Die Venus auf dem Frosch
Antikische und naturalistische Gesinnung in der Spätrenaissance
Mit einer Tafel Von ERNST KRIS
DIE Sammlungen des Castello Sforzesco zu Mailand bewahren ein kleines
Kunstwerk, das bisher zu Unrecht unbeachtet blieb, eine feinziselierte
Silberstatuette, in deren Verständnis diese Zeilen einführen wollen: Eine nackte
kniende Venus hält schamhaft mit der Rechten ein Tuch vor die Brust; der
Kopf ist aufwärts gewendet und ins Profil verschoben; denn sie blickt nach
dem Amorknaben, der einem auf ihrer Schulter aufruhenden Kelch — den sie
noch mit der Linken stützt — entv/achsen zu sein scheint1. Man spürt die
Unstimmigkeit dieser Erfindung; die stilgeschichtliche Analyse lehrt, daß
die Haltung der Venus nicht für den Zusammenhang dieser Gruppe neu
erfunden wurde2. Sie ist aus der Formenwelt der Antike geschöpft, eine
badende Venus ist Pate gestanden, und wenn auch nicht eine bestimmte
Antike selbst, so doch ein, namentlich in der italienischen Spätrenaissance
häufig abgewandelter antikischer Vorwurf, dem wir in mannigfachen Spiel-
arten begegnen. Giovanni da Bologna hat ihn am ähnlichsten gestaltet in einer
reizenden erschreckt auffahrenden Frauengestalt, die man Susanna nennen
mag, einer Kleinbronze, die in einigen Exemplaren erhalten ist3. So sehr wir
auch heute die Kunstsprache des Virtuosentums in diesem Werke spüren, —
einst haben bewährte Kenner es als Schöpfung der Antike betrachtet und da-
mit nur des Künstlers Wunsch erfüllt, der der Antike nachzueifern vermeinte4.
Es kann nicht wundernehmen, daß in der Mailänder Silberstatuette ein Be-
wegungsmotiv Giovannis da Bologna nachgebildet und abgewandelt ist, denn
auch die Formensprache des zierlichen Werkes weist auf die Kunst des Floren-
tiner Manierismus hin. Nach der Sorgfalt der Oberflächenbehandlung war
der Künstler ein Goldschmied; wir möchten ihn am ehesten unter den Augs-
burgern suchen, die um die Wende vom 16. und 17. Jahrhundert tätig waren
(ohne gerade darauf das Gewicht zu legen, daß er Nordländer gewesen sein
muß). Man könnte etwa an Jan de Vos denken, den in Urkunden oft erwähn-
ten Mitarbeiter des Hubert Gerhardt oder an einen aus der Familie der Lencker,
etwa an den jungen Hans, der sich später an Adriaen de Vries und den
rudolfinischen Manieristen gebildet hat.
Das Sonderbarste und Überraschendste an diesem Werklein blieb noch
unerwähnt: der Sockel, auf dem Fuß und Knie der Frau Venus aufruhen.
Dieser Sockel wird von drei Eidechsen gebildet, die in Mitte, auf den ver-
schlungenen Schwänzen einen Frosch tragen, dessen Maul weit aufgesperrt
ist. Die Körper der Tiere sind im Guß trefflich geraten; auch die kleinsten
Einzelheiten werden deutlich, das Schillern der gerippten Haut, die zarten
Krallen der Eidechsen und sogar die Innenwandung der offenen Mäuler; eine
Treue, die die künstlerische Nachbildung der Natur nie zu erreichen ver-
möchte. Der mechanischen Nachbildung, der Abformung allein ist sie zu
danken. Eben erst getötete Tiere wurden, wenn wir dem Berichte einer zeit-
1 H. 15,5 cm. Die Basis 8,5X8 cm.
2 Auch der Amorknabe entspricht einem geläufigen, namentlich als Glockengriff oft
nachweisbaren Modell.
3 Vgl. Fritz Goldschmidt, Die italienischen Bronzen der Renaissance und des
Barock, Berlin igi4, Nr. 13g.
