zu schätzen. Keinesfalls bin ich irgendwie chokiert von einer Kunst, die sich meta-
physisch gibt. Die Metaphysik schreckt mich nicht, denn alles, was sublim ist, alles,
was uns faßt, den menschlichen Geist in seinen Ausstrahlungen berührt, gehört in die
Reihe der Metaphysik. Klees Kunst ist durchaus erhaben und von suggestivem Reiz.
Ich hege keinerlei Abneigung gegen Abstraktionen in den bildenden Künsten, weiß ich
doch von ihrem jahrtausendalten Bestehen bei allen schöpferischen Kulturen, aber
ich erkenne ihre Berechtigung nur in bestimmtem Material an. Und gerade die Ver-
wirrung innerhalb der Wahl des Materials ist eine nicht zu leugnende Erscheinung in
der heutigen Malerei. Heißt es etwa das große Talent Picassos oder Braques unfehl-
baren Geschmack in Abrede stellen, wenn ich behaupte, daß ihre Bilder keine Bilder
von Malern sind, und daß ihre Schöpfungen, sei es in kostbaren Lackarbeiten, sei es
wie die von Brague in Tapisserien von Beauvais z. B. ihren richtigen Ausdruck fänden.
Ihre Kompositionen entbehren der logischen Existenz, wenn sie in Bildrahmen gezwun-
gen werden. Damit sei keineswegs die Erhabenheit dieser Schöpfungen geleugnet, wenn
man diese in andere kostbare Gebiete verweist, die andere Ausdrucksmittel haben als
die Malerei. Ich weiß, daß der Philosoph Benedetto Croce das Bestehen einer logischen
Forderung des Ausdrucksmaterials, die Trennung der Gattungen in der Kunst leugnet:
Aber seine Ästhetik ist Angelegenheit eines Philosophen und nicht eines Kunst-
historikers von Fach. Und ich wiederhole nochmals, daß Braques Bilder ebenso der
Logik und des inneren Maßes, das ein Staffeleibild erfordert, entbehren — wie die
seines Schülers Andre Masson — eines jungen Adepten im Surrealismus. Dieser ist
geborener Keramiker — wie Braque der geeignetste Gobelinmann unserer Zeit wäre —,
den die staatlichen Werkstätten von Beauvais oder Aubusson längst zur Leitung und
Reorganisation einer Kunstindustrie hätten berufen wollen, die nach Neubelebung und
Verjüngung verlangt.
Die Surrealisten, die ich schon in meiner vorhergehenden Chronik erwähnt hatte,
haben in der Galerie Pierre mit ihrer Ausstellung viel Lärm geschlagen. Sie haben
Klee, Masson und Miro adoptiert und versuchen jetzt mit ihrer nihilistisch-psychischen
Ästhetik den Angriff der Kubisten und ihrer Nachtreter in der Kunst noch weiter vor-
zutragen. Wahrhaftig — viel Lärm um nichts! Dieses ganze Aufgebot an Metaphysik,
Psychoanalyse, Psychismus dient nur dazu, um das allereinfachste zu erklären: die
ehrgeizigen Absichten einiger mit Phantasie und Erfindungswitz begabter Dekorateure.
