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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (4) — 1922 (Mai bis August)

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Nr. 191 - Nr. 200 (18. August - 29. August)
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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen,
Adelsheim, Boarberg, Tauberbischofsheim und Wertheim*

Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerloh» 42.— AN., Anzeigenpreise:
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O.Geibel; für die Anzeigen: A. Friedmann, sämtl. in Heidelberg.
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^He?WftdÄ^ Heidelberg, Donnerstag, 24. August 1922
Nr. 196 * 4. Jahrgang

Poincares Taktik.
Vor wenigen Tage» brachte in einigen französischen Blättern
der Gedanke einer direkten Verständigung zwischen Deutschland
und Frankreich aus. Ein Stinnes nahestehendes deutsches Matt
griff den Gedanken gierig auf und auch in Belgien soll er auf In-
nr esse gestoßen sein. Neber das Wesen der dkrekten Verständigung
wurden klare Formulierungen nicht gemacht. Im Mittelpunkt der
Idee stand die Tatsache, daß es «ine wirtschaftliche Grenze zwischen
Deutschland und Frankreich nicht gilbt. Das nvrdfranzöslsche Indu-
striegebiet ist sozusagen die Fortsetzung des rheinisch-westsäuschen
Jndustriereviers. Durch den Versailler Vertrag ist Frankreich der
natürliche Lieferant von Deutschlands Bedarf an gewissen Eisen-
erzen geworden. Das alles läßt sich nicht leugnen und ist schon
mehrfach erörtert worden. Rein wirtschaftlich gesehen, ließe sich
also ein Zusammenarbeiten der deutschen und französischen Indu-
strie seh« wohl denken und auch die Teilnahme Belgiens an der
Korporation wäre nicht ohne weiteres von der Hand zu weife«.
Leider sichen dem Plan die verschiedenartigsten Hindernisse entge-
geir.
Wie eifersüchtig die französische die deutsche Industrie liber-
wach t, sah man anläßlich des Troquereschen Sachleistungsplanes.
Lc Troquere sah für einen Ausbau der französischen Wasserstraßen
und Wasserkräfte eine enge Mitarbeit der deutschen Wirtschafts-
faktoren vor. Seine Vorschläge fanden vor den Sachverständigen
und den Regierungsstellen eine warme Aufnahme. Die Repara-
tionskonMlission schien dem Plan keine prinzipiellen Widerstände
entgegenvringen zu wollen. Und doch verschwand das Projekt
sehr bald von der Bildfläche, Die französische Industrie hatte Pro-
test gegelt die großzügige Verwendung deutscher Arbeitskraft in
Frankreich eingelegt.
Scheu wir weiter zu, so finden wir unter den von Poincare
auserfehenen produktiven Pfändern die Beschlagnahme der staat-
lichen Forsten und Bergwerke im Rheinland, teilweise Beschlag-
nahme der linksrheinischen Industrie, vor allem der chemischen
Werke, Verlegung der Zollgrenze an den Rhein mit Entschluß des
Rrchrgebietes. Hält sich die französische Industrie in der Defensive,
so gcht Poincarö zur Offensive Wer. Gewiß, auch er sicht deut-
lich, daß die politische Grenze zwischen Deutschland und Frankreich
keine wirtschaftliche ist. Er zieht daraus Wer nicht die Folgerung
einer deutsch-französischen Zusammenarbeit, sondern arbeitet im-
mer wieder auf eine Angliederung des westdeutschen Industrie-
gebietes an das Jndustrierevier Nordfrankreichs hin. Waren seine
Pläne früher ganz offen militärischer Natur, so versucht er heute,
nach Mißlingen der früheren Politik, mit wirtschaftlichen Zwangs-
maßnahmen. Aber das Ziel bleibt ^dasselbe, Wie auch die Begrün-
dung fernes Vorgehens dieselbe bleibt. Ein Schein des Rechtes
für derartige operative Eingriffe kann nur eine böswillige Verfeh-
