Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (4) — 1922 (Mai bis August)

DOI Kapitel:
Nr. 151 - Nr. 160 (3. Juli - 13. Juli)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48723#0331
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Tageszeitung Mr die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen,
Adelsheim, Bosbsrg, Tanberbischofshsim und Wertheim.

Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 32.— Mk., Anzeigenpreise:
Die einspaltige Petitzeils (36 inrn breit) 3.— Ml., Reklame-Anzeigen
(88 mm breit) 8.— Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Eeheimnuttelanzeigen werden nicht ausgenommen.
Geschäftsstunden: 8—V-6 Uhr. Sprechstunden derRedaktion: 11—12Uhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22577. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Mittwoch, 12. Juli 1922
Nr. 159 * 4. Jahrgang

Verantwort!.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u. Feuilleton:
Dr. E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales:
O. Geibel; für die Anzeigen: A. Friedmann, sämtl. in Heidelberg.
Druck u. Verlag derUntsrbadischen Verlagsaastalt G. m. b. H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schrödsrstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigeu-Annahme 2673, Redaktion 2313.

Am Wendepunkt!
Kr. Heidelberg, den 12. Kuli.
' Wenn man in den letzten Tagen die bürgerliche Presse Hei-
delbergs aufmerksam verfolgt, kann man kaum glauben, das; es erst
14 Tage seit dem ruchlosen Mord an Rathenau vergangen sind.
Damals glaubten wir doch, daß jetzt das Matz voll sei, datz es nicht
mehr so weiter gehen dürfe und datz nunmehr wirklich energisch
gegen rechts durchgegriffen werden müsse, wenn schon der langen
Kette der Politischen Morde ein Ende gesetzt werden solle.
Es wurde der Kampf um Sein oder Nichtsein der Republik ge-
kämpft, und es schien so, als ob auch unsere bürgerlichen Koali-
tionsgenossen den Emst der Stunde verstanden haben und bereit
sind, Seite an Seite mit der organisierten Arbeiterschaft den
Kampf gegen den Feind von rechts aufzunehmen. Es schien so,
ja, die letzten Tage haben uns leider gezeigt, datz es nur Schein
war. Heute hat sich das Blatt völlig gewendet, im Reichstag ge-
ben sich Demokraten und Zentrum alle Mühe, damit ja kein Aus-
nahmegesetz gegen die Rechtsreaktion zustande kommt und draußen
hetzt die ganze bürgerliche Pressemeute gegen die Sozialdemokra-
tie, weil sie sich erdreistet hat, die organisierte Arbeiterschaft für
das Schutzgesetz der Republik aufmarschieren zu lassen, weil sie
weiterhin die Arebtterschaft alarmiert, sich für die Kämpfe der kom-
menden Wochen bereit zu halten u. — das Schrecklichste, was sich die
Sozialdemokratie geleistet hat! — weil sie es ablehnt, die National-
liberalen zum Schutze der Republik in die Regierung hineinzuneh-
men. Pacteiegoismus über Staatsnotwcndigkeit" überschreibt das
„Heidelberger T ageblatt" den Beschluß unserer Reichs-
tagsfrattion, wonach eine Mitarbeit unserer Partei in einer nach
rechts erweiterten Regierung nicht in Frage kommt. In derselbe»
Nummer regt sich der Demokrat Gerland furchtbar auf über die
Politik der sozialistischen Parteien, die aus parteipolitischem
Egoismus die ganze Situation vollständig verfahren haben sollen.
Soweit sind wir also bereits wieder gekommen! Wenn, die So-
zialdemokratie jetzt wirklich ernst machen will mit der Sicherung
und Fundamentierung der Republik, wenn sie anstelle der vielen
Worte und Erklärungen nach dem Erzvergermord, die in den
Wind geredet waren und ohne jeden praktischen Erfolg blieben,
jetzt wirklich Taten für die Republik und gegen die Reaktion sehen
will und wen» sie es ablehnt, die Liberalen in die Regierung
hineinzunehmen, weil dieselben vek jeder Gelegenheit mit den
Deutschnationalen gegen die Regierung und die Krali-
tionsparteien gestimmt und gearbeitet haben, dann nennt man das
„parteipolitischen Egoismus". Es fällt uns schwer anzunehmen,
datz alle auch die wirklichen Demokraten Heidelbergs hinter dieser
Politik des „Heidelberger Tageblattes" stehen, wir können es z. B.
