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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 2
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Basler, Adolphe: Pariser Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0077

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Hand auf seinem Frauenporträt bezeugt es hinreichend. Kisling hat Leben in sich und
sein Bestreben ist immer, gute Malerei zu liefern. Er ist sogar ein sehr gewandter Kolo-
rist mit einem sicheren Gefühl für Valeurs, der gelegentlich auch mit Geschick starker
Akzente fähig ist. Was ihm abgeht, ist Rasse und Noblesse — Qualitäten, die wir be-
sonders an Modigliani bewundern, von dem die Galerie Bing eine Retrospektive ver-
anstaltet hat. Eine Mischung von Süssigkeit und Fremdheit und auch ein ganz krank-
hafter Reiz entströmen all diesen Bildern, für die er sich ein festes Schema erfand. —
Das ist der unmittelbare Eindruck der Kunst dieses armen Modigliani, der so früh ster-
ben mußte. Beherrscht von ganz architektoralen Stilisierungen, die den Fetischen von
Gabon und vom Kongo eigentümlich sind — von Übertreibungen, die die Figurinen
und Masken der Elfenbeinküste in ihrer eleganten Vereinfachung kennzeichnen, kehrt
sich Modigliani einem Formentyp zu, den lang hingestreckte Linien, geschmackvoll
übertriebene Proportionen tragen und deren Details deutliche Spuren seiner Verehrung
der Negerplastik verraten. Das Oval des Gesichtes — die uniforme fast geometrische
Nase geben seinen Porträts einen äußerst pikanten Reiz. Ein vollendeter Zeichner, und
mehr Zeichner als Maler, betont Modigliani gern seinen zarten Kontur und er belebt die
Monotonie seiner gar zu symmetrischen Formen durch äußerst raffinierte Deformation.
Modiglianis Talent war zunächst ästhetisierende Bildnerei. Empfindsam, feinnervig und
besonders distinguiert war seine rassige Natur mehr noch für die Skulptur bestimmt,
die er auch mit Leidenschaft betrieb, bevor ihn die Malerei ganz gefangen nahm. In Er-
mangelung der großen malerischen Begabung wußte er sich in seinen Gemälden mit
dem einschmeichelnden und fast perversen Ästhetizismus eines glücklich verwandten
Spiels von Kontrasten zu behelfen, um ihnen jene Bedeutung und einen angenehm
warmen Bildton zu geben, daß sie zu dem Verführerischsten zählen, was moderne
Malerei hervorgebracht hat.
Nochmals möchte ich von dem sympathischen Kritiker Flor ent Fels sprechen, der
in einem besonders amüsanten Buch (Propos d’artistes) Aussprüche einiger hervor-
ragender Künstler vereinigt hat. Wohl die interessantesten darunter sind die von
Picasso, Rouault, Segonzac und Derain. Sie illustrieren am deutlichsten den Ideen-
gang eines jeden von ihnen. Picasso sagt unter anderem: „...Man spricht von Naturalis-
mus im Gegensatz zur modernen Malerei? Hat man jemals ein natürliches Kunstwerk
gesehen? Natur und Kunst, zwei so gegensätzliche Begriffe, können nicht in einer Reihe
gewertet werden. Die Kunst ermöglicht uns, die Empfindung dessen zum Ausdruck zu
bringen, was die Natur nicht unter einer absoluten Form erscheinen läßt. Von den
Primitiven angefangen, deren Werke derart der Natur fernstehen, bis zu Künstlern wie
David, Ingres und selbst Bouguereau, alle dachten daran (indem sie Natur darstellten),
daß Kunst immer Kunst und nicht Natur sei. Und vom Standpunkte der ,Kunst‘ aus
gibt es weder konkrete noch abstrakte Formen, sondern nur mehr oder weniger konven-
tionelle Tricks. Diese Lügen sind unentbehrlich für die Verwirklichung unseres Gedan-
kens — sie allein gestatten uns einen ästhetischen Genuß für das Leben zu schaffen.“
Stellen wir dieser sophistischen Auffassung der Kunst die gesunden Worte Segon-
zacs entgegen, dann haben wir die beiden Pole der modernen Malerei:
„Man wollte sich alles zu eigen machen: falsche Negerkunst, ethnographisches
Museum, Wachsfigurenkabinett: Dupuytren, griechische Kunst nach dem Geschmack
des Tages, Ästhetik des Luftschiffmotors, alles in Gips, Abfälle der Kunst für
Ingenieure der Kunst. Dieser ganze Schwindel — und alle diese Deformationen — totes
Zeug. Und das alles beruft sich auf reinste und urwüchsigste Kunst — von der
ägyptischen bis zum ,douanier‘ Rousseau.“
„Die französische Kunst! Man machte einen Exportartikel daraus. Aber heute macht
man nur noch Ersatz.“
„Heutzutage, in der Zeit der Aufzüge und des Luftschiffes, kann man nicht mehr
nach der Natur malen, beteuerte ein Bekehrter.“ — „Sieht man von uns aus, Delacroix
oder Corot in ihrer Malerei der größten Errungenschaft ihrer Epoche, der Lokomotive,
irgendwie Rechnung tragen ? ..
„Ich habe das Gefühl, daß man in Frankreich wieder beginnt, natürlich zu sein.
Der Ästhetizismus ist der Tod der Kunst. Mit all den Theorien dieser letzten Jahre
nähern wir uns mehr der Mentalität der Legendenmalerei, den Präraphaeliten und ähn-
lichem, als den Epochen reiner Kunst wie der griechisch-archaischen, dem 17. Jahr-
hundert in Frankreich, dem ig. Jahrhundert der Corot, Cezanne und Rousseau, auf die
sich zu berufen die Ästheten auch noch den Mut finden.“
Meine Vorliebe für die Kunst von Rouault, Bonnard, Derain, Matisse, Friesz, Segon-
zac, Utrillo, für eine Kunst also, die die Wahrheit verkündend sich den ästhetisierenden
Lügen entgegenstellt, die ebenso falsch sind als der Akademismus, konnte mich nicht
daran hindern, die Ausstellung Paul Klees in der kleinen Galerie Raspail-Vavin

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