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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (4) — 1922 (Mai bis August)

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Nr. 171 - Nr. 180 (26. Juli - 5. August)
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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppinger», Eberbach, Morbach, Buchen,
Adelsheim, Boxberg, Tauberbischofsheim und Wertheim.


Bezugspreis: Monatlich eiuschl. Trägerlohn 32.— Mk-, Anzeigenpreise:
Die einspaltige Petitzeile (36 mm breit) 3.— Mk., Reklame-Anzeigen
(88 mm breit) 8.— Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Geheimmittelanzeigen werden nicht ausgenommen.
Geschästsstnnden: 8—'/,6 Uhr. Sprechstunden der Redaktion: 11—12 Uhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22577. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Donnerstag, 27. Juli 1922
Nr. 172 * 4. Jahrgang

Verantwort!.: Für innere «. äußere Politik, Volkswirtschaft u. Feuilleton:
Dr.E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales:
O.G sibel; für die Anzeigen: A. Friedmann, sämtl. in Heidelberg-
Druck u. Verlag der Unterbadischen Berlagsanstalt G. in. b. H., Heidelbs rg.
Geschäftsstelle: Schröderftraße 39,
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2618.

Die Reichsregierung gegen Bayern.
Die bayrische Heuchelei entlarvt. — Die Verordnung der bayrischen Regierung „ver-
fassungswidrig und ungültig".—Wiederherstellung der Rechtseinheit des Reiches verlangt.

Die gestrige Kabinettsitzung.
Verfasfuugsbruch sestgestellt. — Anrufung des Reichsgerichts. —
Verhandlungen mit Lerchenfeld?
Berlin, 26. Juli. Die heute vormittag angesetzte Sitzung
des Reichskabinetts hat um 11^ Uhr begonnen. Es nahmen dies-
mal sämtliche Minister teil. Die Stimmen innerhalb des
Kabinetts, die durch eine rein formal-juristische Wetter-
st e r s o l g u n g der durch den Münchener Schritt geschaffenen Lage
vor dem Reichsgericht dem Konflikte seine Schärfe zu nehmen
glauben, sind zahlreich. Die Aussprachen, die zwischen dem Reichs-
Präsidenten und dem Reichskanzler gestern abend stattgesunden
haben, dürsten zu einer deutlichen Umreißung der Maßnahmen
geführt haben. Die angekündigte Einberufungdes Ueber-
w ach un gs a u s sch u s ses des Reichstags hat mit den
einzutettenden Schritten unmittelbar nichts zu tun. Sie ist erfor-
derlich zur Feststellung darüber, ob die Mehrheit des Reichstags
besten Einberufung wünscht.
Berlin, 27. Juli. (Prtv.-Tel.) Der Konflikt des Reiches mit
Badern ist durch die gestrigen Beschlüsse des Reichskabtnetts in ei»
wesentlich ruhigeres Fahrwasser gekommen. Das
Kabinett hat nach einem ausführlichen Vortrag des Reichsministers
Fehr, der selbst Bayer ist und in München an den Sitzungen des
Bauernbundes, dem er angehört hat, teilgenommen hat, den Ent-
schluß gefaßt, von Gewaltmaßnahmen gegen Bayern Abstand zu
nehmen.
Der RetchSjuftizminifter Dr. Radbruch hatte dem Kabinett
ein Rechtsgutachten vorgelegt, in dem das Vorgehen Bayerns, ins-
besondere der Erlaß der bayerischen Ausnahmeverordttungen, als
verfassungswidrig erklärt wurde. Das Reichskabinett hat
sich diesem Urteil einmütig angeschlofscn. Es beschloß dann, die
Streitfragen dem Reichsgericht zu unterbreiten und inzwischen die
politischen Verhandlungen mit der bayerischen Regierung fort-
zusetzrn.
Graf Lerchenfeld, der bayerische Ministerpräsident, wird
zu einer Besprechung nach Berlin ei «geladen werden.
Nach den Informationen des Berichterstatters sollen diese Be-
sprechungen aus beiden Seiten versöhnlich geführt werden, umso-
mehr, als dem Kabinett Nachrichten vorliegen, nach denen die
bayerische Regierung den Wünschen des Reiches im Interesse der
Beilegung des Konfliktes in wichtigen Punkten entgegen-
kommen will.
Die Erklärung des Reichskabinektr.
Berlin, 27. Juli. (Priv.-Tel.) Das Reichskabinett har
gestern abend in dem Konflikt mit Bayern folgende Erklärung be-
schlossen:
„Die bayerische Regierung hat durch die Weige-
rung, das am 23. Juli 1922 verkündete Reichsgesetz zum Schutze
der 'Republik innerhalb des rechtsrheinischen bayerischen Staats-
gebietes durchzuführen, und durch den Erlaß einer landesrechtlichen
Verordnung, die das Reichsgesetz ersetzen soll, einen folgen-
schwer e n Schritt getan. Zum ersten Male seit der Gründung
des Reiches ist damit der Zustand eingetreten, daß eine Landes-
regierung einem verfassungsmäßig zustande gekommene» Reichs-
gesetz für ihr Gebiet die Geltung verweigert.
Nach der einstimmigen Auffassung der Reichsregierung ist die
Verordnung der bayerische» Regierung verfassungs-
widrig und ungültig. Kein Satz der Reichsverfafsung gibt einem
Laude das Recht, das Inkrafttreten eines Reichsgesetzes deshalb
zu verhindern, weil es bei einem Teil der Bevölkerung aus Wider-
spruch stößt. Würde man den Ländern diese Befugnis zugestehen,
s > würde dies das Ende der deutschen Reichseinheit
m '«'Nicu.
Das Rsichsgesetz zum Schutze der Republik ist vom Reichs-
r a t als dem Träger der föderativen Berfaffung des Reiches m i t
">ehr als Zweidrittelmehrheit angenommen wür-
den. Für das Gesetz Haven im Reichsrat alle Landesregierungen
mit Ausnahme Bayerns gestimmt. Im Reichstagist das Gesetz
ünchfalls mit Zweidrittelmehrheit beschlossen worden: nicht nur
das Zentrum, die Sozialdemokraten und die Deutsche Demokratische
Partei, sondern in ihrer großen Mehrheit auch die Deutsche
Volkspartei haben im Reichstag dem Gesetze zugesttmmt. Die
bayerische Regierung hat in beide» Körperschafte» aus-
ll lebig Gelegenheit gehabt, ihre Bedenken auf verfaffungS-
tnäßigem Wege zur Geltung zu bringen, und einer ganzen Reihe
threr Wünsche ist bet der Verabschiedung des Gesetzes Rechnung

