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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (4) — 1922 (Mai bis August)

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Nr. 181 - Nr. 190 (7. August - 17. August)
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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen,
Adelsheim, Boxberg, Tauberbischofsheim und Wertheim.

Bezugspreis: Monatlich einschl. TrSgerlohn 42.— Mk., Anzeigenpreise:
Die einspaltige Petitzeile (36 mm breit) 4.30 Mk., Reklame-Anzeigen
(98 mm breit) 12.— Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Geheimmittelanzeigen werden nicht ausgenommen.
Geschäftsstunden: 8—V-6 Uhr.' Sprechstunden der Redaktion: 11—12 Uhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22577. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Samstag, 12. August 1922
*
Nr. 188 * 4. Jahrgang

Verantwort!.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u. Feuilletonc
I. B-: O- Geibel; für Kommunales, soziale Rundschau u. Lokales:
O-Geibel; für dis Anzeigen: A. Friedmann, sämtl. in Heidelberg.
Druck m Verlag der Unterbadischen Verlagsanstalt G. m. L. H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahms 2673, Redaktion 2613.

Zur Lage.
LZ. Heidelberg, den 12. August.
Die über die deutsche Republik verhängten Rewrsiousmaßuah-
men, die, wie schon wiederholt erwähnt, einen Rechtsbruch bedeuten,
gaben der letzten Woche ihren Ausklang. Diese willkürlichen Maß-
nahmen sollten offenbar Herrn Poincare zu der Anfang dieser
Woche besonnenden Londoner Konferenz eine Waffe in die Hand
geben, womit die französische Regierung dokumentieren wollte, daß
sie bereit ist, die Gewaltpolitik gegen Deutschland sortzusetzen. Wir
wollen gleich vorausschicken, daß Herr Poincare dies-
mal einen Schlag ins Wasser tat. Nach dem bisherigen Verlauf
der Londoner Konferenz zu urteilen, wird es Herrn Poincare nicht
gelingen, seine bisher angewandte Gewaltpolitik gegen Deutschland
im vollen Umfange durchzusetzen. Die chauvinistische Pariser Presse
mag toben wie sie will, Lloyd George wird wohl in dieser
Konferenz Sieger bleiben, sollte sie nicht ohne Resultat abgebrochen
werden, was bis letzt noch nickst vorausgesagt werden kann. Das
englische Kabinett steht hinter Lloyd George und hat ebenfalls die
Vorschläge Poincares abgelehnt. Wenn das englische Kabinett von
der Tatsache überzeugt ist, das; Deutschland ehrlich sei, aber in der
Tat nichts bezahlen könne, so daß ihm ein Moratorium gewährt
werden müsse, so bedeutet das in Wirklichkeit eine für unsere Lage
nicht zu unterschätzende Erleichterung. Man sieht Wohl auch in
Parts ein, daß man seine gesteckten Ziele etwas zurückstecken muß,
um es nicht zu einem offenen Bruche mit den Vrbttndeten kommen
zu lassen. Der französische Ministerrat hat, obwohl er nach außen
hi» die in London eingeschlagene Politik des Herrn Poincare
Unterstützt, doch ihren Vertretern nach London Weisungen gegeben,
die eine Milderung der bis jetzt vertretenen Forderungen bedeuten.
Man steht wohl auch in Paris ein, daß eine isolierte Stellung
Frankreichs auf dem Kontinent die Lage des eigenen Landes nicht
bessern würde. Wie dem auch sei, unsere Lage wird auch nach der
Konferenz in London sehr schwer sein und die Gefahr droht bestän-
dig, saß ein verschärftes Vorgehen -fegen uns in- die WcK'siSMM
wird. Die Wirkungen auf unser gesamtes Wirtschaftsleben, die eine
solche Maßnahme mit sich bringt, können heute noch nicht abgeschätzt
werden. Wir haben ja schon erwähnt, daß in England die Einsicht
über unsere bedrohliche Lage in weiten Kreisen vorhanden ist, aber
imMsrhin fehlt aucu dort noch in einflußreichen Kreisen die richtige