lung Deutschlands ergeben. Deutschland darf also die ihm aus-
erlegten Lasten nicht erfüllen können. Da der Londoner Zahlungs-
plan auch nach Iden AbmiNderungsn, die er inzwischen erfahren
haben mag, diesen Bestrebungen Frankreichs durchaus entgegen-
kommt, mutzte ein Verfehlen Deutschlands Mer kurz oder lang in
die Erscheinung treten. Nur an dem zweiten Argument der Bös-
willigkeit Deutschlands hapert es. Denn alle Londoner Signatar-
mächte, von Frankreich abgesehen, und die verschiedensten Sach-
- verständigen- und Kontrollinstanzen haben inzwischen öffentlich
erklärt, daß die Londoner Forderungen wett über Deutschlands
Leistungsvermögen gehe«, daß also im Versäumnisfall voll einer
böswilligen Handlungsweise Deutschlands nicht die Rede sein
kaum Wenn das Poincarö in Harnisch versetzt und ihn zu der un-
sinnigen Behauptung hinreißt, die Nichtanerkennung der Böswil-
ligkeit Deutschlands sei ein Verstoß gegen den Versailler Vertrag
und berechtige Frankreich zu einem Sondervorgehen, so beweist
das einesteils, wie verfrüht es ist, auf Sine direkte Verständigung
nut Frankreich seine Hoffnung zu setzen und and ernte ils, mit wel-
cher Hartnäckigkeit Poincare auf das Ziel einer wirtschaftlichen
Einflußnahme im westdeutschen Industriegebiet yinsteuert.
Die Möglichkeit einer endgültigen Beilegung der ständigen
Sieparationskrise scheint vielmehr von anderer Seite gegeben zu
sein. Frankreich ist ein säumiger Schuldner wie Deutschland. Es
leidet an einem dringenden Geldbedarf. Won dieser Seite lastet
ein Druck auf Frankreich, der es zu einer Verständigung aus ande-
rem Gebiet willfährig machen könnte. Es darf doch nicht über-
sehen werden, daß Frankreich heute bereit ist aus Grund eines ine
teruMonalen Schuldenausgleichs einer vernünftigen Regelung des
Reparationsproblems zuznstimmen. Vorläufig arbeitet es »och
immer daraufhin, vor dem Zustand-ekommen der endgültigen Rege-
lung ein böswilliges Verfehlen Deutschlands zu erzwingen und
auf diese Weise das Westdeutsche Industriegebiet in irgend einer
Weise der» deutsche» Wirtschaftsbereich entziehen zu können. Da
Deutschland augenblicklich vor aller Oeffentlichkeit die Bitte aus-
gesprochen hat, seine Zahlungen eine Zeitlang aussetzen zu dürfen,
und da die gesamte Oesfentlichkeit geneigt ist, dieser Bitte stattzu-
geben, hält Poincare allem Anschein nach den- letzten Termin kür
gekommen, seiner Absicht Geltung zu verschaffen. Dringt er dies-
mal nicht durch, so ist vielleicht für lange Zeit und vielleicht
sogar für immer eine wirtschaftliche Einflußnahme Frankreichs
auf das rheinisch westfälische Industriegebiet unmöglich gewor-
t' en.
Das bleibt zu bedenken, wenn »ran sich ein klares Bild davon
machen will, wie wichtig es ist, der Gegenseite kein stichbaMges Mo-
ment für eine Böswilligkeit Deutschlands kn irgend einer Richtung
ui die Hand zu geben; das bleibt zu bedeuten, ivenu man sich an-
fchickt, jene internationalen Kräfte zu unterstützen, die dem Frank-
reich Poincares, jede Gelegenheit zu einem Sondervovgchen geben
wolle». Das Frankreich von heute lebt nicht mehr in dem Wahn,
daß Deutschland alles bezahlen wird, gber es gibt sich' immer
usch einem ebenso gefährlichen Wahn bin, z» gleicher Zeit die
Waue am Rhein verwirklichen unld die internationale

Mnanzrögelung erwirken zu können. Alles kommt darauf > bas eine Europa endgültig zerstört, während das anderer
an, Dummheiten zu verhüten, bis das Frankreich von morgen ein- I wenn die Selbstbestimmung nicht zu lauge auf sich warten lätzh
sieht, daß nur das eine oder das andere möglich ist und daß f die Katastrophe wahrscheinlich noch zurückdämmen könnte.