getragen worden. Es darf nicht davon gesprochen werden, daß
das Gesetz zum Schutze der Republik die in der Verfassung begrün-
deten Grundsätze wahrer Demokratie verletze und
den Tendenzen zur Errichtung einer Klassenherrschaft und eines
sozialistischen Einheitsstaates entgegenkomme. Dieser Borwurf muß
itmso nachdrücklicher zurückgewiesen werden, als er sich nicht nur
gegen die Reichsregierung und gegen sich der Verantwortung für
Reich und Verfassung bewußte große Parteien, sondern auch gegen
die Regierungen aller anderen deutsche,» Länder richtet.
Es ist nicht angängig, daß ein einzelnes Land sich
dem verfassungsmäßig erklärten Mehrheitswillen des deut-
schen Volkes entzieht. Unser schwer geprüftes Vaterland, das
soeben erst heftige innere Erschütterungen zu überwinden begann,
ist durch den Schritt der bayerischen Regierung neuen Wirren
und Gefahren ausgesetzt; die Reichsregierung bedauert dies
umsomehr, als die außenpolitische Lage des Reiches gerade gegen-
wärtig ein einmütiges Zusammengehen von Reich und Ländern zur
Pflicht macht.
Aufgabe der ReichSregteruug ist es, die Rechtseinheit
wiederherzustellen. Die bayerische Regierung hat
durch den Mund ihres Ministerpräsidenten ein klares und festes
Bekenntnis zum Reich und zur verfassungsmäßigen repu-
blikanischen Staatsform abgelegt. Sie hat mit besonderer Be-
tonung aller Besorgnisse, die in de« von ihr getroffenen Maftnah-
mrn eine Abkehr von der allzeit fest eingehaltenen Reichstreue er-
blicken »volle», als völlig sehlgehend bezeichnet. Auf Grund dieses
Bekenntnisses erwartet die Reichsregierung, daß die bayerische Re-
gierung sich de« Forderungen nicht entziehen wird, welche die
Reichsregierung im Interesse der Einheit des Reiches zu stellen
genötigt sein wird."
Die endgültige Entscheidung.
Berlin, 27. Juli. („Vorwärts.) Die endgülnge Ent-
scheidung der Reichsregierung über die Forderungen, die an
Bayern gestellt werden sollen, wird in dem heute Donners-
tag vormittag 11 Uhr unter dem Vorsitz des Reichspräsiden-
ten zusammeuiretenven Kabinettsrat gefällt werden.
ReichstagsPrSstdent Löve, der zeitweilig von Berlin abwe-
send war, ist wegen der gespannten iimerpolitischen Verhältnisse
am Mittwoch nachmittag zurückgekehrt, um mit der Reichsregierung
Besprechungen über Vie eventl. Einberufung des Reichstages zu
führen. Der Reichstag »nutz einberusen werden, falls ein Antrag
auf Rückgängigmachung der bayerischen Verordnung durch das
Plenum von einer Partei eingebracht wird. Es heißt, daß dl«
Unabhängigen einen derartigen Antrag stellen wollen. Ihre
endgültige Stellungnahme wollen sie von den Richtlinien der Re-
gierung abhängig »mchen. — Da inzwischen ein deutschnationaler
Antrag auf sofortige Einberufung des Reichstages im Zusammen-
hang mit der Annahme des Memorandums des Garantiekbmitees
dem RsichstagsprWdent zugestellt wurde, wird wahrscheinlich der
Aeltestenausschnß zur Beschlußfassung auf Freitag einberufen
werden. Es wird dann auch die Frage entschieden werde»; ob
wegen der bayerischen Vorgänge der Reichstag zusammentreten
muß.
Wieder eine reaktionäre Mörder- und
Berschwörerbande entdeckt.
Der deutschnationale Arbeiterbund sorgt den Rechtsputschiften
für Arbeit.
Hamburg, 25. Jult. Der Altonaer Polizei ist es,
wie sie jetzt mitteilt, vor etwa vierzehn Tagen gelungen, durch
Aufdeckung einer Geheimorganisation die putschistifche«
Ausmarschpläne nationalistischer Kreise zunichte zu machen. Einige
Putschisten sind ins Untersuchungsgefängnis gebracht und die
Akten cm den S ta a ts g e r i ch t s h o f abgegeben worden. Die
Geheimbündler sind frühere Freikorps-Angehörige; auch scheint der
„Deutschnationale Arb e i t e r b un d" in der Angelegen-
heit eine Rolle gespielt zu haben. Den Beamten der Altonaer
Polizei war es ausgefallen, daß außerordentlich zahlreiche frü-
here russische Offiziere nach Hamburg kamen, um im
Hafen Arbeit zu nehmen. Tie gaben an, auf Veranlassung des
Rittmeisters Raben nach Altona gekommen zu sein, der bereit
sei, sie vorläufig bet sich aufzunehmen. Die Polizei stellte fest, Hatz
die Russen fast jeden Abend sich in Ravens Wohnung in der Ger-
berstratze versammelten, wo denn auch mehrere von ihnen, darunter
der frühere russische Staatsrat Kronberg, der ebenfalls in Al-
tona als Arbeiter tätig war, sestgenommen wurden. Die Russen
sind inzwischen auSgewiese » worden. Rittmeister Raben war
lm Baltikum Adjutant des Fürsten Awalow-Bermondt und
entsprach mit der Unterbringung der Russen einem Wunsche des
Fürsten, der seine früheren Offiziere in seiner Räbe wissen wollte,
um sie bet passender Gelegenheit bet der Hand zu haben. Offenbar

