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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 14
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Roh, Franz: Alexander Kanoldt
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0493

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Alexander Kanoldt

Von FRANZ ROH / Mit zwölf
Abbildungen auf sechs Tafeln

I. ZUR LAGE NEUESTER MÜNCHNER KUNST
MIT Kanoldt, der einer Berufung an die preußische Akademie für bildende
Kunst zu Breslau folgte, verlor München wieder einen der wichtigsten
Vertreter künstlerischer Kultur. Die Sache wird nicht besser dadurch, daß
Kanoldt Mense mit sich zog, der ebenfalls München verlassen hat. Es gibt
kein Malerzentrum, das in letzter Zeit teils unverschuldet, teils durch Mangel
an Weitblick soviel gewichtige Kräfte ziehen ließ. Wenn es sich um einen
kleinen Ort handelte, an dem nur für kurze Zeit eine Menge Maler beisammen
säßen, deren Beruf es aber wäre, auszuschwärmen in die weite Welt, so lägen
die Dinge begreiflicher. Aber ein so großes Institut wie allein die Münchener
Akademie: was könnte sie für ein kulturelles Zentrum sein, wenn hier Die-
jenigen — und zwar in sich verstehender Gemeinschaft — lehrten, die wahrhaft
Ausdruck unserer Zeit wären oder, was wichtiger, bereits vorausfühlen und
sozusagen zukunftträchtig sind. Ich weiß, daß es üblich geworden, zu
sagen, die junge Kunst altere doch auch, so daß es sub specie aeternitatis
gleich sei, ob Vertreter des Gestern oder des Heute lehren. Ich gebe zu, daß
letztlich die Qualit ät entscheidet und manches „Überalterte“ eines Tages
wieder lebenzeugend wird. Auf dem Boden der Qualitätsbeurteilung als dem
Entscheidenden verbleiben auch wir. Die Gerichtetheit der besseren
Jugend aber als belanglose Größe zu übergehen, diesen zweiten Faden im
Gewebe sinnvoller Weiterentwicklung zu übersehen, ist unweise. Von jeder
Zeit kann nachträglich festgestellt werden, wo ihre Hauptaufgaben und r-Kräfte
lagen. Wer Instinkt hat, weiß das aber schon von seiner eigenen Epoche.
Warum aber ist das Vorausfühlen gerade beim Lehrenden von Wichtig-
keit? Wegen des unaufhebbaren Gesetzes der Spannung zwischen den
Generationen. Weil vom Lehrenden aus gesehen, gilt, die Jugend mitformen
zu helfen, dies aber eigentlich nur von demjenigen geschehen kann, der
selber eröffnend ist, d. h. voraus weist. Denn es muß, wenn auch das
Eigenwollen der Jugend nicht schlechtweg bejaht werden soll, doch an diese
Gegebenheit angeknüpft werden. Denn Jugend baut in gewissem Sinne
auf dem von älterer Generation erarbeiteten Gute bereits auf. So müßten die
kulturell verwaltenden Organe, selbst wenn sie nicht vom Wert einer jüng-
sten Kunststrebung überzeugt sind, also ganz relativistisch alle Stile als
immer nur wechselnde Moden ansehen, die alle erst überschätzt werden,
um alle gleich schnell zu altern (welchen Grad der Relativierung wir natürlich
nicht unterschreiben), einen ganz bestimmten Prozentsatz der je-
weils „jüngsten“ künstlerischen Struktur mit Lehrstellen bedenken,
ohne Zögern, ohne die übliche geschichtliche Verspätung.
Sonst wird nicht einmal jenem Relativismus entsprochen, geschweige
denn beachtet, daß gerade geistig bewegte Jugend, auf der die Stilent-
wicklung der kommenden Generationen ruht, an die man doch vor allem
denken muß, an dasjenige anknüpfen wird, was über das Bereich der Väter
schon hinausweist.
In diesem Sinne sind München innerhalb der beiden letzten Wellen euro-
päischer Malerei entscheidende Chancen entgangen: schon im Expressionis-
mus, dieser machtvollen Sturm- und Drangbewegung, die eigentlich schon
i8go mit Cezanne, van Gogh und Gauguin (samt einem theoretischen Manifest)
dastand, um seit etwa ig20 einer völligen Verwandlung entgegenzugehen.

Der Cicerone, XVIII. Jahrg., Heft 14

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