nicht glauben von Prof. Dibelius, der in der Stabthalle so
scharfe und ernste Worte gesprochen hat, und nicht von Bürger-
weist er Dr. Drach, der sich in seiner Demonstrationsrede in
Mosbach mit einer bemerkenswerten Schärfe gerade gegen die
Nationalltberalen und ihren Kampf gegen die Demokra-
tie gewendet hat, weil sie sich dadurch an der Schaffung der politi-
schen Mordatmosphäre mit schuldig gemacht haben. Diese ehrlichen
Demokraten können heute keine Zusammenarbeit mit der De,tischen
Volkspartei wollen, sie müssen Verständnis Haven für die ableh-
nende Haltung der Sozialdemokratie. Aber wie grotz ist denn der
Einflutz dieser wirklichen Demokraten in der Deutsch-demokratischen
Partei? . . .
Geradezu unglaubliche Gehässigkeiten und Verdächtigungen
leistet sich in den letzten Tagen der „Pfälzer Bot e", das Or-
gan derjenigen Partei, welcher der Reichskanzler Wirth angehört I
Der „Pfälzer Bote" schreibt am 10. Juli im Anschluß an die
Nachricht, datz die Sozialdemokratie die Koalitionserweiterung
nach rechts ablehnt:
„Das läßt Sturm ahnen und man wird gut tun, aufs
Suherste vorbereitet zu sein. Wenn nicht rasch ein außerordent-
licher Umschwung im Lager der Sozialdemokratie eintritt, ist
keine Rettung abzusehen; denn: das Proletariat rettet das
Vaterland nicht! — Wohl aber sprechen Anzeichen dafür, datz
man im sozialdemokratischen Mehrheilslager gesonnen ist,
das Experiment einer Diktatur des Pöbels und der Gaffe
zu wagen. Dann wehe dir, Deutschland, die Flut der Träne»
deiner Kinder wird noch wachsen und es ist leicht vorauszu-
sehen, datz auss neue deutsche Blut gegen deutsches Blut wütet,
dgtz neue Leichenhügel und neue Ruinen durch den Bürgerkrieg
entweihten Boden des Vaterlandes zu bedecken. — Wohl ist es
möglich, datz dann die sozialistisch Republik zum guten Teil ver-
wirklicht wäre; doch frägt man sich wohl, ob die Väter um dieses
Kind nicht mehr Angst als Freude erleben!
Aber die Linke ist gegenüber den Gefahren des Kommenden
völlig blind. Ein Macht 1 aumel hat die sonst Vernünftigen
ergriffen und anbetend wälzt sich alles Volk, wälzen sich die
Führer im Staube vor dem Götzen der Macht, bereit, diesem
Moloch Ruhe, Ordnung, Zukunft, Volk und Va-
terland zum Opfer zu bringen."
Es fehlen uns überhaupt die Worte, um dieses erlogene, exal-
tierte und hetzerische Machwerk gebührend zu charakterisieren. Wir
stellen nur fest, datz wir selten etwas Gemeineres und Demagogi-
scheres gelesen haben als diese Sätze. In dieselbe Kerbe hauen die
folgenden Sätze, die aus einem Leitartikel der „Köln. Volks-
zeitung" zittert werden.
„Wenn die Sozialdemokratie sich weigern sollte, der Auf-
nahme der Deutschen Volkspartei in die Koalition zuzustimmen,
dann würde eine Lage entstehen, von der nicht mehr abzusehen
wäre, wie sie gemeistert werden könnte. Wir sträuben uns gegen
den Gedanken, datz die Linke fähig sei, einen solchen Wahn-
witz auch nur in ernsthafte Erwägung zu ziehen. Denn
das wäre geradezu ein Attentat auf das
Lehen der Republik

in demselben Augenblick, wo man drakonische Gesetzesbestim-
mungen zu ihrem Schutz erlässt."
Das also ist Stimmung und Ton der bürgerlichen Koalitions-
presse 14 Tage nach dem Mord an Rathenau. Wenn es nicht
wirklich zum heulen wäre, man mützte sich ja den Bauch halten vor
Lachen: man bezweifelt unseren ehrlichen Willen zur Mitarbeit
an der Rettung Deutschlands, weil wir keine Koalition mit der
Volkspartei wollen!!
