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Baumeister: das Architektur-Magazin — 6.1908

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Thöne, Johannes Franz: Hohe oder niedrige Bauten?, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.52603#0206

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108

DER BAUMEISTER . 1908, JUNI.

nischenSuitbertuskirche
in Kaiserswerth am
Niederrhein. Nimmt man
etwa in der Vierung Auf-
stellung, um nach der Rich-
tung des Chores hinzu-
blicken, so erscheint dieses
(ebenso, wie die beiden es
flankierenden Seitenschiffe)
als recht geräumig, schön,
angenehm. Man bekommt
das Gefühl des Anheimeln-
den, Beruhigenden. Trotz-
dem ist die Kirche an sich
nicht wesentlich breiter, als
die in Gerresheim, aber die
Höhe ist geringer.
Es scheint also im
Verhältnis der Höhe
zur Breite zu liegen,
wenn ein Bauwerk einen
ästhetisch günstigen
Eindruck macht, undzwar
so, dass die Schönheit in
dem Masse abnimmt, wie
die Höhe bei gleichbleiben-
der Breite zunimmt. Ein
Vergleich mit den klas-
sischen Bauten des



Altertums bestätigt dieses Resultat. Die griechischen
Tempel waren alle niedriger als breit und darum schön.
Das Grabmal Hadrians, die jetzige Engelsburg, zeigt
sowohl in ihrer jetzigen, wie in ihrer rekonstruierten Ge-
stalt eine geringe Höhe bei mächtiger Breite und macht
hierbei unbestritten einen wohltuenden Eindruck. Beim
Pantheon in Rom hat die Trommel nur die gleiche
Höhe wie die Kuppel, und zwar beträgt ihre Höhe die Hälfte
ihres Durchmessers, so dass ihr Durchschnitt ein Rechteck
darstellt, bei dem die Grundfläche das Doppelte der Seiten-
fläche ist. Der Durchschnitt des ganzen Baues lässt sich
in ein Quadrat einschliessen, das an allen vier Seiten von
innen berührt wird. Nun aber gilt das Pantheon in äst-
hetischer Beziehung geradezu als exemplarisch, hat ja doch
fast jede grössere Stadt jetzt ein Nachbild desselben.

Wie wäre es also, wenn man etwa in Gerresheim in der
halben Pfeilerhöhe eine Schnittfläche durch die Kirche legte,
als neuer Fussboden dem alten parallel, und dann Altar,
Kanzel, Bänke usw. auf diesen neuen Fussboden stellte, so
dass nur die obere Hälfte der Kirche erhalten bliebe? Nach
dem Gesagten müsste sich die Schönheit des Inneren ganz
bedeutend heben. Die neuen von Architekt Mündelheim-
Paderborn in Altenbeken und Scharmede im gotischen
Stil erbauten Kirchen sind ein sprechendes Beispiel hierfür;
in ihr ist die Pfeilerhöhe geringer als die Mittelschiffbreite.
Wer einmal im grossen diesen Eindruck studieren will be-
sehe sich die Stadt Carlshafen an der Weser; im 18. Jahr-
hundert von der damals noch allmächtigen hessischen Re-
gierung angelegt, sind sämtliche Strassen nach einheitlichem
Plane gebaut: bei grosser Breite zeigen die Häuser durch-

2. Ote/yfurfojj





weg nur Unterhaus und ersten Stock. Der Kontrast
zwischen diesem so wohltuenden Verhältnis und
dem von Strassen, wie z. B. der Hauptgeschäfts-
strasse in Köln, der „Hohestrasse“, ist nicht zu
schildern; man kann ihn nur selbst erleben. —
Bemerkt sei gleich hier, dass der jetzige Sezes-
sionsstil in seinen Bauten schon recht viele
von den in diesem Artikel ausgesprochenen Ge-
danken verwirklicht hat, wie dem Leser wohl nicht
entgehen dürfte.
Hiermit hängt enge die Frage nach dem Ver-
hältnis der Breite des Mittelschiffes zu der
der Seitenschiffe zusammen. Nach dem strengen
romanischen Stil soll erstere der Summe der Breiten
der Seitenschiffe gleich sein, es gibt aber auch
Kirchen, in denen die Seitenschiffe an Breite
dieses Verhältnis übersteigen und zwar durchaus
nicht zu ihrem Nachteil. Um sich davon zu über-
zeugen, zeichne man sich einmal vier Querschnitte
von Kirchen, zweimal das Mittelschiff an Breite
gleich der Pfeilerhöhe (bis zum Kapitäl natürlich
nur) und zweimal mit geringerer Pfeilerhöhe, etwa
so, dass Höhe und Breite im Verhältnis des gol-
denen Schnittes stehen, und dazu je einmal von
einer Seitenschiffbreite gleich der Hälfte der Mittel-
schiffbreite und je einmal von grösserer Breite.
Fortsetzung folgt.

Verlag Georg D. W. Call wey in München. Verantwortlich: Hermann Jansen in Berlin W 35. Druck von Kastner & Callwey in München.
 
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