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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 12
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Däubler, Theodor: Zum Geleit
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0389

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Zum Geleit

J^IRESDEN ist die Stadt des Frühjahrs. Wenn die Bäume erblühen, so ver-
laß schwinden die häßlichen, überladenen Häuser aus dem letzten halben Jahr-
hundert, so mächtig ist von April bis Juni der Pflanzenwuchs im milden, von wohl-
gepflegten Hügeln umgebenen Elbtal. Keine Stadt im wärmeren Europa, kaum die
Königin am Arno, Florenz, ausgenommen, bezaubert uns durch so holde, farben-
reiche Blumenpracht. Übrigens kündet sich ein Auftakt zum Süden nirgends in
der Welt so hoch oben in nördlichen Breiten an, wie im sonnigen Gebiet unter den
freundlich gepflegten Getänden der Lößnitz. Gelangt doch Dionysos’ Weinranke
bis vor das gotische Münster und die stolze Albrechtsburg über Meißen, die Stadt
der roten Dächer, zartester Porzellane zwischen weiß und hellrosa blühenden Obst-
bäumen im Mai. Auch hier schmücken sich noch weite Gefilde in reizender Lieb-
lichkeit, denn die Blumenstadt Dresden reicht ferne hinaus ins wohlbestellte Sachsen-
land.
O wie entzückend ist des fröhlich gelegenen Dresdens Umgebung! Moritzburg,
jenseits der Lößnitz, ist ein großes Schloß im Norden. Starkes, einheimisches Wild
treibt sich in seinen rauschenden Wäldern umher; über Pillnitz schimmert der Himmel
so milde, wie an den Gestaden der Loire: sein Schloß, der Park, seine stille Insel
künden heute noch von der geschmackvollen Mannigfaltigkeit der Künste und
Lebensführung unter August dem Starken, Sachsens bedeutendstem König. Damals
ist es gelungen, französische Grazie im Rokoko mit Chinas Zierlichkeit zu ver-
binden; in Wien vermochte man es Österreichs Freudigkeit in dem Stil zu ver-
schmiegen, in Dresden aber sind unter seinem großzügigen Fürsten die zauber-
haftesten Schmuckbauten der Zeit gelungen. Wo hätte sich das 18. Jahrhundert
naturhafter, weniger gespreizt und gekünstelt offenbart als im irdisch gewordenen
Traum von Pillnitz oder Groß-Sedlitz?
Welche Bildersammlung der Welt verkündet so feierlich, so herrlich den Ruhm
einer reifen Kunst wie die zu Dresden? Aus der lebendigen Großartigkeit der Re-
naissance, dem gravitätischen Barock, hat sich eine Menschheit entwickelt, die das
rätselhafte Wunderwerk des Zwingers schaffen konnte: ist es nicht das berückendste
Baudenkmal des Abendlandes? Dresden, wie ausdrucksvoll sind deine Gottes-
häuser, die erhabene Frauenkirche ist der steingewordene Hochgesang: Eine feste
Burg ist unser Gott. Des Italieners Chiaveri Hofkirche bedeutet Gegenreformation,
ekstatischer Glaube Roms, doch aus der weitmaschigen Feierlichkeit um die Bau-
meister Bernini und Borromini um das Kapitol, in einen gefahrenreichen Himmels-
strich versetzt. Beredsamer, vorsichtiger und klüger mußte hier, im protestantischen
Norden, der Päpste Anwartschaft auf den Thron Christi vertreten werden. In
diesem Sinne ist auch Chiaveris göttlicher Turm' zu Häupten der steinernen Elb-
b/ücke weniger unbefangen, doch kühner und gewagter als Sant Ivos Kuppel-
krönung in der Siebenhügelstadt. Wohl hat E. T. A. Hoffmann in seinem goldenen

Der Cicerone, XVIII. Jahrg., Heft 12

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