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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (4) — 1922 (Mai bis August)

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Nr. 181 - Nr. 190 (7. August - 17. August)
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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbach, Morbach, Buchen,
Adelsheim, Vo.rberg, Tauberbischofrheim und Wertheim.

Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 42.— Mk-, Anzeigenpreise:
Die einspaltige Petitzeile (36 mm breit) 4.50 Mk., Reklame-Anzeigen
(93 mm breit) 12.— Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Geheimmtttelanzeigen werden nicht ausgenommen.
Geschäftsstunden: 8—V,6 Uhr. Sprechstunden derRedaktion: 11—12 Uhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22577. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Dienstag, 15. August 1922
Nr. 188 * 4. Jahrgang

Verantwort!.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u. Feuilleton:
I. V.: O. Geibel; für Kommunales, soziale Rundschau u. Lokales:
O.Geibel; für die Anzeigen: A. Friedmann, samt!, in Heidelberg.
Druck u. Verlag derUnterbadischen Verlagsanstalt G. m. b. H-, Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröderstratze 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahms 2673, Redaktion 2618.

Die Tragödie von Astrachan.
1 In wenigen Tagen erscheinen im Verlag der Buch-
handlung Vorwärts unter dem Titel „Die Tscheka.
( Russische Hilferufe an das Wellgewissen", Aufzeich-
' - nungen der russischen Sozialisten über die grauenvolle
„- Blutarbeit der Tscheka, jenes masfenmörderischen Poli-
zei- und Gerichtsapparates der bolschewistischen Revo-
lution, der sich jetzt zur Vernichtung der Häupter der
/ . Sozialrevolutionäre anschickt. Wir bringen hier einen
kurzen Auszug ans diesen Aufzeichnungen zum Ab-
druck:
... Es blieb nur übrig, den Beginn des Streiks festzusetzen.
Bon Anfang März an hörte die Arbeit in den Fabriken bald gänz-
lich auf. Ueberall wurden die an die Machthaber zu stellenden
Forderungen erwogen. Es wurde beschlossen, provisorisch (bis zur
Erledigung der Verpflegungsschwierigkeiten) den freien Broteinkauf
und freie Fischerei zu verlangen. Die endgültigen Forderungen
hatte Man vor Beginn des Streiks noch nicht formuliert. Unter-
dessen suchten die Machthaber nach zuverlässigen Truppenteilen und
zögen sie um die Fabriken zusammen.
Die offizielle Mitteilung lautete:
„Am 10. März 1919, um zehn Uhr morgens, unterbrachen die
Arbeiter der Fabriken Vulkan, Aetna, Kaukasus und Merkur nach
rinem Alarmzeichen der Fabrikpfeife die Arbeit und versammelten
sich zu Meetings. Der Aufforderung der Vertreter der Macht,
äusetnanderzugehen, weigerten sich die Arbeiter Folge zu
leisten und setzten das Meeting fort. Darauf Haven wir unsere
revolutionäre Pflicht getan und von der Waffe Gebrauch ge-
macht ..
Das Meeting, ans dem zehntausende Arbeiter versammelt
waren und ihre schwere materielle Lage friedlich erörterten, wurde
von Maschinengewehrfotdaten, Matrosen und Granatenwerfern um-
zingelt. Nachdem die Arbeiter sich geweigert, auseinanderzugehen,
wurde eine Gewcyrsalve abgegeben. Dann ratterten die gegen die
kompakte Masse der Meetingsteilnehmer gerichteten Maschinen-
gewehre, und es explodierten mit ^Mwrnvem Lärm Handgranaten.
Die Versammlung erzitterte, legte sich aus den Boden und ver-
stummte in banger Angst. Ueber dem Rattern der Maschinenge-
wehre hörte man weder das Stöhnen der Verwundeten noch die
Schreie der Sterbenden. . .
Plötzlich erhebt sich dis ganze Masse, stürmt vorwärts und
durchbricht Mit einer von dem Schrecken verzehnfachten Kraft den
Todeskordon der Negierungstruppen. Und läuft, ohne Besinnung,
in alle Richtungen — Rettung vor den Kugeln der wieder in
Tätigkeit getretenen Maschinengewehre suchend. Nach den Fliehen-
den wird geschossen. Die am Leben Gebliebenen treibt man in
geschlossenen Räumen zusammen und schießt sie auf Gewehrlänge
nieder. Der Raunt, in dem eben noch eine friedliche Versammlung
tagte, War jetzt von einer Menge Leichen bedeckt. Zwischen den in
Todeskrämpfen sich windenden Arbeitern sah man auch einige von
der Menge bei ihrem Durchbruch totgetretene „Revolutionsbändi-
ger". Die Kunde von der Erschießung verbreitete sich rasch in der
Stadt. Man floh von überallher. Nur die Rufe: „Man schießt!
Mau schießt!" waren hörbar.
Eine zahlreiche Menge von Arbeitern versammelte sich bei einer
Kirche. „Aus der Stadt fliehen!" dieser Ruf erscholl immer lauter
ringsherum. „Wohin?" Draußen war alles unwegsam. Der Schnee
schmilzt. Die Wolga geht auf. Kein Stückchen Brot da. „Fliehen,
fliehen! Und sei es auch zu den Weißen. Hier droht nur Er-
schießung. Und die Frauen, die Kinder? Wie also, Brüder? Um-
kommen wird man ja sowieso. Ob hier oder dort. Nichts zu essen,
fliehen, fliehen!!^