Diese ganze künstliche Aufregung der Herren Bürgerlichen hat
ja einen ganz anderen Hintergrund. Man will der Sozial-
demokratie bange machen, man will unter allen Umstän-
den die Hereinnahme der Unabhängigen in die Regierung verhin-
dern, weil man die Linksdrehung der Koalitionsvolitik, die sich
natürlich auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik auswirken
mützte, nicht will, das ist des Pudels Kern! Und gerade
deshalb darf sich unsere Partei jetzt unter keinen Umstanden von
der klaren und entschiedenen Linie, die sie jetzt eingcschlagen bat,
avbringen lassen. Sie hat bereits klar und deutlich gegen eine
Erweiterung der Koalition nach rechts entschieden, an dieser Ent-
scheidung darf unter keinen« Umständen mehr gerüttelt werden,
selbst wenn Herr Stresemann demnächst im Reichstag wieder die
schönste und verführerischste Rede halten sollte. Aber bei dieser
Entscheidung allein darf unsere Partei nicht bestehen bleiben, sie
mutz nach wie vor mit allen Mitteln auf die Hereinnahme
der U.S.P. drängen, um der Regierung die Autorität und
Mehrheit im Reichstag zu verschaffen, die unbedingt notwendig
ist, um das Schutzgesetz, das Amnestiegesetz"und eine gegenüber der
bisherigen weit sozialere Wirtschafts- und Finanzpolitik
durchzuführen, denn auch letzteres gehört zum Schutz der Republik,
ein weiteres Gehenlassen der wirtschaftlichen Verelendung führt
geradeaus zum Bürgerkrieg. Alles gegen Alle. Was aber, Werin
alle unsere Liebesmüh vergebens ist, wenn unsere Bemühungen
am Widerstand von Zentrum und Demokraten scheitern? Dann
gibt es, soweit wir augenblicklich die Situation beurteilen und die
Stimmung derjenigen proletarischen Massen zu kennen glauben,
die in den letzten 14 Tagen zweimal demonstriert haben, nur eine
Parole: Heraus «ms dieser Regierung und Neuwahl des Reichs-
tages!

Deutscher Reichstag.
s. Lesung des Schutzgesetzes. — Provozierendes Austreten der
Rechten. — Ein Mahnruf des Reichskanzlers.
Berlin, 11. Juli.
Avg. Wissel (Soz.)j
erklärt, seine Partei sei mit der Fassung der Vorlage sehr un-
zufrieden. Besonders bedauerlich sei die-ablehnende Haltung
der bayerischen Regierung. Der Redner fragt, ob der b a y e r i s ch e
Erlaß noch immer aufrecht erhalten wird, nach welchem alle
Maßnahmen aus der Verordnung des Reichspräsidenten der
bayerischen Regierung vorzulegen seien, ehe sie ausgesührt werden
dürfen. Diese bayerische Verordnung sei ein Zeichen einer un-
glaublichen Reizbarkeit und Empfindlichkeit. Die monarchistische
Agitation, die eine Atmosphäre des Mordes geschaffen habe,
müsse verboten werden, ebenso auch das Tragen von monarchisti-
schen Abzeichen. Der Ausschuß habe es an der hier unbedingt nö-
tigen Härte fehle« lassen. Von der Umgestaltung des Gesetzes in
zweiter und dritter Lesung sei der Entschluß der Sozialde-
mokratie abhängig. Er könne aber auch weiter nicht im
Voraus gefaßt werden, ehe man nicht wisse, wie die anderen
Gesetzesvorlagen aussehen werden, die mit größter Be-
schleunigung verabschiedet werden müßten, nämlich das Amne-
stiegesetz, das Gesetz über die Pflichten der Beamten und
vor allem auch das Gesetz über eine Reichskriminalpoli-
zei. Von allen diesen Fragen müsse die schließliche Haltung der
Sozialdemokratie bestimmt werden.
Abg. Gräf-Thür. (D.-N.): lehnt die Vorlage ab, weil sie
eine Ausnahmegesetz gegen rechts sei. Die Linke habe im Aus-
schuß durch eine geschickte Regie dafür gesort, daß nach zweitägiger
harter Arbeit etwas zustande kam, es hieß einfach: Hier bleibt ihr,
bis Ihr Eure Ausgabe gelöst habt. Die Linke hat ihr Ziel erreicht,
indem sie den Generalstreik an die Wand malte. Mit der Vorlage
will man nur die nationale Opposition binden. Die Linke hat
immer revolutionäre Mordtaten verherrlicht. (Zuruf links: Sind
Sie doch still.) Als der Redner sich dann noch Wetter in diesem
Tone gegen die Linke wendet, drohen die Kommunisten ihn von
der Rednertribüne herunterzuholen. Der Redner verweist aus
zahlreiche Mordtaten an rechtsstehenden Persönlichkeiten. Der
Reichskanzler hat geradezu zum Kampfe gegen rechts aufgefor-
dert. Die Folgen zeigen sich jetzt überall. In Thüringen find
Mordtaten und Plünderungen erfolgt. In Zwickau desgleichen.
