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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 6.1912-1914

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4. Heft
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Gessler, Eduard Achilles: Waffengeschichtliche Studien aus der Schweiz
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https://doi.org/10.11588/diglit.39948#0142

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122

E. A. GESSLER, WAFFENGESCHICHTLICHE STUDIEN AUS DER SCHWEIZ

VI. BAND

späterer Zeit über dem Panzerhemd getragen
wurde, der Lentner. Die Terminologie der früh-
mittelalterlichen Bewaffnung bis zum Aufkommen
des Plattenharnischs ist eben sehr vielseitig; der
Name mancher Schutzwaffe blieb gleich, während
der Rüstungsbestandteil sich änderte und auf neu
erfundene Yerstärkungsteile übertragen wurde.
In Basel z. B. ist der Name Lentner im 14. und
15. Jahrhundert unbekannt gewesen, in diesem
Testament ist dafür die Bezeichnung „goler“ ge-
braucht, während im Zeughausinventar von 1415
(vgl. Dr. E. A. Gefsler, Ein Basler Zeughaus-
inventar von 14x5 [Anzeiger für schweizer. Alter-
tumskunde N. F. XII, p. 229]) der Lentner als
„schegcke“ aufgeführt wird. Dieser „goler“ wurde
über dem „pancer“ getragen. Unter „pancer“
haben wir nach dem damaligen Sprachgebrauch
in Basel (siehe obiges Inventar) das Panzerhemd
aus genieteten und gestanzten Ringen, das Ketten-
hemd, zu verstehen; dieses reichte bis gegen die
Knie. Im Basler Historischen Museum befinden
sich noch Exemplare von solchen, die nach den
Zeughausinventaren schon 1415 im Zeughaus auf-
bewahrt wurden.
Das interessanteste Stück dieser Bewaffnung
ist aber das „Flachpancer“, die mit. plata, mhd.
plate, der Brustpanzer, den die Blatenaere, Platt-
ner, anfertigten.
Panzerhemd und Lentner genügten den An-
forderungen der Schutzbewaffnung nicht mehr,
da die Trutzwaffen immer besser konstruiert und
von mächtigerer Wirkung waren. Das Bestreben,
die Brust zu schützen, war bei der Rüstung
immer das erste Ziel, und so sehen wir um die
Mitte des 14. Jahrhunderts ein neues Rüstungs-
stück aufkommen, die Platte, hier noch Flach-
panzer genannt, während im Inventar von 1415
bereits der Name „blatte“ sich findet; sie bildet
den Ursprung des Plattenharnischs. In der ersten
Hälfte des 14. Jahrhunderts bis über seine Mitte,
ja sogar bis in den Anfang des 15. Jahrhunderts
trug der Geharnischte über dem Panzerhemd den
Lentner, einen eng auf den Leib geschnittenen
Waffenrock aus Leder oder gesteppter Seide,
auch dick gefütterter und gepolsterter Leinwand.3)
Zur Verstärkung wurden auf dem Lentner Blech-
stücke festgenietet, entweder so, dafs sich eine
Art Schuppenpanzer aus dachziegelartig über-
einander angelegten Platten ergab, oder aber ein
querliegendes Stangengeschiebe, das auf dem
Lentner durch Vernietung befestigt war, und zu-
letzt später ganze Stahlplatten, welche sich all-
b Die Entwicklung des Lentners ist anschaulich zu
betrachten in Hefner-Alteneck, Trachten usw., Band III,
Tafel 166, 167, 170, 174, 184, 188, 193, 195, 198, 199, 204, 205,
206, 208, 212, 215, 216, ferner Band IV, 220, 226 ff.

mählich zu einem eigenen Rüstungsstück heraus-
bildeten, zum Brustpanzer, Bruststück. Er reichte
bis in die Hüften, war mit einem weiten Hais-
und ebensolchen Armausschnitten versehen und,
wie wir auf gleichzeitigen Grabmälern sehen, ziem-
lich flach, daher er hier ausdrücklich als „flach-
pancer“ erwähnt wird. Er deckte nur die Brust
und wurde über Lentner und Panzerhemd ge-
tragen und mit Riemen am Rücken angeschnallt.4)
Die Entstehung der Platte ist um die Mitte
des 14. Jahrhunderts anzusetzen. Die beste und
beinahe einzige Quelle für die Bewaffnung dieser
Zeit bilden die Grabdenkmäler, die sog. Tisch-
gräber. (Vgl. Hefner-Alteneck, Trachten, Kunst-
werke usw., Bd. III, Tafel 175, 180, 190, 191,
204, 210). Obwohl Hefners Abbildungen teilweise
ungenau sind, können wir doch die Entwicklung
der Platte an Hand des von ihm beigebrachten
Materials an Grabdenkmälern feststellen. Eine
frühe Darstellung der Platte weist eine Schnitzerei
im Chorgestühl des Domes von Bamberg auf
(H.-A. III, p. 191, ebenso Boeheim,. Plandbuch
Fig, 151), Mitte des 14. Jahrhunderts: die dort
befindlichen Kriegerfiguren zeigen eine auf den
Lentner genietete grofse Platte von beinah herz-
förmiger Gestalt und flacher Form. Auf einer
weiteren Grabplatte aus der Mitte des 14. Jahr-
hunderts, die einen unbestimmbaren Grafen
von Orlamünde aus dem Kloster Himmelskron
in Oberfranken darstellt, sehen wir einen Lentner,
dessen Bruststück aus einer aufgenieteten Platte
besteht und von der Brust abwärts aus aufge-
nieteten geschobenen Spangen (H.-A. III, 175).
Der 1359 verstorbene Walter von Bopfingen aus
der Kirche Bopfingen bei Nördlingen trägt auf
seinem Grabmal eine etwas andere Art der Schutz-
rüstung, indem das Spangengeschiebe im Innern
des Lenters angebracht ist und aufsen nur die
Nietnägel erscheinen (H.-A. III, 180). Ob eine
Brustplatte vorhanden, ist nicht zu erkennen.
Die volle Platte aus einem Stück, die ganze
Brust deckend, erblickt man auf dem Tischgrab
des Konrad von Sauwensheim (Seinsheim) in der
Johanniskirche von Schweinfurt, f 1369. Der
untere Teil des Lentners ist mit grofsen Nagel-
köpfen versehen, die wahrscheinlich nur zur Zier
dienten (H.-A. III, 190).
Nach den Grabdenkmälern entwickelte sich
dieses Bruststück zwischen 1370 und 1380 weiter,
und es trat noch ein Rückenstück dazu; leider ist
auf diesen steinernen Skulpturen oft sehr schwer
zu entscheiden, ob nur das Brust- oder auch ein
Rückenstück ausgemeifselt ist, weil die meisten der

4) Über den Lentner vgl. noch Zeitschrift f. hist. W.- K.
Bd. II, S. 101, Bd. III, S. 37 ff., speziell S 40.
 
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