Julius Heinrich Bissier
Mit fünf Abbildungen auf drei Tafeln
Von HERMANN FAULER
AS Wesentliche des Kunstwerks läßt sich nicht in Worten ausdrücken.
X—/ Es wird von uns anerkannt, abgelehnt, in Gedankenzusammenhänge ein-:
gestellt oder im System der Ästhetik umschrieben. Aber auch im Einzelfall
läßt es sich niemals beschreiben, unzweideutig nachweisen, versagt sich der
logischen Allgemeingültigkeit, bleibt ästhetisch irrationaler Wert. — Was
hätte es für einen Sinn, Tafelbilder zu malen, wenn ihr wesentlicher Gehalt
sich sprachlich fassen ließe? Alles Schreiben über Kunst wird bestenfalls Um-
dichtung, Unzulängliche Transkription mit anderen Kunstmitteln oder Aus-
einandersetzung über Lebenspersönliches, Technik, Form. Betrachtungen über
bildende Kunst bringen in Gefahr, das spezifisch Künstlerische zugunsten des
Äußeren, Zeitlichen außer acht zu lassen, das Inhaltliche oder Formale mit
dem an sich Urphänomenalen zu verwechseln. Selbst die Kunstwissenschaft
kommt mit ihren Hebeln und Schrauben nicht zu den Müttern hinab, wie
andererseits der Geschmack der Menge nie über die Skala vom farbigen Post-
kartenkitsch bis zur sentimentalen Lebensbejahung sich ideal gebärdender
Gravürensinnlichkeit hinaus oder zu einer inneren Stellungnahme gegen das
Vielzuviele jährlicher Kunstausstellungen. — Der Interpret eines Künstlers
wird also gut tun, sich mit Hinweisen zu bescheiden, die den Betrachter dann
selbst zum Kunstwerk führen mögen, wenn er es nicht vorzieht, sein Urteil
durch Modesuggestionen getrübt zu sehen, die verfliegen, sobald die Zeiten sie
nicht automatisch erneuern.
Die Kunst Julius Heinrich Bissiers, des nunmehr Zweiunddreißigjährigen,
dessen frühe Hauptwerke heute zumeist in süddeutschem Privatbesitz sind
(einzelne Werke finden sich in den Sammlungen von Düsseldorf, Stuttgart,
Karlsruhe und Zürich), brach krisenhaft gegen Kriegsende aus Visionen her-
vor. Die Eindrücke, welche diese Eruptionen vermitteln, sind so stark, daß
selbst das an ihnen technisch nicht Ausgeglichene vor dem Erlebnis dieser
Bilder in den Hintergrund tritt. Über diesen ersten Arbeiten liegt eine düstere
Romantik, die doch wiederum mehr als Romantik bedeutet, eine geistige Stim-
mung, die sich schwer klassifizieren läßt, ein Ahnen ungeheuerer Katastrophen,
etwas vom Gehaben eines Seghers und dem in sich Versunkensein alter chine-
sischer Meister. Aus Nebel und Masse formt sich hier eine Welt jenseits
mittelalterlicher Gebundenheit und die geheimnisvolle Hand des Dunkeln,
Unbekannten weist zwischen Lasuren auf das ungreifbar-greifbar Mystische.
Zwei leuchtende Bilder „Urfrühe“ und „Hieronymus“ sind vor allem dessen
Zeuge. Alles ist Mittel zum Ausdruck, auch die Farbe kein Element an sich.
Man muß sich in diese Bilder versenken, um sie voll zu würdigen, muß einmal
alles abstreifen, was einem an Überkommenem geläufig ist, dann wird man
ihres Zaubers teilhaftig, der ein Zauber im eigentlichsten Sinn des Wortes ist.
Von hier aus ging der Weg Bissiers über Varianten und Ausgestaltungen
erster geformter Erlebnisse in mühevollem Ringen um technische Probleme
und den sich ankündigenden Geist veränderter, neuer Zeiten zur Wirklichkeit
zurück, um in gefestigterer Art von ihr auszugehen. War die Fülle ersten
Schaffens für den Künstler selbst nur ein gleichsam nacktes Gerüst drängender
Visionen, so findet er nun umgekehrt die Vision in der vollen Realität, das
Irrationale im Gegenständlichen, die Wirklichkeit wird zum Traum und nicht
mehr der Traum ^um Bild. Ein Gemälde wie „Schwarzwaldsäge“ hält das Ver-
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Mit fünf Abbildungen auf drei Tafeln
Von HERMANN FAULER
AS Wesentliche des Kunstwerks läßt sich nicht in Worten ausdrücken.
