Neue Künstler
Berthe Martinie
Mit vier Abbildungen auf zwei Tafeln
WENN man auch in Paris die Werke Rouaults ans Licht zieht, von deren
großartig-expressionistischer Formensprache der Salon Fiquet einige
gute Beispiele zeigte, und Gromaire zur Schau gestellt wurde, so ist man im
allgemeinen des Kampfes und des heftigen Ausdrucks müde und sehnt sich
wieder nach den Ufern der Gelassenheit und traditionellen Bindung. Es ist
nicht alles gut, was in diesem neuen Zeichen erscheint. Man füllt große Lein-
wände mit Figuren in der Landschaft in konventionellen Stellungen und glaubt
damit „Kunst“, „Romantik“ oder „Stil“ zu geben, während diese Werke ohne
innere Belebung wie eine neue Art von Genremalerei wirken.
Natürlich gibt es Ausnahmen. Dies ist bei Frau Martinie der Fall. Ihr
steckt die Klassik im Blute. Ihre Arbeiten stellen eine echt frauliche Syn-
these von eigenem Erlebnis und rezeptiver Einfühlungsfähigkeit in die Kunst
ihrer Rasse dar.
Frau Martinie hat nichts von der Pose, mit der hier häufig „Berühmtheiten“
auftreten. Studienhalber geht sie häufig auf den Pferdemarkt, weil ihr der
Körper des Pferdes in seiner wechselvollen Bewegung einen starken Eindruck
macht. Aus Scheu, sich mit ihrer Staffelei auf den Markt zu stellen, setzt sie
die Eindrücke zu Hause in eine höhere Wirklichkeit um. So entstanden ihre
in Helligkeit und abgewogene Farbigkeit getauchten Skizzen, die in der Galerie
Weill ausgestellt waren. Etwa wie Degas immer wieder voll Staunen vor
den Balleteusen und Utrillo vor den Häuserreihen und Plätzen von Mont-
martre steht, so umkreist ihre Phantasie das Pferd in seinem feingliedrigen
Bau und seiner wuchtigen Bewegung. Je echter der Künstler ist, um so inten-
siver ist ja seine Vorliebe für Wesen und Erscheinungen dieser Welt. Diese
im Galopp erfaßten, in grauweißer Helle wie Wolken schimmernden Schimmel
sind bei einem Minimum an Farbe, malerisch und zeigen zugleich bestimmteste
Form und Anatomie. Das Gelb, Weiß und lichte Blau sind locker, durch-
sichtig und duftig.
Das Voluminöse der menschlichen Gestalt ist in kühner und breiter Kurve
Umrissen, was an den Meister plastischer Formung und vornehmer Malkultur,
an Daumier, erinnert. (Frau Martinie ist vor allem Zeichner, bei der das
gewichtvoll Farbige der Form unterworfen ist.) Aber man könnte schwerlich
eine direkte Nachahmung in den ausgestellten Sepias und Aquarellen finden.
Es ließe sich auch Einfluß Gericaults feststellen, etwa der Mut zur heroischen
Geste, ebenso die Vorliebe von Constantin Guys in Tuschzeichnungen für
feine, graue Nuancen, den Reiz leichter, eleganter Bewegung und die Freude
an dem parallelen Vertikalismus schlanker, hoher Rennbeine. Diese hauchhaft
hinskizzierten Tiere bilden köstliche Silhouetten gegen die Luft und vibrieren
von tänzelnder Anmut und gradier Sensitivität.
Gewiß, alte Kunst geistert in diesen Arbeiten. Aber sie sind so flott und
großzügig in gut balancierter Farbigkeit hingeworfen, eine so unendliche Liebe
zu dem Pferd, dieser schönen, armen, aus unserem Großstadtleben immer
mehr verschwindenden Kreatur ist spürbar, und das Oeuvre dieser jungen Frau
ist so üppig an guten Ansätzen, daß man von der Künstlerin reden möchte.
Das nächste Werk soll ein Fresko werden, auf das man gespannt sein muß.
Sascha Schwabacher.
