RUNDSCHAU
Sammlungen
NEUERWERBUNGEN DER WIENER
SAMMLUNGEN (1925)
Trotz der kargen staatlichen Dotierung ist
es den Wiener Museen dank ihrer zielbe-
wußten Leitung auch im Vorjahre gelun-
gen, ihre Bestände um wesentliche Stücke
zu bereichern. An erster Stelle verdienen da
zwei aus dem Kärtner Stift St. Paul stam-
mende Werke verzeichnet zu werden, die in
das kunsthistorische Museum gelangt
sind: Eine auf Holz gemalte Madonna mit
Kind (42X27) vom älteren Holbein, von
einzigartiger Lieblichkeit und Süße, und
eine Kasel aus dem frühen 13. Jahrhundert
(von F. X. Kraus in seiner Schrift über den
„Kirchenschatz von St. Blasien“ beschrie-
ben) mit Passionsszenen und Darstellungen
aus der Legende des heiligen Nikolaus. Ein
Hauptstück ist ferner das von der Galerie
der Akademie der Bildenden Künste
ausfürstl. Liechtensteinschem Besitz erwor-
bene, fast lebensgroße Brustbildnis eines
Kaufherrn, ursprünglich unter die unter
dem Namen des Cornelis van Cleef (gen.
der „sötte Cleef“) gehenden Werke einge-
ordnet, vermutlich von der Hand des Jos
van Cleve. Von besonderem künstleri-
schen Interesse sind auch ein für dieselbe
Sammlung erworbenes Frühwerk von Ja-
kob van Ruysdael (J. v. R. monogram-
miert), eine minutiös ausgeführte, farben-
satte Waldlandschaft und ein großes, mit
glutenden Farben und breiten Schatten ge-
maltes Stilleben aus der Spätzeit von Jan
Fyt, eine seiner hervorragendsten Leistun-
gen.
* *
*
Bei den Neuerwerbungen der „Galerie
des ig. Jahrhunderts“ stehen die öster-
reichischen Künstler im Vordergrund. Von
P. Fendi wurde ein für seine subtile Mal-
kultur bezeichnendes Damenbildnis ange-
kauft, aus Waldmüllers mittlerer Zeit das
„Kattergebirge bei Ischl“. Von gleichzeiti-
gen deutschen Künstlern wäre H. Rein-
hold mit zwei Salzburger Landschaften
(von 1818 und 1819) zu nennen, C. D. Fried-
richs Schüler A. Heinrich mit der schon
ganz realistisch auf gefaßten „Felsschlucht
aus dem Uttewalder Grund“. Erwerbun-
gen, die vor allem das Bild der damaligen
Landschaftsmalerei ergänzen. Aus der
Sammlung Gottfr. Eißler kam außer den
bereits im letzten Jahrgang des „Cicerone“
S. 477 beschriebenen Aquarellen von R. Alt,
die durch ein Legat des Sammlers an die
Galerie fielen, auf der Versteigerung des
Nachlasses nochRomakos reizvolles,ganz
in flutendes Sonnenlicht getauchtes Bild
seiner Familie hinzu. Unter den jüngsten
Ankäufen wäre eine schöne, frühe Land-
schaft von Jettei anzuführen.
Eine imposante Fülle von Neuerwerbun-
gen kann für das verflossene Jahr die
„Albertina“ buchen, die sich durch das
Abstößen ihrer Doubletten in einer weit
günstigeren finanziellen Lage befindet als
die bloß auf staatlichen Zuschuß angewie-
senen Museen. Über die Erwerbungen des
ersten Halbjahres habe ich in den „Mo-
natsheften für Bücherfreunde und Graphik-
sammler“ (S. 317) berichtet. Hier seien nur
die der zweiten Jahreshälfte angeführt.
So ist z. B. eine Reihe von Einblatt-
drucken aus österreichischem Klosterbe-
sitz in die Sammlung gelangt, von denen
die sicher österreichische „Pieta“ aus Klo-
ster Lambach (um 1410) und die mittelrhei-
nische „Himmelskönigin auf der Mond-
sichel“ (um 1410) als Unica bezeichnet wer-
den können.
Das Italien der Renaissance vertreten eine
dem Bramantino nahestehende, fast le-
bensgroße Kopfstudie und eine Komposi-
tionsstudie Tintorettos. Ihnen gesellt sich
eine große Zahl meist florentinischer und
neapolitanischer Zeichnungen des 17. und
18. Jahrhunderts, darunter acht Blätter von
Pietro da Cortona.
Einen wichtigen Beitrag zur österreichi-
schen Kunst im 18. Jahrhundert bedeutet
das Konvolut von Zeichnungen des Krem-
serschmidt. Von einem Schüler zu Ver-
kaufszwecken nach Moskau gebracht und
seither verschollen, waren sie dort kürz-
lich wieder aufgetaucht, um durch den
Kunsthandel wieder ihren Weg nach Wien
zu finden. Dank diesem Ankauf weist die
Albertina, die zuvor nur wenige Blätter des
Meisters besaß, nunmehr 80 Zeichnungen
von seiner Hand auf. Daneben erwarb man
noch einige Zeichnungen seines genialen
Nebenbuhlers Maulbertsch und verschie-
dener anderer österreichischer Barock-
künstler, wie Daniel Gran, M. Alto-
mont e, P. Troger u. a. m„ desgleichen
Skizzen von Füger.