handelte es sich dabet um Bestrebungen zum Sturz der gegervvär-
tigen russischen Regierung. Rittmeister Raden verschaffte den Russen
durch de« „Deutschnationalen ArbeitevSund" Arbeit, Zugleich un-
terhielt und leitete Naben in Altona eine Geheimorganisation frü-
herer Angehöriger seines Freikorps; auch die zu dieser gehörenden
Leute wurden durch den „Deutschnationalen Arbetterbund" unter-
gebracht. Raben behauptet, er habe lediglich einen „Stammtisch
Raben" gegründet, für dessen Zusammenkünfte er allerdings mit-
unter einen deutschnationalen Redner bestellt habe; die Leute habe
er. lediglich für den Fall eines erneuten Polenputsches in Ober-
schlesien Zusammenhalten wollen. Die Umstände sprechen aber
dafür, daß Raben die Leute zur Verfügung haben wollte, wenn
sich nach seiner Auffassung die Gelegenheit zum Sturz der
Reichsregierung und der Republik bieten sollte.
Bei Ermittelungen in einer anderen Sache ist sestgestellt wor-
den, daß der Diätar Zimmermann und der Arbeiter Krause
aus Leipzig in ihrer Wohnung in der Paulstratze öfters mit ande-
ren jungen Leuten »nter Umständen zusammenkamen, die auf das
Bestehen einer Geheimverbindung schließen ließen. Bei einer
Durchsuchung der Wohnung wurden Briefe an frühere Freikorps-
Angehörige vorgefunden. Die Adressaten werden darin zur Wer-
bung von Leuten ausgesordert, die „die richtige Gesinnung"
hätten und zu Putschen bereit wären. Dabei beruft mau sich
auf die Verbindung mit Rittmeister Raben. Ferner wurden bei
einem Teilnehmer nutzer anderem Heeresgut vier Handgranate»
und Jnfanterielmmition, außerdem Pässe und andere auf ver-
schiedene Namen lautende Papiere, sowie Orden und oberschlesische
Adler mit Blankoformularen für Verleihungen vorgefunden. Fest-
gestellt wurde, daß Zimmermann und Krause mit russischen Offi-
zieren in Verbindung standen und öfters heimlich mit ihnen zn-
sammenkamen. Unter der beschlagnahmten Korrespondenz befindet
sich ein Brief von einer Frau Krüger, Berltn-Friedrichshagen,
Friedrichstraße 1, der an Zimmermann gerichtet ist und in dem es
heißt: „Jetzt wollte ich, ich könnte so einen reichen Juden, es
braucht kein Politiker zu sein, überfallen: aber ein Wäschegeschäft
müßte er haben, Wäsche brauche ich. Sollten Sie einmal Gelegen-
heit haben, dann bitte, sprechen Sie sttr mich vor. Nun wünsche ich»
daß Sie mit Ihren Verbündeten Herren alle gesund und wohlbe-
halten bleiben bei dem nächsten Unternehmen."
Geradezu groteske Formen nimmt die Verhetzung und Veit
politische Unsinn in dem bei Rittmeister Raben vorgefundenen
Organisattonsstatut des Vereins „Die rächende Hand" an,
worin es heißt: „Als Hauptaufgabe hat der Verein die Pflicht, die
deutsche Republik zu stürzen und an deren Stelle die Monarchie
zu errichte,» und einen rein deutschen Fürsten, frei von fremder
Blutmischung, einzusetzen, die Verbrecherregierung unschädlich z«
machen, das Judentum zu stürzen und die deutschen Lande wieder
frei zu mache« für ein eintges Volk und Germanentum."
Rittmeister Raben war am Kapp-Putsch beteiligt und ge-
hörte der Brigade Ehrhardt an. Später nach Ungarn ent-
flohen, kehrte er nach seiner Amnestierung zurück und war zunächst
in der Orgesch Führer beim oberschlesischen Grenzschutz.
Verhaftet sind vis jetzt Zimmermann und Krause.