Ein Kanonenschuß in der Ferne. Eine sonderbar dröhnende
Detonation in der Luft. Nach diesem Gesäuse plötzlich ein Bums,
Wieder ein Gesumme. Die Kirchenknppel stürzt prasselnd ein.
Bums und wieder Bums. Ein Geschoß explodiert. Ein zweites.
Wieder eins. Wieder eins. Die Menschenmenge verliert die Be-
sinnung und stiebt, gleich einer Herde kopfscheu gewordener Tiere/
auseinander. Die Vorposten schießen und schießen. Von irgend-
woher wird ein neuer Schießbefehl erteilt, und die Fliehenden wer-
den von den Granaten getroffen.
Die Stadt verödete. Verstummte. Ein Teil der Einwohner
floh, ein anderer versteckte sich. Nicht weniger als zweitausend Opfer
wurden den Reihen der Arbeiter entrissen. Damit endete der erste
Akt der furchtbaren Tragödie von Astrachan.
Der zweite — noch furchtbarere — Akt begann am 12. März.
Ein Teil der Arbeiter wurde von den „Siegern" festgenommen und
in sechs Kommandanturen, in Barken und Dampfern gefangen ge-
setzt. Unter den letzteren tat sich durch seine Grausamkeiten beson-
ders der Dampfer Gogol hervor. Nach Moskau aber folgen De-
peschen Yin, die einen „Aufstand" meldeten.
Der Vorsitzende des Kriegsrevolutionären Rates der Republik,
L. Trotzki, antwortete mit einer lakonischen Depesche:
„Unbarmherzig »-rechnen".
Damit war das Schicksal der unglücklichen gefangenen Arbeiter be-
siegelt. Ein blutiger Wahnsinn tobte aus dem Lande und auf dem
Wasser. In den Kellern und Höfen der Kommandanturen erschoß
man die Leute. Von den Barken und Dampfern warf man sie in
die Wolga. Manchem band man vorher Steine nm den Hals. Ein
Arbeiter, der im Kielraum an der Maschine saß, unbemerkt blieb
und sich rettete, erzählte, daß von dem Dampfer Gogol in einer
Nacht an 130 Mann vinuntergeworfen wurden. In der Stadt aber
gab es so viele Erschossene, daß einige Nächte kaum hingereicht
haben, um sie alle nach dem Friedhof zu transportieren, wo man
sie haufenweise als „Typhuskranle" ablud.
Anr IS. März gab es Wohl kaum ein Haus, in dem nicht der
Vater, der Bruder, der Mann bN-Äint wurde. In manchen H-'nsern
fehlten einige Familienmitglieder. Die genaue Zahl der Erschosse-
nen würde man durch die Befragung sämtlicher Staatsbürger fest-
stellen können. Zuerst sprach man von zweitausend. Dann von
drei . . . Nach einigen Tagen begannen die Machthaber die Namen
der erschossenen „Burschuts" zu Hunderten zu veröffentlichen. An-
fang April nannte man bereits die Zahl von 4000 Opfern. Die
Repressionen hörten aber unterdessen nicht aus. Die Obrigkeit hat
sich offenbar vorgenommen, an der Arbeiterschaft von Astrachan
für die ganze Streikwelle, die im März 1919 durch Tula-
Bojausk, Petrograd und andere Städte rollte, Rache zu neh-
m e n. Erst gegen Ende April hörten die Erschießungen nach und
nach auf.
Unaufhaltsam verließen die Arbeiter die Stadt. Selbst die
Erlaubnis, freien Fischfang zu treiben und Brot frei einzukausen,
vermochte sie nicht zurttckzuhalten. Zu teur war diese Erlaubnis
erkauft worden. Mit dem Blute von Verwandten und Freunden
wurde sie geschrieben. Nach dem Blut von Tausenden von Prole-
tariern Astrachans roch diese „Gnade" der Regierung. Mit flam-
mender Blukschrift wird die Astrachaner Tragödie in die Annalen
der Arbeiterbewegung hineingeschrieben werden. Das unvoreinge-
nommene Gericht der Geschichte wird sein Urteil über einen der
grausigsten Akte des kommunistischen Terrors fällen .. .
Wir aber, seine Zeugen und Zeitgenossen, wollen allen Arbeiter-
freunden, allen Sozialisten, dem ganzen Proletariat der Welt zu-
rufen: „Untersucht die Tragödie von Astrachan!"