M MM IN MIN MWINM. -
W NkllkW MM.- IW WM MW.

Zu den Berliner Moratoriumsverhandlungen
Paris, 23. Aug. Der „Newyörk Herald" sagt zu den Ber-
liner Verhandlungen, daß die Reichsregierung immer noch die
Hoffnung habe, ein Moratorium ohne neue Zugeständnisse zu er-
reichen. Man rechne vor allem auf die Unterstützung Englands in
der Erwägung, daß eine Kontrolle der deutschen Kohle im Zusam-
menhang mit der lothringischen Eisenindustrie Frankreich eine indu-
strielle Vorherrschaft auf dem Kontinent gewähren würde, die nicht
mehr von der englischen Kohlenlteserung abhängig wäre. Die
Bemühungen der englischen Politik gingen bis jetzt daraus hinaus,
dies zu verhindern. In Berlin glaube man deshalb, daß Sir
Bradbury jede neue Forderung am Deutschland solange hinaus-
zögern wolle, bis die neue Konferenz im November sich mit der all-
gemeinen Finanzlage beschäftigt habe. Der „Matin" erklärt, Laß
man es als ein günstiges Zeichen zu betrachten habe, daß die Ver-
handlungen, die gestern ausschließlich über die Garantien geführt
wurden, nicht bereits abgebrochen worden seien, besonders weil die
Mitglieder der Reparattonskommission auf einen raschen Abschluß
der Verhandlungen drängen.
Fortdauer der Berliner Verhandlungen.
Berlin, 23. Aug. Es ist.irreführend, wenn heute alarmie-
rende Gerüchte von einem Abbruch der Verhandlungen in die Welt
geschleudert werden. Tatsache ist vielmehr, daß gestern abend Vor-
schläge von deutscher Seite gemacht worden sind, die aus einer an-
deren Linie als der der Parlamentarisch untragbaren produktiven
Pfänder liegen und die heute Gegenstand weiterer Beratungen
bilden. Um 10 Uhr ist das Kabinett zu einer Sitzung zusammen-
getreten, bei der nur die beteiligten Ressortminister anwesend waren.
Um 11 Uhr wurde die gestern unterbrochene Beratung mit den Ver-
tretern der Reparattonskommission fortgesetzt. Von einer Abreise
der beiden Vertreter der Reparationskommtssion oder auch nur
des französischen Mitgliedes Mauclereist heute noch keine Rede.
Es ist auch nicht richtig, daß die Vertreter der Reparationskommis-
sion mit ultimativen Vorschlägen der deutschen Regierung gegen-
übergetreten sind. Ebenso wenig ist es zutreffend, daß an amt-
lichen Stellen die Abreise des einen oder beider Delegierten, falls
«ran auf die Vorschläge nicht sofort einginge, zur Sprache gekommen
Wäre. Man kommt nicht zu Verhandlungen, wenn man ein Ulti-
matum in der Tasche hat. Richtig ist vielmehr, daß man auf beiden
Seiten nach wie vor bemüht ist, einen gangbaren Weg zu finden.
Neue Beratungen.
Berlin, 23. Aug. Die gestrigen Aeutzerungen der beiden
auswärtigen Delegierten zum Reichskanzler bildeten den Gegen-
stand einer Chefbesprechung der beteiligten Ministerien, die heure
vormittag 10 Uhr begonnen hat. Anschließend daran haben die
beiden Vertreter der Reparationskommission ihre Beratungen mit
dem Minister Dr. Hermes und dem Staatssekretär Bergmann fort-
gesetzt. Man glaubt nicht, daß die Beratungen vor Wochenende
beendet werden. Die beiden Vertreter der Reparationskommission
Werden heute nachmittag ö Uhr zu einer neuerlichen Besprechung
vom Reichskanzler empfangen werden.
Die deutschen Gegenvorschläge überreicht.
