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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 1
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Ėttinger, Pavel D.: Die modernen Franzosen in den Kunstsammlungen Moskaus, 1. Teil
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0040

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Sammlungen auch nicht ein einziges Werk einverleibt haben, das von dem
Freilichtmaler Manet, seiner Zugehörigkeit zur impressionistischen Gruppe
einen Begriff geben könnte. Seine ganz fragmentarische „Wirtshausszene“,
die sich früher in der Tretjakeff-Galerie befand, ist natürlich nicht ausreichend,
ebensowenig das neutrale, gleichfalls nicht ganz vollendete Bildnis Antonin
Prousts im Besitz des Ostrouchoff-Museums. Sonderbarerweise fehlt in Mos-
kau auch Berthe Morisot gänzlich, während andererseits eine typische „Mater-
nite“ der Mary Cassat, außer den Zeichnungen und Pastellen von Toulouse-
Lautrec und den Werken Forains, den Degasschen Kreis auch in seinen Aus-
läufern vervollständigt.
Zum Schluß noch einige Worte über die Neoimpressionisten und die Künst-
ler, welche seinerzeit gemeinschaftlich mit ihnen auftraten. Man bedauert hier
vor allem die Abwesenheit des jetzt immer mehr zur Geltung gelangenden
Seurat und überzeugt sich gern, daß die getupften Landschaften Signacs, des
theoretischen Führers des Neoimpressionismus, und die von Cross nichts
von der Intensität ihrer reinen, ungemischten Farben eingebüßt haben. Bei
Bonnard, Vuillard und Xavier Roussel liegt der Hauptreiz ihres Schaffens in
der Intimität der Auffassung, der Leichtigkeit und Eleganz des FarbenauL
trags; zumal in kleinen Formaten — so die schummerigen Interieurs Vuil-
lards oder die mythologischen Idyllen Roussels — wirken diese Maler am
stärksten. Aber die Ausschmückung breiter Wandflächen ist wohl kaum ihre
Sache und die großen dekorativen Kompositionen Pierre Bonnards Und
Roussels, welche das Treppenhaus des ci-devant Morosoffschen Palazzo zie-
ren, machen, ungeachtet vieler koloristischer Feinheiten, einen etwas leeren
Eindruck und scheinen in ihrem Aufbau, besonders bei Bonnard, oft eines
formalen Rückgrats zu entbehren. Dem klugen, stets geschickten Maurice
Denis darf man einen derartigen Vorwurf weniger machen, doch wird man der
kalten Virtuosität seiner pompösen Dekorationen wohl meistens seine frühen
tonigen Bilder aus den neunziger Jahren mit ihrem zwar etwas gekünstelten,
aber jedenfalls individuellen Primitivismus vorziehen. Charles Guerin endlich
tritt uns in Moskau vorwiegend mit seinen älteren, temperament- und ge^
schmackvollen Bildern aus der Krinolinenzeit entgegen.

(Fortsetzung folgt.)


Edvard Munch. Totenzimmer
 
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