Englischerseits scheint man sich mit einer Vertagung der Repa-
rationsfrage und des Stundungsgesuchs nicht einverstanden zu
erklären, sondern es wird darauf hingewirkt, ein Moratorium durch
Mehrheitsbeschluß der Reparationskommission herveizuführen, die
nach den Rechten, die ihr durch den Friedensvertrag eingeräumt
wurden, hierzu befugt ist.
Die französische Presse betont dagegen, daß eine derartige Ent-
schließung auf alle Fälle sehr nachteilig sei, und es sei vorzuziehen,
durch Verschiebung der Antwort an Deutschland die Möglichkeit zu
schaffen, eine Verständigung zwischen den Alliierten herbeizuführen.
Ueber die Zahlung der nächsten Rate der Kompensationszah-
lungen soll der Sachverständigenausschutz gestern beraten haben.
Frankreich hat nach den hier vorliegenden Meldungen erklärt, daß
es auf seiner Forderung bestehe, daß Deutschland die nächste Rare
von 2 Millionen Pfund Sterling bezahlen solle, nachher werde jede
einzelne Macht nach eigenem Gutdünken mit Deutschland über die
Kompensationszahlungen Vereinbarungen treffen. Die belgischen
Blätter weisen darauf hin, daß ein Unterschied bestehe zwischen den
Forderungen, die das Straßburger Ausgleichsamt zu erheben habe,
und die 800 Millionen betragen, während die Forderungen des
Pariser Ausgleichsamtes durch die bisherigen Zahlungen zu 80
Prozent gedeckt sind.
Der Kamps um das Moratorumr.
London, 14. Aug. Die von der Reparationskommisswtt ab-
gegebene Zusage, spätestens am heutigen Tage das Moratoriums-
ansuchen der deutschen Regierung zu beantworten, drängt die in
London versammelten Regierungschefs zu bestimmten Beschlüssen.
Heute früh 11 Uhr treten Lloyd George, Poineare, Theunis und
Schanz er im Downingstreet zusammen. Lloyd George will eine
letzte Anstrengung machen, um eine Lösung zu erzielen, die über
ein kurzes und nutzloses Provisorium hinausgeht. Wenn man in
hiesigen politischen Kreisen auch die Lage als sehr ernst, aber nicht
ganz hoffnungslos bezeichnet, so glaubt doch niemand an ein
völliges Scheitern der Konferenz. Am wahrscheinlichsten bleibt
nach wie vor ein ganz kurzfristiges Moratorium und eine neue
Konferenz im November.
Beim Scheitern der Konferenz eine öffentliche Erklärung
Lloyd Georges.
Parts, 14^ Aug. Die „Daily Mail" berichtet, datz Lloyd
George heute noch einen letzten Versuch unternehmen werde, um
eine Verständigung herbeizuftthren. Sollte sich auch dieser letzte
Verständigmkgsversuch als fruchtlos erweisen, so würde der eng-
lische Ministerpräsident nicht das Parlament einberufen, sondern
im Namen der englischen Regierung eine öffentliche Erklärung über
die Unmöglichkeit einer Verständigung abgeben.
Auflösung der Londoner Konferenz.
London, 15. Aug. Gestern nachmittag 5 Uhr hat die letzte
