändnisloſe Parkett.

Aber — der Redakteur lacht, wird ernſt,
wird wütend, ſchimpft, raſt, zerreißt die
Arbeit der Nächte wie ein Nichts, wirft ſie
höhniſch in den Papierkorb und ſpricht zer-
ſchmetternde Worte von Schuljungenſtreichen
und Idiotengeſchwätz. Er, der gar nicht im
„Veilchenfreſſer“ war, ſetzt ſich dennoch hin und
ſchreibt hundert entzückende Zeilen über die
Aufführung in nicht mehr als einer halben
Stunde, und noch ehe der Volontär aus
ſeinem Jammer ans Licht des völligen Ver-
ſtehens zurückgekehrt iſt, iſt die Kritik bereits
im Satz, und der Setzer bringt ſchon den naſſen
Bürſtenabzug, den der Volontär korrigieren
muß, vernichtet, gerichtet, wie er iſt.

Doch die eigentliche Zeitung, der politiſche
Leitartikel, die ökonomiſchen Aufſätze, die
ſchönen Sonntagsbetrachtungen, die ſüßen
Plauderbriefe aus den verſchiedenen Metro-
polen, die erſtaunlichen Telegrammrubriken:
das alles wird fix und fertig bezogen. Denn
in der Hauptſtadt des Landes, von der ja an-
geblich alle Kultur ausgeht und die Menſch-
heitsideale proklamiert werden, gibt es nicht
nur eine Menge von Zeitungskorreſpondenzen,
die ihren Abonnenten draußen im Reich alle
paar Tage ein nachdruckfertiges Heft mit
Novellen und Eſſays zugehen laſſen, ſondern
hier und da iſt ein Inſtitut etabliert, wo ein
kluger Mann mit einigen Helfern eine ganze
Zeitung fabriziert, die Tag für Tag den Ab-
nehmern in ferne Städtchen geſandt und
dort in individueller Aufmachung gedruckt
wird. So kommt es, daß, bis auf die Lokal-
nachrichten und die Inſerate, dieſe lieben
kleinen „Anzeiger“ und „Boten“ im Norden
und Süden zwillingsgleich ſind, daß die
Städtchen auf ⸗ow dieſelbe Politik leſen wie
die Ortchen auf⸗witz, daß dieſelben „Sonn-
tagsgedanken“ in öſtlichen wie in weſtlichen
Damenherzen fromme Vorſätze entzünden
und die gleichen Rätſel, Scharaden und Ho-
monyme ſcharfſinnige Köpfe der Waſſerkante
wie der Bergtäler in Bewegung ſetzen.

Und da ein Roman nicht fehlen darf, wenn
man die Gunſt der Frauen ſich erhalten will,
und da man Originalarbeiten nicht hono-
rieren kann, ſo druckt man alte, in der
„Welt“ ſchon wieder vergeſſene Romane ab
oder hat den hundertſten Nachdruck einer
ſenſationellen Novelle für wenige Mark er-
worben. Der wird von ſorgſamen Haus-
frauenhänden ſäuberlich ausgeſchnitten, Blatt
auf Blatt gelegt und geheftet. Und ſolche
geſammelten Feuilletonromane gehen dann
auf fröhliche Austauſchreiſen von Ortchen zu
Ortchen, und die Tanten und Freundinnen
untereinander wechſeln ihre Blätter aus, und
hüben und drüben hebt das fiebernde Leſen an.
 
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