Berlin, 24. Aug. Die Gegenvorschläge der Reichsrsgierung
sind <an die Delegierten der Reparationskomnlissto» Bradbury
und Mauclere in einer neuen dritten Sitzung überreicht wor-
den, die in der Reichskanzleti gestern MeM von 6—^8 Uhr statt-
gesunden hat. Die beiden Delegierten dürftest nach Beendigung
dieser Sitzung dann im engeren Kreise darüber beraten, wie diese
neuen Vorschläge der deutschen Regierung aufzunehmen seien. So-
weit wir unterrichtet sind, soll Heute wiederum eiire Zusammen-
kunft der beiden Delegierten Mik dem Reichskanzler stattfinden und
es ist möglich, daß hierbei eine Antwort auf die deutschen Vorschläge
erfolgen wird.

Das Schicksal Oesterreichs.
Bundeskanzler und Finanzminister über die Lage.
Berlin, 23. Aug. Der österreichische Bundeskanzler Seipel
und Ftnanzminister Segur empfingen heute abend in der öster-
reichischen Botschaft Vertreter der Presse, um ihnen Mitteilungen
über den Zweck ihrer Rundfahrt zu machen. Seipel erklärte, daß
er noch heute abend nach Verona abreisen werde, wo die Zu-
sammenkunft mit dem italienischen Außenminister stattsindeu werde.
Das besonders in Ungarn verbreitete Gerücht, Oesterreich be-
reite mit dieser Reise seinen Eintritt in die kleine Entente
vor, erklärte Seipel für absolut unbegründet. Vor Abschluß
der Rundfahrt würde Oesterreich keine politische Neu-
orientierung eingehen. Das sei bet allen Besprechungen aus-
gemacht worden. Oesterreichs politische Zukunft dürfe nicht mit
der kleinen Entente in Verbindung gebracht werden.
Er siebt es als besonderes Zeichen des Schicksals an, daß er
in diesen ereignisschweren -Tagen nach Berlin kam. Die Entschei-
dung, ob die N e para t i on s v erh a n dl ung e n zu einem für

Deutschland erträglichen Ziele gelangen, werde auch für Oester-
reich von Bedeutung sein.
Ueber die eigentlichen Ziele der Reise sprach der Finanz-
minister Segur. Er ging von der prekären Lage aus, in die
Oesterreich gebracht wurde durch die Londoner Konferenz, die das
Anleihegesuch an den Völkerbund verwies, wodurch auch die Ver-
zögerung in der Errichtung der Notenbank eintrat. Trotz der
früheren trüben Erfahrungen werde Oesterreich den Rat der Lon-
doner Konferenz mit allem Ernste aufnehmen.
In dem jetzigen Augenblick, da ein Brot über 4000 Kronen
kostet und allwöchentlich um etwa 1000 Kronen teuerer werde, srage
es sich, ob überhaupt noch eine Möglichkeit vorhanden
sei, Oesterreich in dem im Friedensvertrag vorgesehene» Zustande
zu erhalten. Die Rundreise soll der Regierung die I n s orma -
tionen verschaffen und sie über die voraussichtliche Stimmung
beim Völkerbund unterrichten, aus denen heraus sie dann mit
Vorschlägen an das Parlament herantreten könnte. Segur wandte
sich gegen die Auffassung, daß Oesterreich unmittelbar vor dem
Zusammenbruch stehe. Der Staatshaushalt sei für die nächste Zeit
gesichert.
Man würde auch eine solche Reise nicht 24 Stunden vor dem
Zusammenbruch unternehmen, denn dann hätten Verhandlungen
mit den Nachbarstaaten keinen Zweck mehr. Es sei auch keine
Bettelreise, da man auf eine momentane Kredithilse
nicht gerechnet habe.
Die österreichischen Besprechungen in Berlin.
Berlin, 23. Aug. Die offiziellen Besprechungen mit de»
österreichischen Vertretern wurden heute vormittag fortgesetzt. Der
österreichische Standpunkt, der von den Prager Besprechungen be-
reits bekannt ist, wurde nochmals eingehend klargelegt. Heute nach-
mittag findet eine Besprechung des Reichsministers Dr. Hermes
mit dem österreichischen Finanzminister statt. Heute mittag sand
ein Frühstück für die Wiener Gäste statt. Um 3 Uhr begannen be-
reits die neuen Verhandlungen.