Dort hat der Aufruhr allein 18 Personen das Leben gekostet. (Zu-
rufe links: Lügner, großer Lärm. Der Präsident ruft den Zurufer
zur Ordnung und fordert gleichzeitig den Redner aus, sich zu mä-
ßigen.) Man muß als Opposition auch das Recht Haben, die Mi-
nister anzugretfen. (Großer anhaltender Lärm links.) Dieses Ge-
setz ist ein Produkt der schlotternden Angst vor einer Auflösung
des Reichstages. Vor einer Auslösung des Reichstages haben
jedoch die Deutschnationalen keine Angst. (Großer Lärm links,
Zustimmung rechts.)
Reichsjnstizminister RadVruch
nennt die Rede Gräfs ungeheuerlich und provozierend. Die
Deutschnationalen haben keinen Trennungsstrich zwischen sich und
den deutschvölkischen gezogen, solange die Abgeordneten Wulle,
Laverenz und Gräf in ihren Reihen noch sitzen (Zustimmung
links). Herr Gräf hat seinerzeit die ungeheuere Verdächtigung
ausgesprochen, datz von den groben Summen, die Erzberger für
kirchliche Zwecke gesammelt hat, auch recht viel in seine eigene
Tasche geflossen sei, wie man teilweise in der Oesfemlichkeit ange-
nommen habe. (Pfuirufe links.) Der Minister verteidigte dann die
Vorlage und erklärt, datz der Staaisgerichtshof keine Aenderung

der Verfassung bedeute, denn er sei ein Sondergericht, und darüber
enthalte die Verfassung keine Bestimmungen. Das Sozialisten-
gesetz sollte eine Geistesrichtung mit Poltzetknüppel niederschlagen,
davon sei aber keine Rede. (Beifall links.)
Der sächsische Minister des Innern Lipinski gibt Aus-
kunft über die Vorfälle in Zwickau, wo nur 3 Personen getötet
sind und nicht 18, wie Abg. Gräf behauptet hat.
Abg. Levi (Unabh.) wirft der Rechten Heuchelei, Verlogen-
heit und eiserne Stirnen vor. Noch niemals habe sich eine Partei
so in den Dienst der Attentate gestellt, wie heute die deutschna-
tionale Partei. Der Redner fordert dann strengere Maß-
nahmen, damit die Hohenzollern nicht mehr nach Deutschland
zurttckkehren.
Abg. Dr. Bell (Zentrum) stimmt im wesentlichen der Vorlage
zu, obgleich eine Reihe von Bedenken vorhanden seien, die man
jedoch wegen der politischen Lage zurückstellen müsse. Zuerst müsse
die Vorlage eine Gestalt erhalten, die Ruhe und Ordnung durch
unser in Fieberzuckungen liegendes Vaterland bringt. Der Red-
ner bedauert die Ausführungen des Abg. Gräf, die im Gegensatz
zu den vornehmen Ausführungen des Abg. Düringer der Ruhe irrt
Lande recht wenig dienen würden. Solche Provokationen könnten
nur zu leicht zu ungeheuren Katastrophen führen. Sollten wir
denn mit durchgreifenden Maßnahmen warte«, bis auch der letzt«
Minister der Republik ermordet ist! Natürlich mutz auch in eine«
Zeit der höchsten Erregung Besonnenheit undtzDerechtigkeit Wal-«
len, aber es wäre an sich nicht zu verantworten, wenn das Gesetz
gescheitert wäre.
Abg. Dr. Kahl (Deutsche VolksPartei). Die Art und'
Weise der Mitarbeit meiner Fraktion hat deutlich gezeigt, daß wir!,
von vornherein gewillt sind, die verfassungsmäßige revubManischs
Staatsform zu schützen. Befremden erregt vor allem die Erklärung
des Abg. Wissel, daß alle vier Gesetze zusammen verabschiedet wer-
den müssen. Mir ist es sehr zweifelhaft, ob es überhaupt zulässig
ist, uns einen derartigen Zwang aufzuerlcgen. Wir behalten uns
jedenfalls unsere Freiheit aus das allerernrrgischste vor. (Zustim-
mung bei der Deutschen Volkspartei.) Dieses Gesetz ist zweifellos
eine Verfassungsänderung. Es darf keine politische Rache getrie-
ben werden. Man ruft nach scharfen Waffen Hegen die Anttrepu-
bManer (Zurufe links: Ja, wir waren zu nachsichtig!) Seien Sie
doch nicht so selbstgerecht. Wenn die reaktionäre Entwicklung so!