Als nicht weniger ergiebig ist die Aus-
beute an deutscher Kunst des ig. Jahrhun-
derts zu bezeichnen. Die zahlreichen
Blätter, die die unterschiedlichen Rich-
tungen und Schulen repräsentieren, Ar-
beiten von M. Rohden, Cornelius und
167
Der Cicerone, XVIII. Jahrg., Heft 5
IO
Sammlungen
NEUERWERBUNGEN DER WIENER
SAMMLUNGEN (1925)
Trotz der kargen staatlichen Dotierung ist
es den Wiener Museen dank ihrer zielbe-
wußten Leitung auch im Vorjahre gelun-
gen, ihre Bestände um wesentliche Stücke
zu bereichern. An erster Stelle verdienen da
zwei aus dem Kärtner Stift St. Paul stam-
mende Werke verzeichnet zu werden, die in
das kunsthistorische Museum gelangt
sind: Eine auf Holz gemalte Madonna mit
Kind (42X27) vom älteren Holbein, von
einzigartiger Lieblichkeit und Süße, und
eine Kasel aus dem frühen 13. Jahrhundert
(von F. X. Kraus in seiner Schrift über den
„Kirchenschatz von St. Blasien“ beschrie-
ben) mit Passionsszenen und Darstellungen
aus der Legende des heiligen Nikolaus. Ein
Hauptstück ist ferner das von der Galerie
der Akademie der Bildenden Künste
ausfürstl. Liechtensteinschem Besitz erwor-
bene, fast lebensgroße Brustbildnis eines
Kaufherrn, ursprünglich unter die unter
dem Namen des Cornelis van Cleef (gen.
der „sötte Cleef“) gehenden Werke einge-
ordnet, vermutlich von der Hand des Jos
van Cleve. Von besonderem künstleri-
schen Interesse sind auch ein für dieselbe
Sammlung erworbenes Frühwerk von Ja-
kob van Ruysdael (J. v. R. monogram-
miert), eine minutiös ausgeführte, farben-
satte Waldlandschaft und ein großes, mit
glutenden Farben und breiten Schatten ge-
maltes Stilleben aus der Spätzeit von Jan
Fyt, eine seiner hervorragendsten Leistun-
gen.
* *
*
Bei den Neuerwerbungen der „Galerie
des ig. Jahrhunderts“ stehen die öster-
reichischen Künstler im Vordergrund. Von
P. Fendi wurde ein für seine subtile Mal-
kultur bezeichnendes Damenbildnis ange-
kauft, aus Waldmüllers mittlerer Zeit das
„Kattergebirge bei Ischl“. Von gleichzeiti-
gen deutschen Künstlern wäre H. Rein-
hold mit zwei Salzburger Landschaften
(von 1818 und 1819) zu nennen, C. D. Fried-
richs Schüler A. Heinrich mit der schon
ganz realistisch auf gefaßten „Felsschlucht
aus dem Uttewalder Grund“. Erwerbun-
gen, die vor allem das Bild der damaligen
Landschaftsmalerei ergänzen. Aus der
Sammlung Gottfr. Eißler kam außer den
bereits im letzten Jahrgang des „Cicerone“
S. 477 beschriebenen Aquarellen von R. Alt,
die durch ein Legat des Sammlers an die
Galerie fielen, auf der Versteigerung des
Nachlasses nochRomakos reizvolles,ganz
in flutendes Sonnenlicht getauchtes Bild
seiner Familie hinzu. Unter den jüngsten
Ankäufen wäre eine schöne, frühe Land-
schaft von Jettei anzuführen.
Eine imposante Fülle von Neuerwerbun-
gen kann für das verflossene Jahr die
„Albertina“ buchen, die sich durch das
Abstößen ihrer Doubletten in einer weit
günstigeren finanziellen Lage befindet als
die bloß auf staatlichen Zuschuß angewie-
senen Museen. Über die Erwerbungen des
ersten Halbjahres habe ich in den „Mo-
natsheften für Bücherfreunde und Graphik-
sammler“ (S. 317) berichtet. Hier seien nur
die der zweiten Jahreshälfte angeführt.
So ist z. B. eine Reihe von Einblatt-
drucken aus österreichischem Klosterbe-
sitz in die Sammlung gelangt, von denen
die sicher österreichische „Pieta“ aus Klo-
ster Lambach (um 1410) und die mittelrhei-
nische „Himmelskönigin auf der Mond-
sichel“ (um 1410) als Unica bezeichnet wer-
den können.
Das Italien der Renaissance vertreten eine
dem Bramantino nahestehende, fast le-
bensgroße Kopfstudie und eine Komposi-
tionsstudie Tintorettos. Ihnen gesellt sich
eine große Zahl meist florentinischer und
neapolitanischer Zeichnungen des 17. und
18. Jahrhunderts, darunter acht Blätter von
Pietro da Cortona.
Einen wichtigen Beitrag zur österreichi-
schen Kunst im 18. Jahrhundert bedeutet
das Konvolut von Zeichnungen des Krem-
serschmidt. Von einem Schüler zu Ver-
kaufszwecken nach Moskau gebracht und
seither verschollen, waren sie dort kürz-
lich wieder aufgetaucht, um durch den
Kunsthandel wieder ihren Weg nach Wien
zu finden. Dank diesem Ankauf weist die
Albertina, die zuvor nur wenige Blätter des
Meisters besaß, nunmehr 80 Zeichnungen
von seiner Hand auf. Daneben erwarb man
noch einige Zeichnungen seines genialen
Nebenbuhlers Maulbertsch und verschie-
dener anderer österreichischer Barock-
künstler, wie Daniel Gran, M. Alto-
mont e, P. Troger u. a. m„ desgleichen
Skizzen von Füger.
Als nicht weniger ergiebig ist die Aus-
beute an deutscher Kunst des ig. Jahrhun-
derts zu bezeichnen. Die zahlreichen
Blätter, die die unterschiedlichen Rich-
tungen und Schulen repräsentieren, Ar-
beiten von M. Rohden, Cornelius und
167
Der Cicerone, XVIII. Jahrg., Heft 5
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