Diese Ausstellung der Surrealisten geschah mit Hinzuziehung- von Picasso, den die
jungen Leute dieser Gruppe als den Vorgänger einer Ästhetik betrachten, die sich
revolutionär gibt und im Grunde doch nur qualvoll erstandener Witz dieser Jünglinge
ist, die ein künstliches Paradies in Rimbaud und Lautreamont entdeckt zu haben
glauben, jenen Dichtern, welche schon die Symbolisten vor ca. 30 Jahren für sich in An-
spruch nahmen, um sie als Vorläufer einer Neoromantik zu preisen, die für immer
erloschen, doch von Zeit zu Zeit aufflackert, um den Bourgeois und sein blasiertes
Söhnchen, das nach Mysterien verlangt, von neuem zu erwärmen. Der Bourgeois vor
30 Jahren verabscheute Mallarme, besudelte Cezanne durch Stillschweigen oder Ver-
achtung. Heute bewundert er die „reine Dichtung“, die ihm Paul Valery verzapft, der
unklare Schüler Mallarmes, oder er gerät in Ekstase vor den gemalten Mysterien, die
ihm Picasso liefert. Sollte ich da nicht erwähnen, was mir ein Spitzenhändler in der
Ausstellung der Surrealisten sagte: „Ich mache mir nichts aus Malerei, aber die
Surrealisten gefallen mir und ich bewundere Picasso.“ -— „Weil ich ihn nicht verstehe,“
ergänzte der Spitzenhändler auf meine erstaunte Frage. Dabei fällt mir ein Ausspruch
Derains über Picasso ein1: „Picasso a toujours invente les moyens pour ne pas faire
de la peinture.“ Und ich möchte diese witzige Auslegung der offiziellen Definition
meines Freundes Maurice Raynal entgegenhalten: „Picasso und die Kubisten, wie
Braque und Gris, haben nie Malerei getrieben —- aber sie haben sich der Malerei als
Mittel bedient, um Wertvolles zu. gestalten. Ihre Kunst ist eine dekadente — und sie
wirkt eben durch diesen Reiz der Dekadenze.“
Jede weitere Erklärung des Surrealismus, als dem Produkt des Kubismus, wäre über-
flüssig.
Mit Vergnügen sahen wir wieder eine Ausstellung des douanier Rousseau. Im
Warenhause „La Maison du Blanc“, als würden alle bestehenden Kunstgalerien hier
nicht den Anforderungen entsprechen, um alles das zu vulgarisieren, was doch rar
bleiben sollte. Rousseaus Bilder bewahren unvergänglichen Reiz und altern ganz
wundervoll wie die Bilder der alten Meister. Welche Genugtuung übrigens für alle
Verehrer des Künstlers, eines seiner Werke dank einer Schenkung des Schneiders
Doucet in die Ewigkeit des Louvre eingehen zu sehen! Wir kannten und liebten den
1 Picasso hat immer die Möglichkeiten erfunden, um die Malerei zu umgehen.
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physisch gibt. Die Metaphysik schreckt mich nicht, denn alles, was sublim ist, alles,
was uns faßt, den menschlichen Geist in seinen Ausstrahlungen berührt, gehört in die
Reihe der Metaphysik. Klees Kunst ist durchaus erhaben und von suggestivem Reiz.
Ich hege keinerlei Abneigung gegen Abstraktionen in den bildenden Künsten, weiß ich
doch von ihrem jahrtausendalten Bestehen bei allen schöpferischen Kulturen, aber
ich erkenne ihre Berechtigung nur in bestimmtem Material an. Und gerade die Ver-
wirrung innerhalb der Wahl des Materials ist eine nicht zu leugnende Erscheinung in
der heutigen Malerei. Heißt es etwa das große Talent Picassos oder Braques unfehl-
baren Geschmack in Abrede stellen, wenn ich behaupte, daß ihre Bilder keine Bilder
von Malern sind, und daß ihre Schöpfungen, sei es in kostbaren Lackarbeiten, sei es
wie die von Brague in Tapisserien von Beauvais z. B. ihren richtigen Ausdruck fänden.
Ihre Kompositionen entbehren der logischen Existenz, wenn sie in Bildrahmen gezwun-
gen werden. Damit sei keineswegs die Erhabenheit dieser Schöpfungen geleugnet, wenn
man diese in andere kostbare Gebiete verweist, die andere Ausdrucksmittel haben als
die Malerei. Ich weiß, daß der Philosoph Benedetto Croce das Bestehen einer logischen
Forderung des Ausdrucksmaterials, die Trennung der Gattungen in der Kunst leugnet:
Aber seine Ästhetik ist Angelegenheit eines Philosophen und nicht eines Kunst-
historikers von Fach. Und ich wiederhole nochmals, daß Braques Bilder ebenso der
Logik und des inneren Maßes, das ein Staffeleibild erfordert, entbehren — wie die
seines Schülers Andre Masson — eines jungen Adepten im Surrealismus. Dieser ist
geborener Keramiker — wie Braque der geeignetste Gobelinmann unserer Zeit wäre —,
den die staatlichen Werkstätten von Beauvais oder Aubusson längst zur Leitung und
Reorganisation einer Kunstindustrie hätten berufen wollen, die nach Neubelebung und
Verjüngung verlangt.