Vorstellung. Es ist wohl anzunehmen, daß man bei uns versteht,
daß die Lage Frankreichs sehr ernst ist. Rur sind wir der Ansicht,
daß die von Poincare und seinen Anhängern angewandte Politik
an dieser Lage nichts ändere. Die Lage in allen europäischen
Staaten ist trostlos und verwickelt, aber warum hintertrieb Frank-
reich auf der Konferenz in Genua über die Reparationen zu
sprechen? Man iah doch auch dort ein, daß ohne grundlegende
Aenderung der Neparationsfrage die Verhandlungen das Ziel nicht
erreichen konnten, daß sie im Interesse des Wiederaufbaues Europas
haben sollten. Heute ist die Neparationsfrage noch viel schwieriger
zu lösen, das muß doch auch -den alliierten Staatsmännern klar
sein. Wenn England auf seine Kriegssorderungen gegenüber den
Alliierten verzichtet, ivie das auf der Konferenz die englischen Ver-
treter erklärten, dann würde das eine wesentliche Erleichterung be-
deuten. England rechnet Wohl sehr bei diesem Angebot aus eine
starke Abstellung der Störungen im Wirtschaftsleben. Würde es
dies erreichen, so hätte England, trotz des Verzichtes aus seine hohen
Forderungen, noch einen Gewinn. Für uns würde das einen,
Herabsetzen der überspannten Forderungen der allalliierten For-
derungen gleichkommen. Also wäre dann ein einigermaßen'an-
gehendes Gleichgewicht geschaffen. Auch die Besatzungsfrage wurde
besprochen und der Vertreter Englands gab unumwunden zu, daß
die Finanzkraft Deutschlands kein großes Besatzungsheer ertrage.
Bemerkenswert hierbei ist, daß die Vertreter Belgiens, Ita-
liens und Japans diesem Gedanken beitraten, wie überhauvt
zu erwähnen ist. daß die Vertreter dieser Läuder eine versöhnliche
Politik in London gegen uns einschlagen. Wenn aus der Konferenz
in London der Gedanke der Verständigung siegt, dann dürfen wir
an ein allmähliches Emporkommen hoffen. Dieser Weg ist aber
noch lang und sehr steinig, täuschen wir uns über diese Tatsache
nicht hinweg.
Die ganzen Verhältnisse, wie sie sich in den letzten Wochen zu-
spitzlen, hatten zur Folge, daß unsere Mark immer tiefer sank und
somit unsere Kaufkraft erheblich cinschrünkte. Diese Erscheinung
brachte eine ungeheure Steigerung aller Bedarfsartikel und somit
eine ungeahnte Verschlechterung der Lebenshaltung der arbeitenden
Klasse. Diese Tatsache muß uns zu denken geben und es ist an der
Regierung, all Mittel zu ergreifen, einer weiteren Verarmung des
Volles entgegenzulreteu. Was nützen da noch Lohnforderungen?
Bis sie durchgcsetzt find, ist die Lebenshaltung schon wieder über
die bewilligte Forderung gestiegen und die arbeitende Klasse steht
wieder vor einem Nichts. Die Wege, die beschritten werden müssen,
sind der Negierung wiederholt auch von uns gewiesen worden.
Jeder ernstdenkende Mensch sieht dem tomemudeu Winler mit
ernsten Sorgen entgegen. Unser kranker-Staats körper kann keine
allzuslarkcn Erschütterungen mehr ertragen.
Mit Abscheu erfüllt uns als Sozialdemokraten das Verbrechen
der Bolschewisten m Rußland, das diese durch, das Todesurteil an
unseren Arbeitsvrüderu und Klasseugenossen begangen haben. Das
Urteil ist in dieser scheußlichen Form nie im zaristischen Rußland
gestillt worden. Mair will die Opfer als Geisel benutzen und das
ist das Gemeinste an dem Verbrechen. Macht sich draußen im
Lande eine Bewegung der Sozialisten bemerkbar, so schleppt inan
euren der provisorisch zum Tod Verurteilten auf das Schaffst. Eine
Notzeit, wie man sie nicht größer denken kann, einen Menschen lan-
gen inneren Qualen auszusetzen. Die Angeklagten wußten, was
ihnen von ihren Schergen drohte, denn aufrechten Hauptes sagten
sie diesen: „Seit dem Augenblick, in dem wir ft, Ihre Hände ge-

