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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 7
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Rundschau
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RUNDSCHAU

Sammlungen
PARISER SAMMLUNGEN
Der Louvre / Das Luxembourg /
„Das Mittelalter“ in der National-
bibliothek.
Das auf der Versteigerung Castiglioni er-
standene Bild von Nicolas Froment „Die
Erweckung des Lazarus“ war im Saal der
Neuerwerbungen des Louvre nur im
schlechten Licht zu sehen. Nun hängt es
vorzüglich im Seitenlicht eines Fensters im
Saal der französischen Primitiven, nicht
weit von dem Schwesterbild, der „Pieta“
aus Villeneuve, zu der es eine wesentliche
Ergänzung bedeutet. Hier tragische Inten-
sität, hartes Zusammenfassen der plasti-
schen Mittel, dort ein Sichentfalten und
Ausbreiten und liebevolles Versenken in die
Ergriffenheit vor dem Wunder, der Fro-
ment wie Hugo van der Goes auf seiner
„Anbetung des Christuskindes“ bei den ver-
schiedensten Menschen typen nachgeht. Es
ist eines der lieblichsten innerlichsten Bil-
der unter den Primitiven des Louvre. Man
begreift, daß Frankreich auf die Erwerbung
dieses Bildes soviel Wert gelegt hat; hier
wird sichtbar, was „la doulce France“, ins-
besondere die Avignoner Schule, aus Eige-
nem der niederländischen Herbheit und Mal-
technik hinzugefügt hat.
Im Saale der Neuerwerbungen ist eben
eine Reihe weniger wichtiger Bilder zu
sehen, die Schenkung Ernest May. Die
zehn, zwölf Werke sind sehr unterschied-
lich im Wert. Ein Hof von Corot hat eine
bei diesem Meister ungewöhnliche Schärfe
der Umrisse. „Die Börse“ von Degas: zu
skizzenhaft für das große Format. Studien
zu größeren Bildern von Poussin und Le-
gros. Ein hübsches vorrevolutionäres In-
terieur von Jeaurat, das an Chardinsche
Sachlichkeit gemahnt. Eine reizende Dix-
huitieme-Mädchenbüste aus Terrakotta von
Saby. Von Renoir gibt es eine kleine char-
mante Studie, eine liegende halbnackte
Frau. Ein Triptychon von Sisley, Pissarro,
Monet aus dem Anfang der siebziger Jahre
fügt dem Ruhm dieser drei Meister nichts
hinzu. Man glaubt eine Zaghaftigkeit her-
auszufühlen, nicht zu sehr ins Licht zu
gehen, damit nicht die Harmonie zerstört
werde. Der Impressionismus besitzt keine
Bauelemente für derartige Triptychons. Ma-
ler, die von den wechselnden atmosphäri-
schen Verhältnissen, ja von der Tagesstunde
sich abhängig machen, schließen sich nicht
zu einer Triptychoneinheit zusammen. An-
ders ist es, wenn ein und derselbe Maler

Impressionen filmartig aneinander reiht
wie Monet bei seinem letzten Werk, der
Serie seiner Nymphäen. Mit größten Er-
wartungen sieht man der Überführung die-
ses Zyklus, den Monet während des Krie-
ges in Giverny zu Ende brachte und dem
Staat schenkte, entgegen; zu seiner Auf-
nahme steht die Orangerie im Tuilerien-
garten bereit. * *
*
Zur Zeit ist das Luxembourgmuseum
wegen durchgreifender Neuordnung ge-
schlossen, nur der Annex im Tuileriengar-
ten, der die ausländischen Schulen beher-
bergt, war für einige Wochen geöffnet. Er
sollte einen Vorgeschmack geben von den
Gesichtspunkten der neuen Direktion, die
in den Händen des Konservators Massen
und seiner Mitarbeiter Robert Rey und De-
zarrois liegt. Von vierhundert Bildern des
Bestandes waren nur zweihundert aufge-
hängt. Mag sich die neue Leitung auch noch
soviel Mühe geben Und im modernen Sinne
sichten, die Bestände sind nicht so beschaf-
fen — wir reden einstweilen hier nur von
den ausländischen Schulen —, daß es mög-
lich wäre, damit Charakteristisches über die
zeitgenössische Kunst auszusagen. Welche
Anregungen soll ein moderner Künstler
oder Kunstfreund aus einem Museum
schöpfen, in dem immer noch Bilder wie
die große fade Allegorie von Watts „Die
Liebe und das Leben“, der Riesenschinken
„Die Furt“ von Sorolla y Bastida, die schicke,
virtuose „Carmencita“ von Sargent, die
großsprecherischen, farbig so peinlichen
„Senoritas“ von Zuloaga dominieren? Um
nur einige Namen zu nennen, es fehlen Pi-
casso, Munch, Chagall,Kokoschka, Slevogt.
Das Luxembourgmuseum hat nie einen
Leibi besessen. So findet man auch jetzt
hier keinen Segantini, sondern einen Ettore
Tito, keinen Hodler, sondern einen Albert
Gos, keinen Menzel oder Marees, sondern
einen Achenbach, Knaus, Bartels, Gotthard
Kühl. Das Aufhängen von Boldinis perver-
sen Verzerrungen wird wenigstens durch
ihr zeitgeschichtliches Interesse entschuld-
bar: sein Porträt des Grafen Robert Monte-
squiou kommentiert ausgezeichnet Marcel
Prousts vielbändigen Roman „Auf der
Suche nach der verlorenen Zeit“; man weiß,
daß der Graf Montesquieu das Vorbild eines
von Prousts glänzendsten Figuren, des Ba-
rons Charlus, gewesen ist. Man müßte das
Museum von Grund auf neu aufbauen, um
es zu dem zu machen, was sein Zweck ist,
zu einer Schau über die lebendige Kunst.
Man müßte vor allem mit dem Prinzip

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