Ausland.
Der Internationale Friedenskongreß in
London.
Dir englische Regierung wünscht Deutschlands Beitritt zum
Völkerbund
London, 26. Inti. Gestern wurde in Anwesenheit von
fünfhundert Delegierten, Vie zwanzig Nationen vertraten, der 22.
Internationale Friedenskongreß eröffnet.
Der britische Vertreter Fisher erklärte in einer Rode, das
Hauptziel der britischen Politik sei die Erhaltung des Frie-
dens. Es liege nicht im. Interesse der Zivilisation, daß di«
Welt sich in zwei Lager, in Vas der Sieger und das der Besiegten,
geteilt sei. Die britische Regierung wünsche, daß Deutschland in
diesem Jahre um Zulassung zum Völkerbünde nachsuche. (Beifall),
damit der verschiedentlich erhobene Vorwurf, der Völkerbund sei
eine Einrichtung zur Förderung der Interessen und der Politik der
siegreichen Nationen, endgültig und wirksam beseitigt werde. Die
Wstt sei in einem Zustande der Unruhe und der Erschöpfung. Die
physische Abrüstung zwar sei den Besiegten auferlcgt worden;
aber der moralischen Abrüstung sei man nicht viel näher ge-
kommen. Es sei höchste Zeit, daß ein wMlicher Fortschritt auf
vom Wege eines internationalen guten Willens gemacht werde.
Die Welt müsse von der Last der Rüstungen befreit wer-
den, damit mindestens während einer Generation ein neuer großer
Krieg unmöglich sei.
Der König hat an den Kongreß, dessen Sitzungen Freitag,
den 28. Juli ihren Abschluß finden sollen, ein Begrüßungs-
telegramm gesandt.
Vom Kongreß sind vier Kommissionen ernannt wor-
den: 1. für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Euro-
pas, 2. für de» Völkerbund, 3. für die auswärtige Poli-
tik, 4. für aktuelle Angelegenheiten. Hieraus hat eine nicht-
öffentliche Sitzung sWtMfunden.
 
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