Die Surrealisten, die ich schon in meiner vorhergehenden Chronik erwähnt hatte,
haben in der Galerie Pierre mit ihrer Ausstellung viel Lärm geschlagen. Sie haben
Klee, Masson und Miro adoptiert und versuchen jetzt mit ihrer nihilistisch-psychischen
Ästhetik den Angriff der Kubisten und ihrer Nachtreter in der Kunst noch weiter vor-
zutragen. Wahrhaftig — viel Lärm um nichts! Dieses ganze Aufgebot an Metaphysik,
Psychoanalyse, Psychismus dient nur dazu, um das allereinfachste zu erklären: die
ehrgeizigen Absichten einiger mit Phantasie und Erfindungswitz begabter Dekorateure.
Diese Ausstellung der Surrealisten geschah mit Hinzuziehung- von Picasso, den die
jungen Leute dieser Gruppe als den Vorgänger einer Ästhetik betrachten, die sich
revolutionär gibt und im Grunde doch nur qualvoll erstandener Witz dieser Jünglinge
ist, die ein künstliches Paradies in Rimbaud und Lautreamont entdeckt zu haben
glauben, jenen Dichtern, welche schon die Symbolisten vor ca. 30 Jahren für sich in An-
spruch nahmen, um sie als Vorläufer einer Neoromantik zu preisen, die für immer
erloschen, doch von Zeit zu Zeit aufflackert, um den Bourgeois und sein blasiertes
Söhnchen, das nach Mysterien verlangt, von neuem zu erwärmen. Der Bourgeois vor
30 Jahren verabscheute Mallarme, besudelte Cezanne durch Stillschweigen oder Ver-
achtung. Heute bewundert er die „reine Dichtung“, die ihm Paul Valery verzapft, der
unklare Schüler Mallarmes, oder er gerät in Ekstase vor den gemalten Mysterien, die
ihm Picasso liefert. Sollte ich da nicht erwähnen, was mir ein Spitzenhändler in der
Ausstellung der Surrealisten sagte: „Ich mache mir nichts aus Malerei, aber die
Surrealisten gefallen mir und ich bewundere Picasso.“ -— „Weil ich ihn nicht verstehe,“
ergänzte der Spitzenhändler auf meine erstaunte Frage. Dabei fällt mir ein Ausspruch
Derains über Picasso ein1: „Picasso a toujours invente les moyens pour ne pas faire
de la peinture.“ Und ich möchte diese witzige Auslegung der offiziellen Definition
meines Freundes Maurice Raynal entgegenhalten: „Picasso und die Kubisten, wie
Braque und Gris, haben nie Malerei getrieben —- aber sie haben sich der Malerei als
Mittel bedient, um Wertvolles zu. gestalten. Ihre Kunst ist eine dekadente — und sie
wirkt eben durch diesen Reiz der Dekadenze.“
Jede weitere Erklärung des Surrealismus, als dem Produkt des Kubismus, wäre über-
flüssig.
Mit Vergnügen sahen wir wieder eine Ausstellung des douanier Rousseau. Im
Warenhause „La Maison du Blanc“, als würden alle bestehenden Kunstgalerien hier
nicht den Anforderungen entsprechen, um alles das zu vulgarisieren, was doch rar
bleiben sollte. Rousseaus Bilder bewahren unvergänglichen Reiz und altern ganz
wundervoll wie die Bilder der alten Meister. Welche Genugtuung übrigens für alle
Verehrer des Künstlers, eines seiner Werke dank einer Schenkung des Schneiders
Doucet in die Ewigkeit des Louvre eingehen zu sehen! Wir kannten und liebten den
1 Picasso hat immer die Möglichkeiten erfunden, um die Malerei zu umgehen.
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