X—/ Es wird von uns anerkannt, abgelehnt, in Gedankenzusammenhänge ein-:
gestellt oder im System der Ästhetik umschrieben. Aber auch im Einzelfall
läßt es sich niemals beschreiben, unzweideutig nachweisen, versagt sich der
logischen Allgemeingültigkeit, bleibt ästhetisch irrationaler Wert. — Was
hätte es für einen Sinn, Tafelbilder zu malen, wenn ihr wesentlicher Gehalt
sich sprachlich fassen ließe? Alles Schreiben über Kunst wird bestenfalls Um-
dichtung, Unzulängliche Transkription mit anderen Kunstmitteln oder Aus-
einandersetzung über Lebenspersönliches, Technik, Form. Betrachtungen über
bildende Kunst bringen in Gefahr, das spezifisch Künstlerische zugunsten des
Äußeren, Zeitlichen außer acht zu lassen, das Inhaltliche oder Formale mit
dem an sich Urphänomenalen zu verwechseln. Selbst die Kunstwissenschaft
kommt mit ihren Hebeln und Schrauben nicht zu den Müttern hinab, wie
andererseits der Geschmack der Menge nie über die Skala vom farbigen Post-
kartenkitsch bis zur sentimentalen Lebensbejahung sich ideal gebärdender
Gravürensinnlichkeit hinaus oder zu einer inneren Stellungnahme gegen das
Vielzuviele jährlicher Kunstausstellungen. — Der Interpret eines Künstlers
wird also gut tun, sich mit Hinweisen zu bescheiden, die den Betrachter dann
selbst zum Kunstwerk führen mögen, wenn er es nicht vorzieht, sein Urteil
durch Modesuggestionen getrübt zu sehen, die verfliegen, sobald die Zeiten sie
nicht automatisch erneuern.
Die Kunst Julius Heinrich Bissiers, des nunmehr Zweiunddreißigjährigen,
dessen frühe Hauptwerke heute zumeist in süddeutschem Privatbesitz sind
(einzelne Werke finden sich in den Sammlungen von Düsseldorf, Stuttgart,
Karlsruhe und Zürich), brach krisenhaft gegen Kriegsende aus Visionen her-
vor. Die Eindrücke, welche diese Eruptionen vermitteln, sind so stark, daß
selbst das an ihnen technisch nicht Ausgeglichene vor dem Erlebnis dieser
Bilder in den Hintergrund tritt. Über diesen ersten Arbeiten liegt eine düstere
Romantik, die doch wiederum mehr als Romantik bedeutet, eine geistige Stim-
mung, die sich schwer klassifizieren läßt, ein Ahnen ungeheuerer Katastrophen,
etwas vom Gehaben eines Seghers und dem in sich Versunkensein alter chine-
sischer Meister. Aus Nebel und Masse formt sich hier eine Welt jenseits
mittelalterlicher Gebundenheit und die geheimnisvolle Hand des Dunkeln,
Unbekannten weist zwischen Lasuren auf das ungreifbar-greifbar Mystische.
Zwei leuchtende Bilder „Urfrühe“ und „Hieronymus“ sind vor allem dessen
Zeuge. Alles ist Mittel zum Ausdruck, auch die Farbe kein Element an sich.
Man muß sich in diese Bilder versenken, um sie voll zu würdigen, muß einmal
alles abstreifen, was einem an Überkommenem geläufig ist, dann wird man
ihres Zaubers teilhaftig, der ein Zauber im eigentlichsten Sinn des Wortes ist.
Von hier aus ging der Weg Bissiers über Varianten und Ausgestaltungen
erster geformter Erlebnisse in mühevollem Ringen um technische Probleme
und den sich ankündigenden Geist veränderter, neuer Zeiten zur Wirklichkeit
zurück, um in gefestigterer Art von ihr auszugehen. War die Fülle ersten
Schaffens für den Künstler selbst nur ein gleichsam nacktes Gerüst drängender
Visionen, so findet er nun umgekehrt die Vision in der vollen Realität, das
Irrationale im Gegenständlichen, die Wirklichkeit wird zum Traum und nicht
mehr der Traum ^um Bild. Ein Gemälde wie „Schwarzwaldsäge“ hält das Ver-
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