fallen sind, sind wir davon überzeugt, daß Sie das Todesurteil
gegen uns fällen werden. Aber von dieser AngeklagtenSank werden
Sie keine Bitte uNt Gnade hören!"
Aber immerhin ist anzunehmen, daß sie bei diesem Ausspruch
an ein schnelles Ende glaubten, daß die bolschewistischen Verbrecher
ein „Provisorisches Todesurteil" verhängten, würden auch die An-
geklagten nicht erwartet haben. Die zum Tod verurteilten Männer
sind Proletarierführer, die den Zarismus so stark bekämpften wie
die Bftttdiktatnr der Bolschewtkt. Aufrechte Kämpfer für Menschen-
rechte, und solche Menschen, die für diese Ideale ihr Leven einsetz-
ten, bringt man unter das Richtbeil. Das bedeutet weiter nichts
als die letzte Station der Diktatur des Proletariats. Diese letzte
Station ist eine Diktatur von Partetgewaltigen über das Prole-
tariat. Das deutsche Proletariat wird aus diesen Verbrechen die
richtige Lehre zu ziehen wissen und den rücksichtslosesten Kampf
gegen diese absurde Art von Sozialismus aufnehmen, eingedenk
unserer hohe!, Forderung: Freiheit alles dessen. Was Menschen-
antlitz trägt!
Wenden wir uns zu der inneren Lage, so steht die bayerische
Frage im Vordergrund. Es ist unverantwortlich von der bayeri-
schen Regierung, eine solche Politik einzuschlagen. Was soll es
heißen, wenn von jener Seite immer wieder betont wird, man mutz
den bayerischen Verhältnissen Rechnung tragen. Wir sind der An-
sicht, daß dieses Kesseltreiben in München gegen die Reichseinheit
von einer Sorte Menschen in -ie Wege geleitet wurde, die dis

Pessimistische Stimmung in London.
London, 11. Aug. Die Reuter-Agentur hat gestern abend
eine Note ansgegeben, in der gesagt wird, in allen Kreisen habe
man den Eindruck, daß die Lage der Konferenz hoffnungslos ist.
Die Haltung Englands sei durch das englische Kabinett klargelegt
rmd. bestätig -worrs«» Man -hLtzL-A- SrudLUck^dstz»..wrrm nicht ei u.-
radikale Aenderung in der Lage eintritt, die Arbeiten der Konferenz
'heute zu Ende gehen. Selbstverständlich bemühe sich jeder, sein
Bestes zu tun, um einen Bruch zu vermeiden, aber die Tatsachen
bestätigen, datz bisher keine Aussicht sei, die eine Besserung der
Lage ermöglichen könnte. Einstweilen wurde noch kein Vorschlag
für ein kurzes, bedingungsloses Moratorium für Deutschland der
Konferenz vorselegt.
-)
Die Stimmung in Paris.
Paris, 11. Aug. Die Blankovollmacht, die der gestrige Mt-
nisterrat Poincare erteilt hat, findet in gewissen Kreisen der Presse,
besonders der Linken, wenig Anklang. So schreibt heute z. B. die
„Ere Nouvelle": Die Lage des französischen Ministerrats ist ebenso
klar wie peinlich. Entweder wird er der kategorischen Auffassung
nicht nur eines Ministers, sondern einer ganzen befreundeten alli-
ierten Macht folgen, oder er schließt seine Akten, gewinnt seine
Handlungsfreiheit zurück und muß die Verantwortung für die
Isolierung seines Landes mit allen seinen Folgen ans sich nehmen.
In, ersten Falle bedeutet dies eine schwere diplomatische Nieder-
lage Frankreichs; im zweiten Falle verspielt er mit einem einzige»
Wurf alle Ergebnisse des Sieges und den europäischen Frieden.
Die englische Denkschrift.
L o n d o n, 12. Ang. Die Denkschrift der englischen Regierung
über ihren Standpunkt gegenüber -den Vorschlägen Poincares ist
auf 'der gestrigen Sitzung der Konferenz den veteiügten Mächten
überreicht. Die Veröffentlichung des Wortlautes wird erst erfol-
gen, wenn sich -die Alliierten -hierüber geäußert haben. Nach dem
„Daily Telegraph" soll die Antwort der En-Mäuder ans einem ein-
zigen Gegenvorschlag bestehen, nämlich dein, den -ganzen Fragen-
komplex der RepamtionskommissioN zu unterbreiten, falls die Kon-
serenz z-u keiner Einigung gelange. Eine andere Zeitung meint,
Lloyd George schlage vor, die deutschen Reparationen für die näch-
sten 10 Jahre festzusetzen.
Der Sonderkorrespondent der Havas-Mgentur berichtet, datz
das englische Memorandum enthalte, daß sich die englische Regie-
rung mit den Vorschlägen Poincares über eine Aussuhrabg-abe
von 26 Proz. einverstanden erklären. Ferner sei England unter ge-
wissen Vorbehalten mit einer Kontrolle der Rnhrgruben und der
linlsrhöi-nischen Staatssorsten einverstanden, aber man solle die
Kontrolle aus einen späteren Zeitpunkt verschieben, und nur dann
an -die Ausführung derselben gehen, wenn der schlechte Wille
Deutschlands dazu zwinge. Dagegen beharre England ans seiner
Opposition gegen eine Wiedererrichtung der Zollschranike am Rhein
und nm das Ruhrgebiet. Es sei nicht wahrscheinlich, daß sich
Frankreich mit diesem Vorschlag zufrieden geben wird, und ein
sicheres Pfand verlange.
Lachverständigenberatung über die englische» Vorschläge.
London, 12. Aug. Nach einer siebenstündigen Sitzung haben
die Premierminister beschlossen, die englischen Vorschläge dem Sach-
verständigenausschutz zu überweisen, der gestern abend 9 Uhr zu-
sammentrat, um sie zu prüfen. — Es wurde gestern abend von eng-
lischer Seite offiziell mitgeteilt, es sei nicht richtig, wenn man sagen
wollte, daß bereits ein Einverständnis erzielt sei, aber es habe den
Anschein, als ob eine Grundlage für eine Einigung in Sicht sei.
Sobald die Sachverständigen ihr Gutachten Uber die englischen Vor-
schläge abgegeben haben, werden dieselben nochmals von den Mi-
nisterpräsidenten geprüft. Falls sich dann ein Einverständnis er-
gibt, wird es einer Vollsitzung der Konferenz Vorbehalten bleiben,
über den Inhalt der englischen Vorschläge zu entscheiden. Ueber
die Vorschläge verlautet, daß Deutschland bis Ende 1922 ein voll-
ständiges Moratorium bewilligt werde. Deutschland wird aber