4 Rein ach, Repertoire du statuaire II, 372, 2 (nach Caylus).
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Antikische und naturalistische Gesinnung in der Spätrenaissance
Mit einer Tafel Von ERNST KRIS
DIE Sammlungen des Castello Sforzesco zu Mailand bewahren ein kleines
Kunstwerk, das bisher zu Unrecht unbeachtet blieb, eine feinziselierte
Silberstatuette, in deren Verständnis diese Zeilen einführen wollen: Eine nackte
kniende Venus hält schamhaft mit der Rechten ein Tuch vor die Brust; der
Kopf ist aufwärts gewendet und ins Profil verschoben; denn sie blickt nach
dem Amorknaben, der einem auf ihrer Schulter aufruhenden Kelch — den sie
noch mit der Linken stützt — entv/achsen zu sein scheint1. Man spürt die
Unstimmigkeit dieser Erfindung; die stilgeschichtliche Analyse lehrt, daß
die Haltung der Venus nicht für den Zusammenhang dieser Gruppe neu
erfunden wurde2. Sie ist aus der Formenwelt der Antike geschöpft, eine
badende Venus ist Pate gestanden, und wenn auch nicht eine bestimmte
Antike selbst, so doch ein, namentlich in der italienischen Spätrenaissance
häufig abgewandelter antikischer Vorwurf, dem wir in mannigfachen Spiel-
arten begegnen. Giovanni da Bologna hat ihn am ähnlichsten gestaltet in einer
reizenden erschreckt auffahrenden Frauengestalt, die man Susanna nennen
mag, einer Kleinbronze, die in einigen Exemplaren erhalten ist3. So sehr wir
auch heute die Kunstsprache des Virtuosentums in diesem Werke spüren, —
einst haben bewährte Kenner es als Schöpfung der Antike betrachtet und da-
mit nur des Künstlers Wunsch erfüllt, der der Antike nachzueifern vermeinte4.
Es kann nicht wundernehmen, daß in der Mailänder Silberstatuette ein Be-
wegungsmotiv Giovannis da Bologna nachgebildet und abgewandelt ist, denn
auch die Formensprache des zierlichen Werkes weist auf die Kunst des Floren-
tiner Manierismus hin. Nach der Sorgfalt der Oberflächenbehandlung war
der Künstler ein Goldschmied; wir möchten ihn am ehesten unter den Augs-
burgern suchen, die um die Wende vom 16. und 17. Jahrhundert tätig waren
(ohne gerade darauf das Gewicht zu legen, daß er Nordländer gewesen sein
muß). Man könnte etwa an Jan de Vos denken, den in Urkunden oft erwähn-
ten Mitarbeiter des Hubert Gerhardt oder an einen aus der Familie der Lencker,
etwa an den jungen Hans, der sich später an Adriaen de Vries und den
rudolfinischen Manieristen gebildet hat.
Das Sonderbarste und Überraschendste an diesem Werklein blieb noch
unerwähnt: der Sockel, auf dem Fuß und Knie der Frau Venus aufruhen.
Dieser Sockel wird von drei Eidechsen gebildet, die in Mitte, auf den ver-
schlungenen Schwänzen einen Frosch tragen, dessen Maul weit aufgesperrt
ist. Die Körper der Tiere sind im Guß trefflich geraten; auch die kleinsten
Einzelheiten werden deutlich, das Schillern der gerippten Haut, die zarten
Krallen der Eidechsen und sogar die Innenwandung der offenen Mäuler; eine
Treue, die die künstlerische Nachbildung der Natur nie zu erreichen ver-
möchte. Der mechanischen Nachbildung, der Abformung allein ist sie zu
danken. Eben erst getötete Tiere wurden, wenn wir dem Berichte einer zeit-
1 H. 15,5 cm. Die Basis 8,5X8 cm.
2 Auch der Amorknabe entspricht einem geläufigen, namentlich als Glockengriff oft
nachweisbaren Modell.
3 Vgl. Fritz Goldschmidt, Die italienischen Bronzen der Renaissance und des
Barock, Berlin igi4, Nr. 13g.
4 Rein ach, Repertoire du statuaire II, 372, 2 (nach Caylus).
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