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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 2
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Basler, Adolphe: Pariser Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0076

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Pariser Chronik

Von ADOLPHE BASLER
Mit 6 Abbildungen auf 3 Tafeln

Salon d’Automne (Matisse, Bonnard, Friesz) j Ausstellung Matisse (Galerie Quatre Chemins / Aus-
stellung Bonnard (Bernheim jeune) / „Propos d’artistes“ von Florent Fels / Ausstellung Paul Klee
(Galerie Vavin-Raspail) / Die Surrealisten (Galerie Pierre) j Picasso und Braque und das Mis-
verständnis für das Staffeleibild / Henri Rousseau (Maison du Blanc) und Herr Uhde j Salon
d’Automne in Lyon / Coubine-Ausstellung (Galerie Barbazanges) / Die Kunst von
Heute (Galerie de la Ville l’Eveque) j Das Porträt in der französischen
Malerei des ig. Jahrhunderts (Maison Watteau) /
Ausstellung Vlaminck (Bernheim jeune)
NICHT so bewegt wie die vorhergehende verlief bisher die letzte künstlerische Sai-
son. Der Salon d’Automne hat uns nichts Neues offenbart; weder über die als Mei-
ster bereits anerkannten Maler, deren Werke wir zu wiederholten Malen gewürdigt
haben, noch über die Entwicklung der jungen Talente in Frankreich und in Europa,
die in großer Zahl an dieser Stelle zu Wort kommen. Die beiden „Interieurs“ von
Matisse, die beiden Akte von Friesz, der große langgestreckte von Bonnard gemalte
Akt waren die Attraktionen dieses Salons. Die Bilder von Matisse wirken immer durch
ihre Jugendfri|Sche. Man bewundert immer wieder sein Talent, eine Fläche zu organi-
sieren — den Raum darin zu gestalten, ebenso raffiniert wie präzis in der Ausdrucks-
form, ebenso zauberhaft durch den Reichtum seiner Farbe wie durch das magische
Licht, in das er seine Bilder hüllt.
Wir bewundern, wie andere kostbare Schöpfungen, die von eigenem inneren künst-
lerischen Leben beseelt sind, die Spielarten dieses immer gleichen Types, welchen uns
dieser niemals versagende Schöpfer in zahllosen Varianten mit Suggestionskraft ein-
geprägt hat — Varianten, die sich innerhalb und unter sich nur durch kaum merkliche
Nuancen unterscheiden.
Atmet die Kunst von Matisse die Atmosphäre von Luxus und Raffinement, so ent-
zückt die Bonnards durch ihren Reichtum. Massiver als jene ist Bonnards Malerei
weniger amorph. Fehlt ihr der feine Witz, ist sie dafür reicher an Varietät; doch entbehrt
sie dafür jener ausgeglichenen Qualität. Aber gelingt ihm einmal ein Stück, dann ist
es ein Meisterwerk an Natürlichkeit und feiner Intimität. Was für diese zwei Künstler
zu befürchten ist: daß durch die Enge einer Epoche auch ihrer Kunst enge Grenzen
gezogen sind.
Erst neulich fand ich dieses mein Urteil bestätigt, als ich von Matisse eine Austeilung
von Zeichnungen und Bildern neuesten Datums in der Galerie des Quatre Chemins und
eine der letztgenannten Bilder Bonnards bei Bernheim jeune sah. Die absolut beabsich-
tigte Vollkommenheit der letzten Zeichnungen von Matisse grenzt hart ans Akademische
und wäre nicht die hinreichend präzise Empfindsamkeit dieses Künstlers da, würden
uns diese letzten Zeichnungen und Malereien durch ihre monotone Eingebung fast er-
müden: Der Bildtyp wiederholt sich gleichfalls bei Bonnard — immerhin hat jede seiner
Schöpfungen mehr Eigennote als bei Matisse. Aber auch hier wie bei Matisse bleibt
alles nur geistvolle Organisation der Fläche, die er voll Witz und mit Delikatesse in
Formen und Farben handhabt, um schließlich immer zu verblüffenden Endresultaten zu
gelangen.
Höher hinauf ragen die Aspirationen eines Friesz. Mehr an Derain gemahnend, kon-
zipiert er das Bild als Bild und nicht als ein Spiel geistreicher Nuancen, die uns bei
Matisse und Bonnard entzückten, deren Kunst bei all ihrer reichen Erfindung doch der
wirklichen Größe entbehrt.
Diese zwei Akte von Friesz im Salon d’Automne können v/ohl als der beste Beleg
für die bei der heutigen jungen Malergeneration vorherrschenden Tendenz gelten, eine
tiefgehende Kunst zu schaffen — nicht dekorativ zu sein, sondern direkt und objektiv
zu sein wie alle große Malerei, um von aller künstlerischer Mache nur durch innere
suggestive Kraft zu wirken.
In diesem Salon hat man auch um ein Bild von Kisling großes Tamtam geschlagen
und der junge sicher phantasievolle Kritiker Florent Fels hat es sogar mit dem Bildnis
der Madame Riviere von Ingres verglichen. Der Konservator eines deutschen Museums,
offenbar recht leichtgläubig und mit braver Aufmerksamkeit Pariser Kunstberichte ver-
folgend, hat sich ebenfalls den Ausruf gestattet: „Das kommt von Ingres.“
„Nun ja,“ erwiderte ich ihm, „das kommt schließlich und endlich doch eher von
Meissonier oder von Munkäczy. Nicht daß ich das Talent Kislings in Abrede stellen
möchte, habe ich doch seinerzeit als erster darauf hingewiesen, aber wie kann man vor
einer so ärmlichen Zeichnung Ingres’ auch nur erwähnen.“ Die eine herabhängende

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