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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (4) — 1922 (Mai bis August)

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Nr. 201 - Nr. 202 (30. August - 31. August)
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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingerr, Eberbach, Mosbach, Buchen,

Adelsheim, Voßberg, Tauberbischofsheim und Wertheim'

Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 42.— Mk., Anzeigenpreise:
Di« einspaltige Petitzerle (36 mm breit) 6.— Mk., Reklame-Anzeigen
(88 mm breit) IS.— Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Geheimmittelanzeigen werden nicht ausgenommen.
Geschäftsstunden: 8—V-6 Uhr. Sprechstunden derRedaktion: 11—12 Uhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22577. Tel.-Adr.: Bolkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Mittwoch, 30. August 1922
Nr. 201 * 4. Jahrgang

Verantwort!.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u. Feuilleton:
Dr. E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales r
O.Geibel; für dis Anzeigen: A. Friedmann, sämtl. in Heidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbadischen Verlagsanstalt G.m.b.H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröderstraße 39.
Fernsprecher: Anzsigen-Annahms 2873, Redaktion 2348.

Aus dem Wege zur Verständigung?
Heute Entscheidung.
PariS, 29. Aug. Die offiziöse Besprechung der Reparations-
kommission ist heute fortgesetzt worden. Der offiziöse Vertreter der
»Vereinigten Staaten hat an den Besprechungen keinen
aktiveren Anteil genommen als bisher. Es sind auch von ihm ge-
wisse Vorschläge ausgegangen, die von den übrigen Mitgliedern der
Reparationskommisfion besprochen wurden. Die Hoffnung, zu einer
einheitlichen Lösung zu gelangen, darf dem „Temps" zufolge noch
nicht aufgegeben werden: es scheint, daß eine äußerst strenge
Finanzkontrolle Aussicht hat, von den Alliierten einstim -
m i g angenommen zu werden, wenn damit gerechnet werden könnte,
daß durch diese Kontrolle während einer langen Zeitdauer, während
der Deutschland ein Moratorium gewährt werden würde, die deut-
schen Finanzen so gefestigt würden, daß auf regelmäßige Repa-
rationszahlungen bestimmt gerechnet werden könnte.
Trotz aller Dementis herrscht der Eindruck vor, daß sich die
Lösung nach der Seite einer verstärkten Finanzkontrolle gesunden
hat, in der auch Amerika ein hervorragender Platz eingeräumt
werdet» würde, einerseits um der neuen Welt Vertrauen einzu-
flößen und anderseits, um den Wünschen Amerikas entgegenzu-
kommen.
Die Stimmung ist auf der ganze»; Linie z Übersichtlicher
geworden. Laut „Jntrausigeant" habe»» sich die Mitglieder der
Reparationskommisfion darüber Rechenschaft abgelegt, daß ein
neuer Marksturz um jeden Preis verhindert wer-
den müsse, da die fortschreitende Preissteigerung in Deutschland zu
sozialen Unruhe,» führen könnte.
Die Kommission Wird morgen eine offizielle Sitzung ohne die
deutschen Vertreter abhalten und nachher die deutschen Delegierten
anhören. Unter diesen Umständen ist es wahrscheinlich, daß ein
Beschluß erst am späten Abend oder in der Nacht gefaßt werden
wird. Die Reparationskommisfion wird sodann am Donnerstag
vormittag nochmals eine Sitzung abhalten, um deut Beschluß eine
offizielle Fassung zu geben und ihn zu veröffentlichen. Bald darauf
wird ein sranzSsischer Mtnisterrat unter dem Vorsitz von
Mittemud einverufen werden, der zu dem Beschluß Stellung neh-
men wird.
Verstärkter Optimismus. — Die französische Presse erwartet
eine Kompromißlösung.
Paris, 30. Aug. Das undurchdringliche Schweigen, irr das
sich die Mitglieder der Reparationskommisfion über den Verlaus
der gestrigen Besprechungen hüllen, gibt natürlich den verschieden-