Sitzung in London stattgefunden. Man hat nur noch über dis
Oesterreich zu bewilligenden Kredite gesprochen. Poineare ist dar-
auf in sein Hotel zurückgekehrt und hat französischen Journalisten
gegenüber erklärt, daß die französische Abordnung heute vormittag
11 Uhr ab reisen werde. Am Mittwoch werde in Paris wahrschein-
lich ein Ministerrat stattfinden. Wahrscheinlich werde die Kammer
einberufen und beschlossen werden, die französischen Vertreter aus
dem Wiederherstellungsausschutz zurückzusziehen. Vorher wrde man
in dem Ausschuß mit Unterstützung der belgischen Stimmen gegen
das beantragte Moratorium stimmen, wodurch dieser Antrag abge-
lehnt würde.
Die nächste Konferenz.
London, 15. Aug. Lloyd George hat den französischen und
italienischen Delegationen mitgeteilt, Str Horne werde nach
Washington zu Verhandlungen in der Frage der Konsolidierung
der englischen Schulden fahren. Wenn er zurllckgekehrl sei, werde
England alle Mächte zu einer Konferenz zwecks Diskussion der
Kriegsschulden einberufen. Geplant ist diese Konferenz für No-
vember.
Die Note de« Reparattonskommission,
Berlin, 14. Aug. Der Kriegslastenkommission wurde heute
mittag von der Reparationskommisston folgende Note übergeben:
Entgegen der in Ihrem Schreiben vom 13. Juli d. I. ausge-
sprochenen Erwartung ist die Reparationskommission nicht in der
Lage, Ihnen vor dem 15. August d. I. ihre Entscheidung auf das
Memorandum vom 12. Juli mitzuteilen. Sie wird Sie unverzüg-
lich davon in Kenntnis setzen und gleichzeitig Bestimmung über dir
Frage der Fälligkeit vom 15. August treffen, welche bis zu diese«
Entscheidung in der Schwebe bleibt.
Parts, 14. August 22. (gez.) Duvois, Bradbury.
Die Antwort der Reparationskommisston auf das deutsche
Stundungsgesnch.
Paris, 15. Aug. Die vorläufige Antwort der Reparations-
kommission aus das deutsche Stundungsgesuch ist von der Kommis-
sion einstimmig gefaßt worden; es heißt, auch der französische De-
legierte Dubois habe ihr zugestimmt. Poincarö hat also
provisorisch auf seine Obstruktion in der Stundungsfrage verzichtet.
Er beharrte aber in London nach den hier vorliegenden Nachrichten
auch heute auf seinem Standpunkt: Kein Moratorium ohne Garan-
tien; in diesem Falle Verwaltung -der staatlichen Bergwerke und
Forsten. Die Führer der fünf Delegationen haben gestern in der
Downingstreet von 11 Uhr vormittags bis 1 Uhr 40 Minuten nach-
mittags ihre Besprechungen fortgeführt. Als einzig neue Schat-
tierung erklären die französischen Blätter, daß das Problem sich
ganz besonders dornig erwiesen habe und datz alle Ausführungen
nur die Bestätigung der unversöhnlichen Gegensätze zwischen Lon-
don imd 'Pans geoffenbart haben. Die Alliierten haben also in
London einen gemeinsamen Beschluß über das Memorandum bis