bayerischen Verhältnisse wenig kümmern. Sie verstanden es aber
ausgezeichnet, das bayerische Gemüt gegen Berlin in Wallung zu
bringen und schon war die rechtsorientierte bayerische Regierung
bereit, eine Extratour gegen die Reichseinheit zu tanzen. Die Lage
in Bayern war äußerst kritisch, von sozialdemokratischer Seite aus
wurde gegen das Vorgehen der bayerischen Regierung energisch
Front gemacht und auch die nordbayerischen Städte waren keines-
wegs mit dem, was man in München braute, einverstanden. SS
reiste letzten Eudes die bayerische Delegation nach Berlin, um mit
der Rechtsregierung zu verhandeln. Die Verhandlungen sind nutt
zu Ende, man scheint ja eine Lösung gefunden zu haben. Wie ver-
lautet, will dte bayerische Regierung aus ihr Sondergesetz „zum
Schutze der Republik" verzichten, aber es soll ihr von der Reichs-
regierung weitestgehende Zugeständnisse wegen der „bayerischen
Hoheitsrechte" gemacht worden sein. Wie dem auch sei, der Eier-
tanz, den die bayerische Regierung ausgeführt hat, hat der deutschen
Republik geschadet. In Anbetracht unserer gesamten Notlage mutz
ein solches lächerliches Verhaften aufs schärfste verurteilt werden.
Mitten in diese politische Spannung fiel der Ertnnerungstag
der Verfassung. Die Kundgebung des Reichspräsidenten zu diesem
Tag hat klar und deutlich ausgesprochen, was uns als deutschen
Republikanern die Verfassung gewährleisten soll, nämlich Einigkeit,
Recht und Freiheit. Die Kundgebung berührte nach ihrem Inhalt
wohltuend in diesen schweren Zeiten und ruft uns zu dem Bekennt-
nis auf, den Glauben an Deutschlands Zukunft nicht zu verlieren.