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Berthe Martinie
Mit vier Abbildungen auf zwei Tafeln
WENN man auch in Paris die Werke Rouaults ans Licht zieht, von deren
großartig-expressionistischer Formensprache der Salon Fiquet einige
gute Beispiele zeigte, und Gromaire zur Schau gestellt wurde, so ist man im
allgemeinen des Kampfes und des heftigen Ausdrucks müde und sehnt sich
wieder nach den Ufern der Gelassenheit und traditionellen Bindung. Es ist
nicht alles gut, was in diesem neuen Zeichen erscheint. Man füllt große Lein-
wände mit Figuren in der Landschaft in konventionellen Stellungen und glaubt
damit „Kunst“, „Romantik“ oder „Stil“ zu geben, während diese Werke ohne
innere Belebung wie eine neue Art von Genremalerei wirken.
Natürlich gibt es Ausnahmen. Dies ist bei Frau Martinie der Fall. Ihr
steckt die Klassik im Blute. Ihre Arbeiten stellen eine echt frauliche Syn-
these von eigenem Erlebnis und rezeptiver Einfühlungsfähigkeit in die Kunst
ihrer Rasse dar.
Frau Martinie hat nichts von der Pose, mit der hier häufig „Berühmtheiten“
auftreten. Studienhalber geht sie häufig auf den Pferdemarkt, weil ihr der
Körper des Pferdes in seiner wechselvollen Bewegung einen starken Eindruck
macht. Aus Scheu, sich mit ihrer Staffelei auf den Markt zu stellen, setzt sie
die Eindrücke zu Hause in eine höhere Wirklichkeit um. So entstanden ihre
in Helligkeit und abgewogene Farbigkeit getauchten Skizzen, die in der Galerie
Weill ausgestellt waren. Etwa wie Degas immer wieder voll Staunen vor
den Balleteusen und Utrillo vor den Häuserreihen und Plätzen von Mont-
martre steht, so umkreist ihre Phantasie das Pferd in seinem feingliedrigen
Bau und seiner wuchtigen Bewegung. Je echter der Künstler ist, um so inten-
siver ist ja seine Vorliebe für Wesen und Erscheinungen dieser Welt. Diese
im Galopp erfaßten, in grauweißer Helle wie Wolken schimmernden Schimmel
sind bei einem Minimum an Farbe, malerisch und zeigen zugleich bestimmteste
Form und Anatomie. Das Gelb, Weiß und lichte Blau sind locker, durch-
sichtig und duftig.
Das Voluminöse der menschlichen Gestalt ist in kühner und breiter Kurve
Umrissen, was an den Meister plastischer Formung und vornehmer Malkultur,
an Daumier, erinnert. (Frau Martinie ist vor allem Zeichner, bei der das
gewichtvoll Farbige der Form unterworfen ist.) Aber man könnte schwerlich
eine direkte Nachahmung in den ausgestellten Sepias und Aquarellen finden.
Es ließe sich auch Einfluß Gericaults feststellen, etwa der Mut zur heroischen
Geste, ebenso die Vorliebe von Constantin Guys in Tuschzeichnungen für
feine, graue Nuancen, den Reiz leichter, eleganter Bewegung und die Freude
an dem parallelen Vertikalismus schlanker, hoher Rennbeine. Diese hauchhaft
hinskizzierten Tiere bilden köstliche Silhouetten gegen die Luft und vibrieren
von tänzelnder Anmut und gradier Sensitivität.
Gewiß, alte Kunst geistert in diesen Arbeiten. Aber sie sind so flott und
großzügig in gut balancierter Farbigkeit hingeworfen, eine so unendliche Liebe
zu dem Pferd, dieser schönen, armen, aus unserem Großstadtleben immer
mehr verschwindenden Kreatur ist spürbar, und das Oeuvre dieser jungen Frau
ist so üppig an guten Ansätzen, daß man von der Künstlerin reden möchte.
Das nächste Werk soll ein Fresko werden, auf das man gespannt sein muß.
Sascha Schwabacher.
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