sten Gerüchten und Kombinationen Nahrung, die nur mit Vorbehalt
wiedergegeben werden können. Im allgemeinen läßt sich sagen,
daß der Optimismus, der seit gestern zum Durchbruch gekommen
ist, sich heute noch etwas verstärkt hat und daß die Blätter mit ganz
wenigen Ausnahmen die Aussichten einer Einigung innerhalb der
Reparationskommission günstig beurteilen. Der „Malin" stellt
die gestrige Meldung, Bradbury habe in der Kommission die
Unterstellung der deutschen Finanzen unter amerikanische Kontrolle
vorgeschlagen, dahin richtig, daß der englische Delegierte lediglich
gewisse Vorschläge zu einer wirksamen Ucberwachung der deutschen
Finanzen gemacht habe. Die Kommission sei mit ihm der Ansicht,
daß die Vorbedingung für eine Sanierung des deutschen Budgets
tatsächlich die Erweiterung der Vollmachten der alliierten Kon-
trolleure sei. Diese müßten mit einem absoluten Vetorecht
für alle Ausgaben ausgestattet werden. Wenn diese Maß-
nahmen, so fährt das Blatt fort, in befriedigender Weise durch-
geführt und von Garantien und Pfändern begleitet wird, die für
Frankreich annehmbar sind, wenn gleichzeitig Deutschland ein ge-
nügend langes Moratorium gewährt wird, und, wenn die Mög-
lichkeit besteht, in Kürze die Verhandlungen über die Auslegung
einer internationalen Reparationsanleihe zu eröffnen, so sei es
wohl möglich, ein Kompromiß zwischen der französischen und der
englischen These zu finden. Die Basis dafür sei die Erweiterung
des Moratoriums sowie die Verstärkung der Garantien, an die es
geknüpft werden soll. Auch das „Kablogram m" ist der Ueber-
zeugung, daß ein Kompromiß gesunden werden kann. Innerhalb
der Reparationskommisfion arbeite man mit Eifer daran, eine»» für
Frankreich sowohl wie für England annehmbaren Ausgleich zu
finden. Nur der „Petit Parisie n" ist heute etwas skeptisch.
Das einzige, was man mit einiger Sicherheit sagen könne, sei, das;
man die Hoffnung aus einen einstimmigen Beschluß der Repara-
tionskommission endgültig begraben »Nüsse. Die Ablehnung des
Moratoriums könne vielleicht noch eine Stimme Mehrheit auf sich
vereinigen. Für den Fall aber, daß das Moratorium unter der
Bedingung gewisser Garantien gewährt »oerden sollte, könne »»»an
auch hier ohne das Risiko, durch die Geschehnisse dementiert zu
werden, Voraussagen, daß die von Frankreich verlangten Pfänder
jedenfalls nicht einstimmig beschlossen werden. Allerdings liege
auch hier ein Mehrheitsbeschluß nicht außerhalb dem Bereich der
Möglichkeit. Dagegen sei es unmöglich, schon heute über die Ent-
scheidung der Kommission in der Frage des Moratoriums etwas
Voraussagen zu wollen. Die französische Regierung habe jedenfalls
ihren bisherigen Standpunkt nicht geändert: Kein Moratorium
ohne die in London verlangte Verpfändung der staatlichen Gruben
und Forsten. Die französische Regierung sei der Ansicht, daß
Deutschland über die nötigen Mittel verfügt, um dis Zahlungen
bis zum Ende des Jahres aufzubringen. Wen»; dies oeschebe, dann

werde jedenfalls der Zeitplmtt kommen, an dem man Verhandlun-
gen über eine Neuregelung des Reparattonsproülems in feiner
Gesamtheit ins Auge fassen könne. Das Blatt sagt jedoch nichts
darüber, was die französische Regierung tun werde in dem Falle,
daß die Entscheidung der ReparationskomrMssion gegen sie aus-
fallen wird. Seine Ausführungen können unter diesen Umständen
dahin gedeutet werden, daß sie die französische öffentliche Meinung
auf die Mö glich kett eines Umfalls der französischen Re-
gierung vorbereiten sollen.
Die entscheidende Reparationssitzung.
Paris, 30. Aug. Die Sitzung der Reparationskommission,
m» der als Vertreter Deutschlands Staatssekretär Schroeder
teilnimmt, findet am heutigen Mittwoch, vormittags ^11 Uhr statt.