Eine finanzielle Hilfe Deutschlands für Oesterreich ausgeschlossen.
Berlin, 24. Aug. Die Verhandlungen zwischen Bundes-
kanzler Dr. Seipel und dem Reichskanzler Dr. Wirth haben ergeben,
daß eine finanzielle Hilfe Deutschlands für Oesterreich ausgeschlossen
ist. Dagegen soll Oesterreich eine Unterstützung auf wirtschaftlichem
Gebiete durch Lieferung von Kohle zugestanden worden sein. An
dem Abendessen, das am Dienstag zu Ehren des Bundeskanzlers
Dr. Seipel und des Ftnanzministers Segur der österreichische Ge-
sandte Riedl auf der Gesandtschaft gab, nahm auch der Reichs-
präsident und der Reichswirtschaftsminister Schmidt teil.
Die Sanierung der österreichischen Finanzen.
Paris, 23. Aug. Das „Echo de Paris" berichtet, daß die
österreichische Regierung an verschiedene alliierte Großbanken
herangetreten sei wegen der Aufnahme einer Staatsanleihe für
Oesterreich. Die Banken Haben jedoch Sicherheiten von ihren Re-
gierungen verlangt. Der Standpunkt der betreffenden engkischcu,
französischen und italienischen Regierungsstellen ist, daß man bereit
ist, Mittel zu suchen um diesem Gesuch nachzukommen. Zuvor müsse
man jedoch die Gewähr dafür haben, daß man mit dem Gelds in
Oesterreich dauernde Werte schaffe.
Eino Einladung »ach Paris.
Paris, 23. Aug. Die französische Regierung hat den tschecho-
slowakischen Ministerpräsidenten Benesch gebeten, das österrei-
chtsche Kabinett Seipel, das ernstliche Anstrengungen zur Ge-
sundung Oesterreichs mache, nach Möglichkeit zu unterstützest. Auch
ist Seipel eingeladen worden, zu Besprechungen nach Pa-
rts zu kommen.
Die österreichische Tragödie
Wien, 22. Ang. Angesichts der Bemühungen des Bundes-
kauzlcrS, die Aufmerksamkeit der Welt auf die Unhaltbarkeit der
österreichischen Verhältnisse zu senken, ist es vielleicht nicht ohne
Nutzen, mit einigen Zisfern den volkswirtschaftlichen Hintergrund
anzudeuten, aus den: Dr. Seipels politische Wallfahrten sich ab-
ipielen. Es ergibt sich dabei das Bild einer so rapid zunehmenden
Teuerung, daß nachgerade auch die Anwendung des Index auf die
Löhne und Gehälter nicht mehr zur Beschaffung der lebensnotwen-
digen Dinge auszureichen droht. So ist der Preis für den LaW
Schwarzbrot kaum erst um nahezu 1000 Kronen auf 4190 Kronen
erhöht worden und schon steht eine neue Steigerung in naher Aus-
sicht. Das Kilogramm Weitzmehl ist bei 8000 Kronen angelangt.
Die Fleischpretse haben auf dem heutigen Markt allein Steigerun-
gcn um annähernd 100 Prozent erfahren; das Kilogramm Rind-
fleisch kostet durchschnittlich 30000 Kronen, Schweinefleisch 36 000,
Speck 45 000 Kronen, und nichts läßt darauf schließen, daß -amR
etwa der Höhepunkt erreicht wäre. Sofern es überhaupt einen
Sinn hat, für die von Tag zu Tag steigenden Preise noch bestimmte
Ziffern zn nennen, so ist ein Kilogramm Butter mit 30 bis 40 000,
Zucker mit 15 Vis 20000, ein Ei für den Augenblick auf 700 bis
800 Kronen «nzusetzen. Kohle wurde schon Anfang August mit
rund noo Kronen für das Kil«gr«rmn berechnet und hält gcgE
wärtig bei 400 Kronen. Der Bürger, der auf den kühnen Gedan-
ken koRimen sollte, sich einen Anzug machen zu lassen, muß dafür
 
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