seine Sachleistungen erfüllen müssen, besonders Hinsichtlich Kohle
und Holz. Dte Verbündeten lassen sich die 26 Prozent vom Wert
der deutschen Ausfuhr sowie der Zölle aushändigen. Die Repct-
rationskommission wird diese Summen einkassteren und während
der Dauer des Moratoriums Deutschland zur Verfügung stellen.
Würde Deutschland seinen Verpflichtungen nicht nachkommen, so
würde das Garantiekomitee den Ertrag der staatlichen Gruben im
Ruhrgebiet und der deutschen Forsten anfordern. Im Falle der
Verhängung dieser Sanktionen würde Frankreich ein Vorrecht auf
die betr. Einnahmen erhalten können. Die Deutschland auszuer-
legendm Sanierungsmatznahmen umfassen in der Hauptsache dis
Autonomie der Reichsbank, die Einschränkung der Papiergeldaus-
gabe, die Ausführung der Gesetze zur Verhütung der Kapitalflucht
und die Konsolidierung der schwebenden Schulden, sowie die effek-
tive Kontrolle der Reichsfinanzen durch das Garanttekomitee.
Prefsestimmen zur Londoner Konferenz.
Paris, 11. Aug. Das „Oeuvre" kritisiert die Haltung P o <
incares in London äutzerst scharf und weist daraus hin, datz er
es riskiere, wegen eines angeblichen Reparationsplanes, der in
Wirklichkeit noch kaum übers Knie gebrochen worden sei, dte Entente
cordiale in Frage zu stellen. Das Blatt behauptet, datz der von
Poincare in London vorgebrachte Plan in seinen großen Zügen von
dem französischen Sachverständigen Seydoux entworfen worden
sei, datz dieser aber damit gar nicht beabsichtigte, einen speziellen
Plan für die Londoner Konferenz auszuarbeiten, sondern datz es
sich um allgemeine Anregungen dieses Sachverständigen gehandelt
habe. Im übrigen habe Seydoux zwar in seinen Anregungen eine
26prozentige Beschlagnahme des deutschen Exporthandels und die
Beschlagnahme der deutschen Zölle befürwortet, aber er habe keines-
wegs von einer Zollgrenze am Rhein noch von einer Zollgrenze
an der Ruhr gesprochen. Diese beiden letzten Vorschläge stellten die
ausschließliche Arbeit Poincares an diesem angeblichen Plan
von Seydoux dar.
Paris, 11. Aug. Die Stimmung der Kouferenz von London
gegenüber ist in der heutigen Morgenpresse äutzerst pessimistisch
Man weist darauf Yin, datz trotz des gestrigen Tages, der in neueren
Verhandlungen vorüberging, keinerlei Annäherung zwischen dem
englischen und französischen Standpunkte in der Wiedergut-
machungssrage gefunden werden konnte; im Gegenteil, die gestern
von dem englischen Kabinett eingenommene Stellung beweist, das;
diese mit der französischen Auffassung völlig unvereinbar scheint.
Unter diesen Umständen sieht der „Petit Parisien" die Lage als
äutzerst ernst an.
Ausweisungen von Deutschen angeZündigt»
Paris, 11. Aug. Ran meldet aus Stratzburg offiziell: Au?
Grund eines Dekrets des Generalkommissärs der Republik werden
morgen früh um 8 Uhr 500 deutsche Staatsangehörige aus Elsaß-
Lothringen ausgewiesen. Es entfallen davon 100 auf Oberelsatz,
150 auf ftlnterelsatz und 250 auf Lothringen. Die Ausweisungen
müssen bis Samstag nachts 12 Uhr vollendet sein. Die ausgewie-
senen deutschen Staatsangehörigen können mit ihrer Familie und
30 Kilogramm Gepäck das Land verlassen.
Berlin, 12. Aug. Amtlich wird mitgetsilt: Der Reichsregie-
rung ist gestern nachmittag die Nachricht zugegaugen, datz in Paris
eine Verbalnote der französischen Regierung übergeben worden sei
(offenbar dem deutschen Botschafter), die den Inhalt der bereits
in der Presse verbreiteten Meldungen über die Ausweisungen deut-
scher Staatsangehöriger bestätigt. Danach sollen 500 deutsche
Staatsangehörige aus Ersatz-Lothringen bis zum 12. August aus-
gewiesen werden. Es wird ihnen gestattet, Gepäck sowie den
Gegenwert von 10000 Mark für eine Familie und von 5000 Mark
für die unverheiratete Person mitzunebmen. Für den Fall, datz
die französischen Forderungen nicht erfüllt werden, wird die Aus-
weisung weiterer 500 Deutscher angekündigt

Noch kein Ergebnis in London.
 
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