Die Verhandlungen in Berlin.
Der deutsche Garantievorschlag.
Berlin, 29. Aug. (Priv.-Tel. der Franks. Ztg.) Ueber die
Details des Planes zur Sicherung der Holz- und Kohlenlieserungen
an die Alliierten durch direkte Lieferungsverträge hatte heute die
Reichsregierung eine Aussprache mit führenden Industriellen des
Kohlenbergbaues und der Holzindustrie. Wie wir hören, haben sich
die Vertreter des Kohlenbergbaues damit einverstanden erklärt, Mit
der Reichsregierung in Verhandlungen über den Abschluß solcher
Privatwirtschaftlicher Lieferungsverträge einzutreten. Als Unter-
händler für den Kohlenbergbau wurden die Herren Stinnes,
Peter Klöckner, Dr. Silverberg und Direktor Lübsen
genannt. Aehnltche Verhandlungen über die Holzlieferungen sollen
sich unmittelbar anschließen. Eine Besprechung mit den maßgeben-
de,» Vertretern der Bergarbeitervervände und mit den Spitzen-
orgaitisationen der Arbeiter ergab gleichfalls die grundsätzliche Be-
reitwilligkeit der Arbeiterorganisationen, an der Durchführung der
LieserungsvertrSge mitzuwirken.
Die Neichsregierung hat von diesem Ergebnis der heutigen
Besprechungen ihren zu Verhandlungen mit der Reparationskom-
misston nach Paris entsandten Vertretern sofort telegraphisch
Kenntnis gegeben. Das von der Reichsregierung angekündigte
Memorandum über den deutschen Garantievorschlag dürfte
heilte abend nach Paris abgsgaugen sein, so daß es morgen der
Repa ratioirskom Mission vorgelegt werden kam». Nöti-
genfalls werden, falls sich die Erörterung über den deutschen Vor-
schlag in Paris länger hinziehen, auch Vertreter der beteiligte»»
deutschen Jndustriegruppen daran teilnehmen.
*
Erhöhung des Brotpreises ad 15. Okt, — Teuerungsmaßnahmen.
Berlin, 30. Aug. Im Volkswirtschaftlichen Ausschuß gab
gestern der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, Dr.
Fehr, in ausführlichen Darlegungen ein Bild unserer Ernäh-
rungslage. Die mengenmäßige Brotversorgung für die riächste Zeit
sei gesichert, doch werde es sich beim Niedergänge unserer deutsche«!
Währung leider nicht vermeiden lassen, daß am 15. Oktober eine
wesentliche Erhöhung des Abgabepreises der Reichsgetreidestelle
und damit auch des Brotpreises eiutreten müsse. Jeder etwa orga-
nisierten Obstruktion gegen das Umlageverfahren werde Mit den
schärfsten Mitteln entgögengetreten werden. Anderseits müsse aus
Billigkeitsgründen und aus Gründen -er Aufrechterhaltung der
Produktivität der Landwirtschaft der Umlagepreis auskömmlicher
festgesetzt werden. Noch mehr als bisher müsse auf sparsamsten
Getreidevervrauch hingewiesen werden, die Herstellung von Stark-
bier soll gänzlich verboten werden. Um der Teuerung auf
dem Kartoffelmarkte entgegenzuwirken, müsse die Ver-
arbeitung von Kartoffeln in den Brennereien mindestens auf das
Kontingent des Vorjahres eingeschränkt werden. Zur geregelten
Zuüerversorgung werde er die Herstellung von Süßigkeiten, Likören
und Schaumwein aus inländischem Zucker verbieten. Den Bedürf-
tigen soll nach Möglichkeit durch Massenspeisungen geholfen werden,
ebenso feien die KinderspeisunSen auSzuvauen. Mittel hierfür feie«
airgefordert.

