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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 20
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Baldass, Ludwig: Gotik in Österreich: zu der in Wien veranstalteten Ausstellung (Herbst 1926)
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0671

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Gotik in Österreich
Zu der in Wien veranstalteten Ausstellung (Herbst ig26)
Mit acht Abbildungen auf vier Tafeln Von LUDWIG BALD ASS

DER Verein der Museumsfreunde in Wien eröffnete am 15. September d. J.
im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie eine für zwei Monate
geplante Ausstellung, die einen Überblick über die gotische Malerei und Skulptur
in Österreich gewähren soll. Während die Tiroler und teilweise auch die Salz-
burger Kunst des ausgehenden Mittelalters in ihren Hauptzügen seit zwei bis
drei Dezennien allgemein bekannt sind, hat die Forschung sich eigentlich erst
in den letzten Jahren intensiver mit der Wiener und innerösterreichischen Malerei
und Skulptur beschäftigt, die trotz einzelner grundlegender Arbeiten heute noch
eine Art Novum für die Kunstgeschichte darstellen und z. B. noch in fast allen
Handbüchern unbeachtet geblieben sind. Diesem Übelstand vor allem soll die
Ausstellung abhelfen und zeigen, daß Österreich im 14. und 15. Jahrhundert
eine Blütezeit der darstellenden Kunst erlebt hat, die diesen südostdeutschen
Landen ihren ebenbürtigen Platz unter den übrigen Lokalschulen der deutschen
Kunstgeschichte sichert.
Ausgestellt wurden Tafelbilder, Glasgemälde und Skulpturen. Die National-
bibliothek und die Albertina planen Ergänzungsausstellungen, die die öster-
reichische Buchmalerei und die Einblattdrucke vorführen sollen. Vieles an öster-
reichischer Kunst— ich verweise auf die großen Altäre von St. Wolfgang, Heiligen-
blut, Hallstadt, Kefermarkt, auf die Skulpturen des Wiener Stephansdomes und
der Pfarrkirche von Wiener Neustadt — steht heute noch an der Stelle, für die
es geschaffen wurde und widerstrebt dem Gedanken einer auch nur zeitweisen
Entfernung. Was aber an Bedeutendem aus kirchlichem, musealem und privatem
Besitz beweglich schien, wurde erbeten und mit wenigen schmerzlichen Aus-
nahmen mangelnden Gemeinsinnes auch zur Verfügung gestellt. Die Initiative
und Energie von Hans Tietze, dem Vorsitzenden des Arbeitsausschusses, muß
hier vor allem gerühmt werden, da ihr in erster Linie das Zustandekommen der
Ausstellung zuzuschreiben ist.
Am Anfänge der österreichischen Tafelmalerei stehen die wichtigsten vier
Gemälde, die uns aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts auf deutschem
Boden erhalten sind, die 1322—29 enstandenen Rückseiten des Verduner Altars
in Klosterneuburg, der zu der oben erwähnten, noch mit ihrem Nährboden ver-
wachsenen Gruppe von Kunstwerken gehört. Doch konnte wenigstens aus der
Schule dieses hochbedeutenden Meisters eine Christus vor Pilatus darstellende
Tafel des bayrischen Nationalmuseums auf der Ausstellung gezeigt werden.
Noch ist keine direkte Brücke von diesen Anfängen zu der österreichischen
Tafelmalerei des 15. Jahrhunderts geschlagen. Um so wichtiger erscheint es,
daß eine Reihe gemalter Glasscheiben, die sich in einigen Fällen zu ganzen
Fenstern zusammensetzen, die österreichische Malerei des 14. Jahrhunderts re-
präsentieren. In ihrer ganz starken, leuchtenden Farbenpracht gehören sie
zweifelsohne zu den Höhepunkten der Ausstellung. Nur zwei Beispiele hebe
ich hier hervor. Wie eine Illustrierung des hohen Liedes in Minneliedern
muten die um 1360 entstandenen Scheiben aus Maria-Straßengel bei Graz
(Sammlung Figdor-Walz) an, vor allem die entzückende Szene (Abb. 1) der
Maria, die den ungenähten Rock Christi webt. Aus der Herzogskapelle bei St.
Stephan aber stammen die eine Generation später entstandenen Fürstenscheiben,
der edle Niederschlag einer höfischen Kunstübung.
Verhältnismäßig lückenlos ist in der Ausstellung, unterstützt durch zahlreiche
Der Cicerone, XVIII. Jahrg., Heft 20 41 65I
 
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