ZI» MdllWk «k »kk LMMk MM.
Die nächste Konferenz im November. — Noch keine Entscheidung der Reparations-
kommission.

P ar ts, 14. Aug. Dis Londoner Konferenz hat sich nunmehr
bis zum Vorabend des 15. August hingezogen, ohne datz sich die
Alliierten über die Deutschland zu erteilende Antwort geeinigt
hättigen. Der heutige Tag wird voraussichtlich das Ende der Kon-
ferenz bringen, die bis jetzt das Reparationsproblem höchstens noch
Verwickelter gestaltet hat, als es vis jetzt war. Von französischer
Seite wird daraus hingewiesen, daß die französische und englische
Auffassung über das gesamte Problem so grundverschieden von ein-
ander seien, ebenso wie die Haltung Lloyd Georges und
PotncarS in der Frage der staatlichen Minen und Forsten, so
das; es einigermatzen schwer denkbar sei, datz eine Einigung Zustande-
kommen könute. Lloyd George hat, wie heute erst bekannt wird,
im Ministerrat vom Samstag seinen Kollegen die Lage mit folgen-
den Worten gekennzeichnet: Frankreich hat eine Reihe von Vor-
schlägen gemacht, die darauf hinauslaufen, Maßnahmen gegenüber
Deutschland zu ergreifen, die es zwingen sollen, seine Reparations-
zahlungen zu leisten, während die englische Politik im Gegenteil
darauf hinzielt, Deutschland auf vernünftige Weife zur freiwilligen
Zusammenarbeit mit den Alliierten bei der Durchführung des
Friedensvertrags zu führen. In diesem Grundprinzip der engli-
schen Politik können wir nicht mit uns handeln lassen. Das eng-
lische Kabinett hat einstimmig die Haltung Lloyd Georges gebilligt
und ihm volle Handlungsfreiheit gelassen.
In der französischen Presse waren gestern noch immer Andeu-
tungen zu finden, die den Ministerpräsidenten daran erinnerten,
datz ihm in bezug auf seine Forderungen eine gewisse Handlungs-
freiheit von dem Kabinett zugestanden worden sei. Heute versucht
hie Presse einstimmig dis Oesfentltchkeit darguf vorzubereiten, daß

, die gegenwärtigen grundverschiedenen französischen und englischen
Auffassungen sich einander kaum näherzubringen seien. Von fran-
zösischer Seite wird besonders darauf htnausgearbeitet, die Kon-
ferenz nicht Mit einem Bruch zwischen England und Frankreich ab-
schließen zu lassen, sondern die Regelung der Reparationsfrage
aus eine späiere Konferenz, z. B. im November, zu verschieben und
Deutschland die Antwort zu geben, daß mW ihm auf sein Stun-
dungsgesuch noch keinen Bescheid geben könne, und erst eine spätere
Versammlung der »Merten Mächte avwarten müsse. Es wird
dabei darauf hingewiesen, daß die Reparationskommisston sehr gut
einen solchen Bescheid geben könne, da bereits ein Präzedenzfall
vorliege, nämlich M Mai 1921, als der Zahlungsplan aufgestellt
wurde, dessen Abänderung jetzt Deutschland verlangt. Poincare
soll im übrigen an den französischen Delegierten bei der Repara-
iionskommission eine diesbezügliche Anweisung erlassen haben.
Heute vormittag 11 Uhr findet in der Downingstreet eine Zu-
sammenkunft aller Delegationen, d. h. Lloyd George, Poineare,
Theunis und Schanzer und des japanischen Delegierten, statt, in
deren Verlauf noch einmal alle Möglichkeiten der Lösung der Krise
ins Ange gefaßt werden sollen. Man nimmt an, datz dann in der
Folge heule nachmittag der Abschluß der Verhandlungen der Kon-
ferenz proklamiert werden wird.
Die französische Presse betont natürlich mit Vorliebe, daß die
Verantwortung für den resultatlosen Verlauf der Konferenz Frank-
reich nicht treffe, da Poincare durch die Aufgabe der Ruhrforderung
ein weitestgehendes Entgegenkommen gezeigt habe, und Lloyd Ge-
orge die volle Verantwortung für einen eventuellen Bruch zwischen
Frankreich und England rugeschoben werden müsse.
 
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