Roms Kampf gegen den
Sozialismus.
Ein deutscher Erzbischof gegen Revolution und Sozialismus.
Auf den Münchener Hindenburgrummmel ist nunmehr der 62.
Katholikentag gefolgt, getragen von derselben Gegnerschaft gegen
den Sozialismus und den von der Revolution geschaffenen neuen
Staat. Daß dem so ist, beweist die Eröffnungsrede des streitbaren
Erzbischofs Dr. Faulhaber, die im Beisein des Kronprinzen
Rupprecht und sämtlicher Prinzen und Prinzessinnen des baye-
rischen Königshauses gehalten wurde. — Wer die Dinge etwas
näher kennt, weiß, daß die Prinzen der Wittelsbacher auf Grüns
ihres „sürstlich"-moralischen Lebenswandels besonderen Grund zur
Frömmigkeit haben!! —
Erzbischof Dr. Faulhaber sprach im Eingang seiner Rede dem
Sozialismus das Recht ab, von Verwandtschaft mit dem Christen-
tum zu sprechen. Er fuhr dann fort:
„Wehe dem Staate, der seine Rechtsordnung und Gesetz-
gebung nicht auf den Boden der Gebote Gottes stellt, der eine
Verfassung schafft ohne den Namen Gottes, der
die Rechte der Ettern in seinen Schulgesetzen nicht kennt,
der die Theaterfenche und die Kinoseuche nicht fernhätt
von seinem Volke, der ein« Gesetzgebung schafft, die die Ehe-
scheidung erleichtert, die die uneheliche Mutter-
schaf t i n S ch u tz n i m m t. Wo di« zehn Gebote Gottes nicht
mehr gelten, wo die Gesetze eines Staates mit den Geboten
Gottes im Widerspruch stehen, da gilt der Satz: „G ottesrecht
bricht Staatsrecht."

Auf dem Gewissen, auf der Gewiffenspflege beruht das Ge-
heimnis der sittlichen Persönlichkeit. Kompromiss« sin-
unvermeidlich zullt Ausgleich der Gegensätze und Interessen.
Uever allen Kompromissen aber stehen die Grundsätze. Die
Revolution war Meineid und Hochverrat und bleibt in
der Geschichte gekennzeichnet mit einem Kainsmal, auch wenn st«
grtte Erfolge hatte neben den schlechten. Eine Untat kann aus
Grundsätzen nicht heilig gesprochen werden."
Das also ist das Urteil eines deutschen Bischofs über die Revo-
lution, in der ein betrogenes und ausgehungertes Volk die ihm
unerträglich gewordene „christliche" Fürstenknechtschaft avgeschttttelt
hat! Diese Art von Katholizismus paßt so ausgezeichnet nach
München, das ist der richtige religiöse Pharisäismus für die all-
deutsche Mörderzeutrale!

