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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 4
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Ėttinger, Pavel D.: Die modernen Franzosen in den Kunstsammlungen Moskaus, Teil 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0128

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hier seinem unglücklichen Freunde nicht einräumen, aber alles, was das
Museum von Van Gogh besitzt, gehört zum Besten und Beanntesten aus sei-
nem Oeuvre. Da ist das berühmte Nachtcafe mit dem Billard in der Mitte, das
zum Vergleich mit dem Gauguinschen „Cafe in Arles“ anregt, die oft repro-
duzierte, entzückende „Auvers-Landschaft“ nach dem Regen mit dem Wägel-
chen auf der schmalen Landstraße, die Dore nachempfundene „Ronde des
priscnniers“ und ein äußerst typisches Herrenbildnis (Abb.). Weniger bekannt
scheint der „Weinberg von Arles“ zu sein, ganz mit klingendem herbstlichen
Rot übergossen, strahlend im warmen Scheine der untergehenden Sonne
(Abb.). Und als Gegenstück hierzu der bescheidenere „Busch“ (Abb.), seiner-
zeit der erste Van Gogh in Rußland, nicht weniger klingend in seinem kühlen
Grün, welchem das Blau des Teiches zur Folie dient, und glühend von innerer
Leidenschaftlichkeit der wütend hingeschmissenen Pinselstriche, wie sie nur
Vincent eigen waren (Abb.).
Jedoch zweifellos am glänzendsten ist in Moskau die jüngste Phase der
neufranzösischen Malerei vor dem Kriege unter der Führung des Drei-
gestirns Matisse—Picasso—Derain vertreten, und die bloß numerische An-
gabe von ungefähr je vierzig Werken der beiden ersteren mag einen Begriff
von der Überfülle des „Museums moderner westlicher Kunst“ in dieser Hin-
sicht geben.
Wie bei Gauguin ist man geneigt, die große Gunst, die gerade Henri Matisse
bei russischen Sammlern erfahren, zum Teil jenem inneren Hang zum Deko-
rativen zuzuschreiben, der dem Russen überhaupt angeboren ist und im
russischen Kunstgewerbe, besonders aber in der Ikonenmalerei so verschieden-
artig zum Vorschein kommt. Diesem nationalrussischen Hang zum Deko-
rativen ist übrigens auch Matisse selbst unterlegen, als er bei seinem Aufent-
halt in Moskau die altrussischen Heiligenbilder kennenlemte und denselben
unverhüllt manche dekorative Eigenart entlieh. So weist u. a. das hier repro-
duzierte „Familienbild“ mit den schachspielenden Knaben in seinem farbigen
Aufbau und dekorativem Detail direkt auf die frühe russische Ikone hin
(Abb.). Wie stark und überwiegend die rein dekorativen Werte im Schaffen
von Matisse sind, tritt besonders überzeugend in dem ganz mit seinen Gemäl-
den, darunter auch die frappanten „Goldfische“ (Abb.), behängten, großen
Schtschukinschen Saale zutage. Trotz der barocken Stucksupraporten, der mit
Wappen der einstigen, adeligen Besitzer und reichem Rankenwerk verzierten,
gewölbten Decke und der Louis XV.-Möbel, erscheint Matisse hier keines-
wegs deplaciert, und seine Bilder bewahren im großen und ganzen überall
ihre „schmückende“ Rolle. Im einzelnen allerdings ist bei weitem nicht alles
erfreulich, und besonders den ganz plakatmäßig flach behandelten, großen
Formaten, von denen der Künstler ja selbst längst abgekommen ist, kann
man kaum Geschmack abgewinnen. Anderseits aber verfolgt man mit stei-
gender Neugier die Evolution des Meisters von den frühen, gesättigten
Stilleben und Landschaften, die noch ganz auf Cezanne fußen, zu immer
freierer, radikaler Stilisierung des Stofflichen, staunt über das eminente Kön-
nen, mit welchem jedes Objekt, besonders in den orientalischen Motiven,
ganz in dekorative farbige Flächen aufgelöst wird und bewundert schließlich
die Gewagtheit und Vielheit der stetig erneuerten koloristischen Möglichkeiten.
Bei Picasso liegt das Problem natürlich viel tiefer, der Entwicklungsgang
ist bei ihm nicht so gradlinig wie bei Matisse und die Logik des rein For-
malen weist unverhoffte Abzweigungen auf, durchschneidet sich oft mit
psychologischen und transzendentalen Elementen. Die Übergänge sind hier oft
ganz schroff, die fremden Anregungen und Einflüsse sichtbarer, aber die ein-

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