wiWe Erscheinungsform annehmen konnte, so ist Schuld daran
neben anderen Gründen auch die politische Methode, die sich nicht
genug darin leisten konnte, in den vergangenen drei Jahren das
geschichtlich eingestellte deutsche Volkstum in seinen Erinnerungen
zu beleidigen (nach links) Denken Sie doch auch einnmal daran,;
wie sie die uns heiligen schwarz-weiß-roten Farben immer ge-
schmäht und beleidigt haben. Niemals haben wir die schwarz-rot-
goldene Fahne beschimpft. (Zuruf linkts: Doch, Judenfabn«
haben Sie sie genannt.) Wie haben Sie die Angehörigen früheres
landesherrlicher Familien heruntergezogen und in den Schmutz ge-
treten. Wie haben Sie mich als Hohenzollernschieber und Weitz
Gott alles sonst noch hingestellt. Dieser Druck hat natürlich Ge-
gendruck erzeugt und dadurch haben Sie uns das Einfühlen in
die neue Staatsform erschwert. (Von links ertönen jetzt immer
anhaltende Zwischenrufe, auch von einer Anzahl Abgeordneten,
die direkt unter der Rednertribüne stehen. Abg. Kahl bitter den
Vizepräsidenten Dittman«, die zunächst stehenden Zwischeuruier
zum Anssuchen ihrer Plätze aufzufordern. Vizepräsident Dittnraun
ersucht den Abgeordneten Kahl nicht zu provozierend zu sprechen
und dadurch die Zwischenrufe der Linken hervorzurufen. (Großer
Lärm rechts.) Wir sind bereit, au einem Gesetze zum Schutze der
Republik mitzuwirken, jedoch mit der Voraussetzung, datz es nach
allen Seiten gleichmäßig angewendrt wird.
Für die Demokraten sprach Abg. Schütting. Er leitete die'
tiefbeschämende Notwendigkeit des Gesetzes aus der Tatsache ab,
daß allein mit der Ermordung Rathenaus nicht weniger als sttzll
Personen in Verbindung stehen. Gegenüber der sozialistischen Kri-
tik an den Arbeiten Des Ausschusses wies er auf die verschiedenen
Verschärfungen hin, die in den Ausschutzbsrattmgen in das
Gesetz hinein-gebracht worden sind, und kündigte einige demokrati-
sche »änderungsanträge an, darunter den Antrag, auch die Spren-
gung öffentlicher Versammlungen unter Strafe zu stellen, ebenso
das Verbergen von Waffen.
Abg. Emmele (Bayr. Volkspartei) machte alle möglichen Eirr-
wenDungen Bayerns gegen das Gesetz geltend. Das bayrischä
Volk sei heute zu 80 Prozent monarchistisch.
Reichskanzler Dr. Wirth.
Wir sind uns alle darüber klar, daß die Häufung der politi-
schen Mord e das Ende des Vaterlandes bedeuten. Der Kam le«
erinnerte an die ersten Wochen nach der Revolution, wo sich
alle hinter eine selbst nicht verfassungsmäßige Regierung stellten,
Weil sie Ruhe und Ordnung gewährleistete, und darauf komme cs
an.
Bei der Ermordung Rathenaus sei es allen klar geworden,
datz das System des politischen Mordes das Leben in einem ge-
ordneten Staate unmöglich mache. Die Rede des Abg. Emminger
beweise, daß das Gesetz mit größter Beschleunigung verabschiedet
werden müsse, wenn man elementaren Ausbrüche« der Bolksmei-
i,ung zuvorkommen wolle. Leider habe der Glaube im Volke Ein-
gang gefunden, daß es der Regierung nicht ernst sei. Wer immer,
wie es in Bayern geschehe, mit geschichtlichen Veränderungen und
Entwicklungen drohe, der versündige sich am Reiche. Der Gedanke
der Reichseinheit dürfe überhaupt nicht zur Diskussion gestellt
werden.
Der Gegensatz gegen Bayern laufe auf folgendes hinaus:
Könne überhaupt in Deutschland oder in Bayern auf die Dauer
gegen eine Bevölkernngsklaffe regiert werden oder muß diese Klaff«
zur politischen Verantwortung herangezogen werden? Das Werl
der Rettung Deutschlands könne nur das Werk der Zusammenarbeit
aller Schichten des Balkes und aller Länder sein.
Der Kanzler wre^ Hau» auf das Reparationsprovlem hin mrd
bctonte, wie MMhener dieses Problem auf Deutschland drücke.
 
Annotationen