Kleine politische Nachrichten.
iSOprozentige Erhöhung der Zeitungsabonnements im Rhein
land. Köln, 30. Aug. Die gestern in Köln tagende Versamm-
lung des Verbandes der Bezugspreisfestsetzungskommission und
der Bezirksvorsitzenden des Vereins Rheinischer Zeitungsverleger
beschloß angesichts der katastrophalen Lage des Zeitungsgewerbes,
hervorgerufen durch die zu erwartende Erhöhung der Zeituugs-
druckpapierpreise um 150 Prozent sowie der weiter stark gestiegenen
Herstellungskosten die Bezugspreise sttrSeptembe rum min-
destens 150 Prozent zu erhöhen. Außerdem soll eine wei-
tere Erhöhung der Anzeigenpreise tm Lause des Monats Septem-
ber stattfinden.
Die Ratyeuauakten. Berlin, 30. Aug. In der Mordsache
Rathenau befinden sich die Akten jetzt Sei der Reichsanwaltschaft
zur Bearbeitung der Anklage. Die Akten umfassen 30 Bünde.
Proteststreik in Oberschlesien. Beuthen, 30. Aug. Die an-
haltende Teuerung veranlaßte gestern die Belegschaften der Gruben
und Hütten, von 11 bis 12 Uhr mittags in einen Proteststreik gegen
das Wucher- und Schiebertum einzutreten. Die Arbeitsnieder-
legung bezog sich zum Teil auf Deutsch-Oberschlefien, in der Haupt-
sache aber auf die im polnisch gewordenen Oberschlesien gelegene»
Gruben und Hütten-.
Großer Erfolg der sächsischen Wervewoche für die S.P.D.
Dresden, 30. Aug. Die sozialistische Werbewoche im Bezirk
Ostsachsen brachte 6880 neue Mitglieder und 3586 neue Zeitungs-
abnehmer. Es gehen ständig noch weitere Anmeldungen ein. Für
ganz Sachsen kann wohl aus mindestens 15000 neue Mitglieder als
Erfolg der Werbewoche gerechnet werden.
Die Schiiler-Biichereien unserer
höheren Lehranstalten.
Ein Beitrag zur Frage ihrer Sichtung,
Von Dr. A. Kuntz emüller,
II.
(Schluß.)
Leids» treffen wir auch geschichtliche Lektüre an, die ernst ge-
nommen werden will und doch mitunter sehr üble Entgleisungen
aus Politischem Gebiete aufweist. Anläßlich der Hundertjahrfeier
von Bismarcks Geburtstag 1915 wurde vom damaligen Groß-
herzoglichen Ministerium des Kultus und Unterrichts ein Bismarck-
buch zur Ausnahme in die Schülerbücherei übersandt, dem das
gleichbenannte Ministerium der Republik Baden eins Empfehlung
wohl nicht zuteil werden ließe. Daß das Buch Bismarck verherr-
licht, nimmt ihm kein Mensch Übel; Bismarcks. Blut- und Eisen-
politik Wachte sich 1915 noch ganz hübsch aus. Aber daß diese Ver-
herrlichung auf Kosten seiner Gegner und ihrer Anschauungen geht,
das läßt sich keineswegs rechtfertigen. Hören Wir selbst ein Paa»
Stellen, beliebig ausgesucht und beliebig zu vermehren.
Die Revolution von 1848 wird (S. 58) ein „revolutionsrer
Schwindel" genannt Das ist schon nicht sehr liebenswürdig. Drei
Seiten darauf (61) wird der damals neugegründeten „Kreuzztg."
ein Loblied gesungen, das vom November 1918 bis Februar 1921
höchst sichtbar Lügen gestraft wurde: „Unter Bismarcks Mitwirkung
entstand die „Kreuzzeitung", die für ihren Wahlspruch „Mit Gott
für König und Vaterland" allezeit furchtlos eintmt." Jeder Poli-
tiker Weitz, daß dieser Wahlspruch den Kopf der Zeitung erst wieder
ziert, seit ihr die von der republikanischen Verfassung garantierte
Redefreiheit genügend gesichert schien. Wetter wird auf Seite 210
die agitatorische Tätigkeit der Sozialdemokratischen Partei in den
siebziger Jahren so „wild und unbändig" genannt, „daß der Staat
sich in seinen Grundfesten bedroht fühlte". Die beiden 1878 statt-
gehabten Anschläge auf Kaiser Wilhelm!. „entsprösse»»" natürlich
„aus dieser Drachensaat", obwohl längst sestgestellt ist, daß der erste
Attentäter au Größenwahn litt (er hat sich vor der Tat photogra-
phieren lassen) und der zweite überhaupt kein Sozialdemokrat war.
— Der Ausfall der sogenannten Septennatswahlen im März 1887
(Seite 228) war selbstverständlich „ein Sieg der nationalen Sache",
denn die gegen die Regierung gestimmt hatten, waren ultvamontane
Päpstlinge und vaterlandslose Gefeller». Endlich wird uns im
Schlußkapitel (Sette 250) als Zeichen der allgemeinen Bismarck^
Verehrung und -Begeisterung die Mär aufgetischt, daß ein „Pfarrer
den Handschuh, in dem er dem großen Mann die Hand gedrückt,
unter Glas und Rahmen gesetzt" habe. Das ist die geistige Kost
aus wilhelminischer „herrlicher" Zeit und verfaßt von UniversitSM
Professoren und Gymnasiumsdirektoren.
Nun möchte ich zum Schluß noch einige besonders delikate
geistige Feinkost vorführen, wie sie die Bücherei heute noch ziert.
Diese Kost hat die Ausgabe, unsere Schüler auf die kommende M i -
litärdienftzeit und die ihrer dort oder in einem „schöne»»"
Krieg harrenden Pflichten möglichst frühzeitig vorzubereiten. Dies
geschah aus zweierlei Weise: erstens durch Erzählung gmusiger
 
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